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Aus: Ausgabe vom 29.07.2024, Seite 8 / Ansichten

Still ruht der Bau

Bundesregierung und Wohnungsnot
Von Arnold Schölzel
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Zuwenig, zu langsam: Wohnungsbau in Deutschland (9.7.2024)

Die Ankündigungen der »Ampel« lauteten: »Neue Wohngemeinnützigkeit«, »Wende auf dem Wohnungsmarkt«, 400.000 neue Wohnungen jährlich und »Aufbruch in der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik«. Das Resultat ist lächerlich bis katastrophal. Die Schlangen Wohnungssuchender in Großstädten sind bei Besichtigungsterminen länger als die vor angesagten Party­höhlen. Die Zahl der durch Kommunen untergebrachten Wohnungs­losen erreicht mit 440.000 Menschen einen neuen Rekord. Wer eine große Wohnung gegen eine kleinere tauschen möchte, findet kein bezahlbares Angebot. Die Zahl der Baugenehmigungen geht von Jahr zu Jahr zurück, entsprechend weniger wird gebaut. Wer Kriegstüchigkeit zur ersten Priorität macht, kann nicht die von Verbänden geforderten 50 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um dem Marktversagen zu begegnen. Das Ergebnis: Still ruht der Bau.

Wenn nun Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) Wohnungssuchenden, also vor allem Durchschnitts- und Kleinverdienern, zuruft: »Zieht doch aufs Land«, ähnelt das dem »Wenn sie kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen« – der Wanderanekdote aus dem Absolutismus. Die Bevölkerung murrt? Dann soll sie uns beim Schöner-Wohnen zusehen. Neben der Aufforderung zur Landlust steht im Geywitz-Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung daher auch der Satz »Gerade die Energiekrise hat die Regierung sehr gut gemanagt, wir haben uns im Rekordtempo von Putins billigem Gas unabhängig gemacht, ohne die Industrie und damit Arbeitsplätze zu gefährden oder kalte Stuben zu produzieren.« Wer Wählerzorn nicht fürchtet, legt immer noch eine Schippe drauf.

In der Arroganz dieser Ministerin (und des Kanzlers) ist die Entsozialdemokratisierung der SPD zu einem weiteren Ende gekommen. Geywitz ist nur konsequent. Sie wurde mit 16 Mitglied des von ostdeutschen Widerstandspastoren als antisoziale Partei gegründeten Vereins, war angeblich Punkerin und Hausbesetzerin, verteidigt die »Agenda 2010« bis heute und hält nichts davon, Wohnungskonzerne zu enteignen. Dazu passt, dass ihr Wohnort Potsdam 2023 mit 31,2 Prozent beim Anstieg der Preise für Erst- und Wiedervermietung bundesweit vorn lag. Gut gemanagt. Alles zusammen prädestiniert sie zur Bundesministerin in einem Kabinett, in dem sie zu den unbekanntesten Mitgliedern zählt.

Sie hat dort allerdings in Arbeitsminister Hubertus Heil einen Rivalen, der am Freitag in Texas die wahre Lösung aller Bauprobleme fand: Häuser aus dem 3D-Drucker. Das könnte die Parodie von »Still ruht der See« des Heinrich Pfeil noch rascher verwirklichen als die Geywitz-Losung »aufs Land«: »Still ruht der Bau, / die Maurer streiken, / Die Kelle liegt in guter Ruh, / Der Kalk vertrocknet in dem Kasten, / Weil man ihm gießt kein Wasser zu.« Wo Scholz, Geywitz, Heil und Co. etwas zu sagen haben, werden höchstens Tränen vergossen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Manni Guerth (29. Juli 2024 um 17:40 Uhr)
    Frage: Wie lange braucht man, um zu begreifen, dass Kapitalismus sich von Armut ernährt und das Volk im Kapitalismus nix zu sagen hat? 10 Jahre? 20 Jahre? 100 Jahre? Oder dreifache Wiedergeburt? Der Wohnungs- und Industriebau im Kapitalismus orientiert sich nicht an den Nöten und Sorgen der Menschen. Er bewegt sich, weil er Profite auf Kosten von Niedriglöhnen und geringen Sozialleistungen erwirtschaftet. Die gelbe Gewerkschaft IG BAU und ihre Demagogie in Sachen Sozialpartnerschaft sorgt dafür, dass die Bauarbeiter ihre Füße stillhalten und im Wachkoma dahindämmern. Täglich erfindet die Politikerkaste der BRD immer neue »Gründe« und »Argumente«, um die »Demokratie« zu verteidigen. Diese »Gründe« und »Argumente« werden dann über die Medien verbreitet. Damit füttern sie das Wachkoma der arbeitenden Bevölkerung. Seit über 60 Jahren höre ich fast regelmäßig die Schallplatte vom Wohnungsbaumangel. Sind es die Reichen, die Wohnungsmangel haben, oder sind es die armen Schlucker, die billigere Wohnungen benötigen? Hätten wir eine sozialistische Wirtschaft, gäbe es dieses Problem gar nicht. Hätten wir eine sozialistische Politik, dann gäbe es auch keine Armut und keine politisch kriminellen Wirtschaftseliten. Ist das so schwer zu verstehen?
  • Leserbrief von Christian Helms aus Dresden (29. Juli 2024 um 15:29 Uhr)
    Die gegenwärtige Wohnungsnot in den Ballungsräumen ist Folge massiven Politikversagens. So gab es vor 40 Jahren etwa vier Millionen Sozialwohnungen. Ende 2022 waren es lediglich noch rund 1,09 Millionen. Falsch war und ist die einseitige Förderung des Baus von Einfamilienhäusern. Ende 2021 gab es in Deutschland insgesamt 19 Millionen Wohnhäuser, 16 Millionen davon sind Einfamilienhäuser. Statistisch leben in jedem Einfamilienhaus 1,8 Menschen. Zudem benötigen Einfamilienhäuser sehr viel Bauland pro Person. Für Bau, Erschließung und Unterhaltung ist der Ressourcenbedarf pro Person besonders hoch. Ganz abgesehen von den Flächenversiegelungen angesichts des Klimawandels. Oft ist der Arbeitsplatz nur mit dem Auto erreichbar. Für die Finanz-, Immobilien- und Bauwirtschaft, letztlich auch für die Auto- und Mineralölindustrie, ist der Bau von Einfamilienhäusern jedoch ein gutes Geschäft. Nicht zuletzt trug auch der massenhafte Verkauf kommunaler Wohnungen an private Investoren zum Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Ballungsräumen bei. Wenn nun Herr Scholz jüngst vorschlug, am Rand der großen Städte 20 neue Stadtteile zu bauen, und jetzt Frau Gleiwitz den Wohnungssuchenden das Landleben empfiehlt, ist das Populismus. Denn das hochkomplexe Wohnungsproblem ist nur im Zusammenwirken der unterschiedlichsten Akteure lösbar: Immobilienbesitzer, Grundeigentümer, Stadtplaner, Architekten, Bauwirtschaft, Banken, Stadtverwaltungen … . Besonders gefragt ist dabei die Politik. Sie muss die Rahmenbedingungen schaffen: Bau- und Mietrecht, Steuer- und Förderprogramme, Denkmalschutzbestimmungen … Die Vorschläge von Herrn Scholz und Frau Gleiwitz können nicht über das Versagen der Wohnungspolitik hinwegtäuschen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Günter S. aus Bochum (29. Juli 2024 um 13:46 Uhr)
    Basisdemokratie nach Scholz-Art: Die SPD-Gemeinde darf kundtun, wen sie als Führungsduo an der Parteispitze sehen möchte. Sakia Esken und Norbert Walter-Borjans werden es. Scholz/ Geywitz gelten als rückwärtsverhaftet. Die beiden Gewählten sollen die neue Zeit sein: Re-Sozialdemokratisierung, gegen Hartz IV … Der Mainstream kotzt aus allen Rohren. Da fällt NoWaBo plötzlich sein Lebensalter ein, Jüngere müssen ran … bla, bla. Es tritt auf Stiefelchen, Soldatensohn von Herkunft und Geist. Die »Linke« Esken lebt im Keller. Eine Kabinettsbesetzung, die dem Mitgliederentscheid Rechnung trägt? Fehlanzeige. Stattdessen die alten Mottenköppe, ergänzt durch den Dürener Düsentrieb, der die Karre wieder mal in den Dreck lenkt, für seinen Kanzler aber von anderem Wert ist. Lehrt er doch den Hamburger rheinischen Frohsinn für den Weg jenseits der 10 Prozent. Scholz, der Friedenskanzler: Narhalla-Marsch! Die Partei kuscht. Auch unser Kevin, Generalsekretär, macht das allerliebst mit, steht am Rand und summt die alte sozialdemokratische Weise: »Seid ruhig und last euch nicht verdrießen, dass wir euch alle haben beschissen.«

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