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Aus: Ausgabe vom 26.07.2024, Seite 6 / Ausland
Montenegro

Pragmatische Nationalisten

Montenegro: EU-naher Premierminister bildet Kabinett um. Proserbische Fraktion mit mehr Einfluss
Von Walter Mandić
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Aufwartung beim Europagipfel: Montenegros Premier Spajić (l.) mit dem Amtskollegen Starmer (Woodstock, 18.7.2024)

Montenegro hat ein neues Kabinett. Knapp neun Monate nach seinem Amtsantritt konnte Premierminister Milojko Spajić von der Partei »Europa jetzt!« mit der Umbildung seine Regierungsmehrheit von 46 auf 53 Abgeordnete im 81 Sitze zählenden Parlament in Podgorica erweitern. Größe und Zusammensetzung der neuen Regierung des EU-Anwärters und NATO-Mitglieds hatten jedoch schon vor ihrer Bestätigung am Dienstag in der Volksvertretung zu einem Aufschrei geführt. Zusätzlich zu 23 bestehenden Ministerien wurden neun weitere geschaffen. Damit hat der kleine Staat an der Adria, der 670.000 Einwohner zählt, nun genauso viele Ministerien wie das benachbarte Serbien mit fast sieben Millionen Einwohnern. In Kroatien gibt es bei fast vier Millionen Einwohnern nur 19 Ministerien.

Die Regierungskoalition besteht aus fünf Parteien und zwei Parteibündnissen. Eines davon ist die montenegrinisch-serbische »Koalition für die Zukunft Montenegros«, welche die Ministerien für Bildung, Urbanisierung und Tourismus für sich gewinnen konnte und mit dem serbischen Nationalisten Andrija Mandić von der Partei »Neue Serbische Demokratie« bereits seit Oktober den Posten des Parlamentspräsidenten innehat. Der Transatlantiker Spajić dürfte ihm zu dieser einflussreichen Position verholfen haben, weil es ohne die serbischen Nationalisten kaum gelungen wäre, die alte mafiöse Regierung unter Milo Đukanović loszuwerden. Zum anderen konnte Spajić so die Ministerposten selbst anders besetzen.

Die politischen Positionen von Spajić und Mandić könnten nicht unterschiedlicher sein. Premier Spajić ist erst 36 Jahre jung und Liberaler aus tiefster Seele. Er betet die Götzen der Marktwirtschaft an – die Tempel seiner Religion liegen in Washington und Brüssel. Spajić feierte in der US-Botschaft den 4. Juli und verspricht, alle notwendigen Schritte zur EU-Integration durchzuführen und die NATO-Ziele zu erfüllen. Mandić hingegen ist 59. Er gehört zu den wenigen Profiteuren der Privatisierung Jugoslawiens und kam unter anderem durch Aluminiumminen zu Reichtum. Wenn es nach ihm ginge, würde Montenegro wieder Teil des Staatsgebietes Serbiens werden, aus der NATO austreten und Kosovo nicht weiter anerkennen. Andere Minister der neuen Regierung sehen die EU dagegen als Chance.

Im Dezember feierte Mandić an der Seite des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić dessen Wiederwahl. Belgrad hatte 2021 zwei Millionen Dollar für Nikšić gespendet, die zweitgrößte Stadt Montenegros, die zudem von Mandićs Partei regiert wird. Serbien ist der größte Handelspartner des Landes, wobei Montenegro mit seinem geringen Handelsvolumen und seiner wenig komplexen Wirtschaft kein großer Marktplayer ist. In Serbien dagegen realisiert die Regierung gerade zusammen mit dem australischen Konzern Rio Tinto die Erschließung der größten Lithiumvorräte Europas. Weil die Bevölkerung dagegen protestiert, holte sich Vučić beim Greenwashing Hilfe aus Berlin und lud Kanzler Olaf Scholz persönlich ein, um dem Vorhaben quasi ein EU-Gütesiegel zu verpassen.

Die guten Beziehungen zu Vučić lassen vermuten, dass Mandić und seine Partei das Thema EU-Integration ebenso pragmatisch angehen wie Serbiens nationalistische Staatsführung. Damit signalisiert die jüngste Kabinettsumbildung unterm Strich, dass man sich der EU weiter annähern will, wenn auch mit anderer Motivation. Mit Blick auf das Verhältnis zu den USA und zu Russland ist die Haltung eindeutiger. Wobei auch hier insgeheim ein gewisser Pragmatismus besteht, wie die Waffenexporte Serbiens an die Ukraine und Israel bewiesen. Der Nationalismus auf dem Balkan bleibt pragmatisch, solange die dortigen Kapitalfraktionen ihre Wirtschaftsinteressen verwirklicht sehen.

Premierminister Spajić wünscht sich überdies, aus Montenegro einen Staat wie die Schweiz oder Singapur zu machen – für jeden Realisten ein absolut lachhafte Vorstellung. Anders steht es um die Vorteile für einen Kapitalisten, der mit seiner Aluminiummine von der Zollfreiheit in der EU profitieren will.

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