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Aus: Ausgabe vom 25.07.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
»Faire Integration«

Klagen gegen Ausbeutung

Beratungsstellen »Faire Integration«: Mehr ausländische Arbeiter nehmen Hilfe in Anspruch
Von Susanne Knütter
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Wo kein Kläger, da kein Richter: Überausbeutung von Migranten ist in Deutschland an der Tagesordnung

Ihre Aufgabe ist die Beratung gegen Ausbeutung. In Anspruch genommen wird sie vor allem von Geflüchteten und »Drittstaatlern«, also Migranten, für die die »EU-Freizügigkeit« nicht gilt. Und das immer häufiger. Die 26 Beratungsstellen für »Faire Integration« haben im vergangenen Jahr bundesweit 13.288 Beratungen durchgeführt. Die meisten Ratsuchenden kamen aus Syrien, der Ukraine, Afghanistan, der Türkei und dem Irak. Beschäftigt sind sie am häufigsten im Verkehrssektor, in den Bereichen Lager und Logistik, im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie in anderen Dienstleistungssektoren. Etwa ein Drittel aller Ratsuchenden kam allein aus diesen Branchen.

Meistens suchten die Lohnabhängigen Rat, weil die Unternehmen, für die sie arbeiten, sie um Saläre geprellt, unrechtmäßig gekündigt oder Aufhebungsverträge untergeschoben hatten, erklärte beispielsweise die Arbeitskammer des Saarlandes am 17. Juli. Die hier angesiedelte Beratungsstelle »Faire Integration« meldete für das Saarland im vergangenen Jahr Einzel- oder Gruppentermine für etwas mehr als 700 Menschen. Im Vergleich zu 2019 sei insbesondere die Zahl der Gruppenberatungen gestiegen, wie der Saarländische Rundfunk am Wochenende berichtete. Hätten damals noch 75 Menschen daran teilgenommen, waren es 2023 mehr als 380. In Einzelgesprächen ließen sich 355 Menschen beraten, 2019 waren es noch 210.

Die Menschen gingen zunächst davon aus, gemäß Rechtsstaatsprinzipien beschäftigt zu sein, »und sind danach verzweifelt und fallen aus allen Wolken, wenn das nicht so ist«, sagte Beraterin Elina Schilo-Stumpf laut der Erklärung der Arbeitskammer. »Dass Rechte, die existieren, auch durchgesetzt werden, ist enorm wichtig für die Integration. Wir zeigen, dass das hier möglich ist.« Das bedeutet demnach allerdings schlussendlich oft, den individuellen Klageweg zu beschreiten. Für jeden Einheimischen ist das bereits eine Zumutung. Für Geflüchtete kommt hinzu, dass ihr Aufenthaltsstatus oft mit einem Arbeitsvertrag verknüpft ist. Das schwierigste sei, die Betroffenen überhaupt dazu zu bekommen, zu klagen, berichtete Schilo-Stumpf. Denn sie haben Angst, »den Arbeitgeber zu verlieren – und sei er auch noch so schlecht und ausbeuterisch«.

Es sind Fälle wie diese, um die sich die Beratungsstellen versuchen zu kümmern: Ein syrischer Paketzusteller war bei einem Subunternehmer beschäftigt, der ihm zwei Monats- und 260 Überstundenlöhne schuldig blieb. In seinem ersten Beschäftigungsjahr wurde ihm kein Urlaub gewährt. Nachdem er seinem Arbeitgeber eine Zahlungsaufforderung geschickt hatte, wurden ausschließlich ihm von da an die schweren Pakete zugeordnet. Außerdem wurde er stark unter Druck gesetzt. In der Folge erlitt er einen Arbeitsunfall und ist seit mehreren Wochen arbeitsunfähig. »Wir haben ein Teilversäumnisurteil erwirken können und ihm wurden insgesamt 5.900 Euro zugesprochen«, erläuterte Berater Saleh Muzayek laut der Erklärung der Arbeitskammer. Allerdings sei das Unternehmen jetzt insolvent. Der Beschäftigte »wird sein Geld also nicht bekommen«. Auch kein Insolvenzgeld, keine Auszahlung der Überstunden und keine Urlaubsabgeltung. Und da der Vorgesetzte den Arbeitsunfall auch nicht der Berufsgenossenschaft gemeldet hat, wurde der Unfall nicht anerkannt und der Mann bekommt kein Krankengeld. »Außerdem ist sein Aufenthaltstitel an den Job gebunden.« Die Berater konnten immerhin Arbeitslosengeld für ihn erstreiten. Die angehäuften Schulden für Miete und Unterhalt seiner Familie (der Mann hat eine Frau und zwei Kinder) aber bleiben.

Um so wichtiger ist die Organisierung am Arbeitsplatz. Die Berater der Arbeitskammer des Saarlandes sind deshalb nach eigenen Angaben auch präventiv unterwegs, häufig auch mit gewerkschaftlicher Unterstützung: etwa bei Werkstoraktionen, mit der NGG in der Schokoladen- und Fleischindustrie, mit Verdi bei Kurierdiensten und auf Lkw-Raststätten, mit der IG BAU auf Baustellen, in Sachen Glasfaser und im Reinigungsgewerbe.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (25. Juli 2024 um 08:22 Uhr)
    »Klagen gegen Ausbeutung« – diese Überschrift ist genauso falsch, wie sie richtig scheint. Richtig, weil sich Leute wehren, dass sie um ihnen zustehendes Arbeitsentgelt betrogen werden. Und falsch, weil Ausbeutung nicht diese Art von Betrug beschreibt, sondern die unbezahlte Aneignung von Mehrarbeit durch den Kapitalisten, die er dank seines Eigentums an den Produktionsmitteln völlig rechtskonform vornehmen darf. Gegen die es also auch keinerlei juristische Gegenwehr gibt, weil die Justiz im Auftrage der Eigentümer dazu berufen ist, genau diese für absolut normal erklärten Verhältnisse zu schützen, indem sie das Eigentum und seine Rechte für absolut sakrosankt erklärt. Vorsicht ist immer dann geboten, wenn Begrifflichkeiten verwässert werden. Bedient man sich der verschwommenen Begriffe seiner geistigen Gegner, landet man nämlich außerordentlich schnell auch bei deren Denkweise. Dann mutiert schnell auch ein antagonistischer Gegensatz zu etwas, dessen Lösung bei der Gerichtsbarkeit der Herrschenden besser aufgehoben wäre, als bei der machtvollen Gegenwehr der Ausgebeuteten.

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