Mit der Kamera schreiben
Von Matthias ReicheltAuf den quadratischen Fotografien von Akinbode Akinbiyi scheinen manchmal, zumindest auf den ersten Blick, beiläufige Momente festgehalten worden zu sein. Sie fordern zum gründlichen Studium der Motive auf. Einige Fotografien wurden aus schräger Perspektive aufgenommen, andere zeigen Menschen in Bewegung. Zwei weiße Jugendliche auf dem Bürgersteig, einer gestikulierend, dahinter ein Werbeplakat für das »Internationale Stadionfest Berlin« (2005) mit einem schwarzen Sprinter. Aufgenommen wurde das Bild im »Afrikanischen Viertel« in Berlin-Wedding. Während das Plakat den Läufer gestochen scharf abbildet, sind die davor flanierenden jungen Männer in ihren Bewegungen unscharf fixiert. Die Armbewegungen des einen Jugendlichen korrespondieren mit denen des Sprinters.
Das Foto ist Teil einer größeren Serie, die kolonialen Spuren in Berlin-Wedding folgt, die sich nicht zuletzt in Straßennamen finden, die an afrikanische Orte erinnern oder frühere Kolonisatoren ehren. Eine Fotografie, ebenfalls von 2005, hält den Eingang zur Kiezkneipe »Lüderitz-Eck« fest. Es macht deutlich, wie hartnäckig die alten »Kolonialherren« auch in der Alltagskultur präsent sind: Der Großkaufmann Adolf Lüderitz (1834–1886) war der erste deutsche Landbesitzer im heutigen Namibia.
Aufgrund von Protesten aus linken postkolonialen Kreisen benennen Bezirksverantwortliche hier und dort Straßen um. Für die nach dem Begründer der Kolonie »Deutsch-Ostafrika«, Carl Peters (1856–1918), benannte Allee wurde 2018 eine andere Referenz gefunden, sie sollte fortan an den Stadtverordneten Hans Peters erinnern. Akinbiyi war bereits 2005 auf seinen Wanderungen durch den Wedding nicht entgangen, dass ein Straßenschild von Aktivisten mit einer Folie überklebt worden war, die die Straße als Witbooi-Allee auswies – nach Hendrik Witbooi, bekannt geworden als »Kaptein« im Kampf gegen die deutschen Kolonialtruppen 1904/05 in Deutsch-Südwest.
»Ich wandere, staune und fotografiere, so einfach ist das im Grunde – was auch immer und wann auch immer. Ich sage gerne, dass es dabei keine Regeln gibt, keine kompositorischen Gesetze, die festlegen, was ich fotografiere oder eben nicht, was ich aufnehme«, sagt Akinbiyi. Der 1946 in Oxford geborene, seit 1991 in Berlin lebende Fotograf flaniert durch die Welt, ist im Grunde überall zu Hause, um zu »wandern, staunen und fotografieren«. Mit dem afroamerikanischen Autor und Poeten Langston Hughes (1901–1967), der seiner Autobiografie »I Wonder As I Wander« betitelte, bezeichnet Akinbode Akinbiyi die eigene Arbeit als »Photo Wander«.
Seit den frühen 1970ern – nach einem Literaturstudium zuerst in Ibadan, dann an der Lancaster University und in Heidelberg, wo er Deutsche Philologie studierte – widmet sich Akinbiyi der Fotografie als Form des Schreibens mit der analogen Kamera. Für sein Lebenswerk erhielt der 78jährige dieses Jahr den Hannah-Höch-Preis des Landes Berlin. Akinbiyi reist durch die Welt, unterrichtet, gibt Workshops, hat sich international nicht nur als Fotograf – seine Bilder befinden sich u. a. in der Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art –, sondern längst auch als Ausstellungsmacher einen Namen gemacht.
Die Ausstellung »Akinbode Akinbiyi – Beeing, Seeing, Wandering« in der Berlinischen Galerie zeigt Bilder aus sechs Serien, die der Fotograf jeweils über längere Zeiträume mit seiner zweiäugigen Rolleiflex 6 x 6 Spiegelreflexkamera mit ausklappbarem Schachtsucher machte. Die meisten gezeigten Aufnahmen sind schwarzweiß, ergänzt um eine Farbserie zum Thema Black Spirituality.
Man sollte meinen, dass für Akinbiyis Form der Straßenfotografie, die ja im Grunde rasch auf Szenen reagieren sollte, eine leichte, spiegellose Digitalkamera das besser geeignete Instrument wäre – schließlich ist die Rolleiflex 6 x 6 schwer und auffällig. Was ihn freilich nicht stört, im Gegenteil: Die Wahl demonstriert Akinbiyis Liebe zur analogen Fotografie, zur Entschleunigung, zur tief empfundenen bildgebenden Situation. Das Ergebnis sind sehr ausdrucksstarke Bilder.
Zwei Aufnahmen aus Lagos aus der Black-Spirituality-Reihe zeigen einmal aus erhöhter Perspektive das Straßengewühl der großen Stadt – mit unzähligen gelben Bussen, Autos, fliegenden Händlern, Marktständen. Damit kontrastiert die aus der Nähe gemachte Aufnahme einer Frau. Die Augen geschlossen, scheint sie versunken in eine religiöse Meditation.
»Akinbode Akinbiyi – Beeing, Seeing, Wandering«, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, 10969 Berlin, bis 14.10.2024
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