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Aus: Ausgabe vom 26.07.2024, Seite 15 / Feminismus
Polen

Frauenrechte geopfert

Polen: Proteste nach verpatzter Reform des Abtreibungsrechts
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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»Mein Körper ist kein Sarg«: Hunderte sind dem Aufruf der Organisation »Frauenstreik« am Dienstag in Warschau gefolgt

In Polen haben wieder Frauenproteste begonnen. Am Dienstag versammelten sich in etwa einem halben Dutzend polnischer Städte Aktivistinnen und verlangten den Rücktritt von Vizeregierungschef Władysław Kosiniak-Kamysz. Dessen Bauernpartei PSL war dafür verantwortlich, dass ein Gesetzentwurf zur Streichung des Straftatbestands »Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch« Mitte Juli im Parlament nicht durchkam, sondern mit den Stimmen der PSL, der PiS und der rechten »Konföderation« mit hauchdünner Mehrheit (218:215) abgelehnt wurde. Damit sind Angehörige, Freunde und Unterstützerinnen ungewollt schwangerer Frauen nach wie vor mit bis zu drei Jahren Gefängnis bedroht, wenn sie zum Beispiel Betroffene ins Ausland zum Abbruch begleiten. Dasselbe droht Menschen, die Schwangeren sogenannte Abtreibungspillen verschaffen oder Aktivistinnen von Frauennetzwerken wie dem »Abortion Dream Team«, die Kontakte zu Arztpraxen in Deutschland oder Österreich vermitteln, in denen Abbrüche vorgenommen werden.

Die Straßenproteste dieser Woche hatten weit weniger Teilnehmerinnen als in den vergangenen Jahren, als die PiS-Regierung diese Verschärfungen eingeführt hatte.

In Warschau waren bekannte feministische Aktivistinnen die Stimme des Protests. Marta Lempart vom »Gesamtpolnischen Frauenstreik« forderte PSL-Chef Kosiniak-Kamysz zum Rücktritt auf: Dafür sei die Koalition nicht gewählt worden. Doch diese Forderung hat nicht die geringste Chance auf Erfolg. Denn Ministerpräsident Donald Tusk, der die PSL zum Erhalt seiner Regierungsmehrheit benötigt, hat dem konservativen Teil seiner Koalition freie Hand für solche Alleingänge gegeben, indem er »Weltanschauungsfragen« aus dem Koalitionsvertrag herausgehalten hat. Man kann es auch so formulieren: Er hat die Frauenrechte, mit denen er 2023 Wahlkampf betrieben hat, der Koalitionsräson geopfert.

Auch Tusks eigene Partei, die »Bürgerkoalition«, war in der Abtreibungsfrage nur beinahe geschlossen. Drei ihrer Abgeordneten fehlten entschuldigt wegen Krankheit oder Dienstreise, der rechtskonservative Jurist Roman Giertych war vor der Abstimmung zur Toilette gegangen. Solches Einknicken vor entscheidenden Abstimmungen ist bei der Tusk-Partei nichts Neues. Schon 2012 hatten ähnliche Faktoren verhindert, dass der mehrfache Justizminister Zbigniew Ziobro wegen Verfehlungen aus seiner ersten Amtszeit 2005–2007 vor den Staatsgerichtshof gestellt wurde, was ihn politisch für lange aus dem Verkehr hätte ziehen können.

Die Ferienzeit könnte die schwache Beteiligung an den Protesten zum Teil erklären. Aber eben nur zum Teil. Eine Bewegung, die als schärfste Drohung das Argument aufbringt, Tusk beim nächsten Mal nicht wiederzuwählen, macht sich selbst zur Geisel der Politik, gegen die sie anrennt. Charakteristisch war der Dialog eines Paares, den ein Reporter des Portals gazeta.pl am Rande der Warschauer Kundgebung einfing. Sie: »Das vergesse ich Tusk nie, bei der nächsten Wahl bleibe ich zu Hause.« Er: »Dann kriegst du wieder Kaczynski.«

Dafür spricht ohnehin einiges. Denn das nächste »Reformprojekt« der Tusk-Koalition wird von der PiS schon heftig angegriffen. Und wieder wird es vor allem Frauen treffen. Es betrifft die Forderung des mitregierenden Linksbündnisses, eine Witwen-/Witwerrente in Höhe von 50 Prozent der Rentenansprüche des/der Verstorbenen einzuführen. Von den 50 Prozent sind noch 15 Prozent ab dem nächsten Jahr in der Diskussion, 2026 dann vielleicht 25, und ob sich der Staat ab 2027 eine solche Leistung noch leisten will, soll später entschieden werden. Wer den Militärhaushalt auf fünf Prozent des Sozialprodukts steigern will, muss halt Prioritäten setzen. Ein gesicherter Lebensabend für polnische Witwen gehört erkennbar nicht dazu.

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