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Aus: Ausgabe vom 29.07.2024, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Blick in die Schublade

Zu jW vom 19.7.: »Anschlag auf die ­Pressefreiheit«

Was dürfen wir eigentlich noch unzensiert in der Öffentlichkeit äußern? Was darf eine Zeitung noch für Meinungen vertreten? Der Begriff »Pressefreiheit« ist längst von der NATO- und USA-hörigen Regierungsclique und ihren Unterstützern ad absurdum geführt worden. Argumente werden von den Berliner Verwaltungsrichtern abgelehnt und zurückgewiesen, windige Behauptungen aufgestellt und unter anderem auf das willkürliche KPD-Verbotsverfahren zurückgegriffen.

Mache ich mich strafbar, wenn ich die Ideen von Marx, Engels sowie auch Lenin für richtig halte bei der Analyse bundesdeutscher Zustände und sie als Grundlage meiner Gedankengänge in der Öffentlichkeit heranziehe?

Vielleicht wirft ein von einem Berliner Verwaltungsrichter unterstützter Verfassungsschützer eines Tages einen Blick in meine Schreibtischschublade: In dieser liegt doch tatsächlich eine Gedenkmünze zu fünf D-Mark zum 100. Todestag (1983) von Karl Marx! Und wer hat sie herausgegeben? Laut Prägung die Bundesrepublik Deutschland!

Gerlach Fronemann, Leipzig

Gefeierte Verbrecher

Zu jW vom 15.7.: »›Asow‹ on the Road«

»Asow« feiert, um genau zu sein, die SS-Panzerdivision »Das Reich« als »Befreier von Charkow«, weil diese Mitte März 1943 Charkow von der Roten Armee zurückerobert hatte. Die Rote Armee hatte ihrerseits Charkow Mitte Februar 1943, kurz nach der deutschen Kapitulation in Stalingrad, von der Wehrmacht befreit. »Asow« schmückt sich auch mit dem Zeichen dieser SS-Division, nämlich der Wolfsangel. Mein Stiefvater berichtete einmal in den 1950ern meiner Mutter, dass er mehrmals in Charkow war, das letzte Mal nach dieser Rückeroberung. Und er sagte: »Da hatte die SS die Balkone mit Gehängten ›verziert‹!« Er sagte das so sarkastisch, um meiner Mutter, die wenig vom Geschehen an der Front wusste, klarzumachen, welche Verbrechen die SS dort begangen hatte. Diese von »Asow« gefeierten Verbrecher wurden später in den Westen verlegt. Dort beging am 10. Juni 1944 eine Einheit der von »Asow« bewunderten SS-Division, aufgefüllt mit zwangsrekrutierten Elsässern, das Massaker von Oradour sur Glâne in Frankreich. Die Kommandeure hatten solches in den besetzten Gebieten der Sowjetunion »gelernt«: Sie verübten dort regelmäßig derartige Massaker.

Maximilian Krah von der AfD wollte nicht alle SS-Leute als Verbrecher sehen; man müsse das im Einzelfall bewerten. Für diese öffentlich geäußerte Ansicht wurde er zu Recht scharf kritisiert. »Asow« treibt die Entschuldigung von SS-Verbrechern auf die Spitze: Sie feiern solche Verbrecher. Letztlich verehren sie die Kommandeure des Massakers von Oradour sur Glâne und verspotten jene, die am 10. Juni dieses Jahres der Opfer gedachten.

Die »Asow«-Auftritte in Deutschland sind zu verbieten.

Wolf Göhring, Bonn

Widerstand und Gedenken

Zu jW vom 20./21.7.: »Verschwörung gegen Hitler«

Cato Bontjes van Beek – diesen Namen tragen heute Straßen und Schulen. In Fischerhude besonders, wo die 1920 geborene Cato ihre Kinder- und Jugendjahre verbrachte. Im Herbst 1941 kam sie über Libertas Schulze-Boysen zur Widerstandsgruppe »Rote Kapelle«, mit der sie gemeinsam Flugblätter verfasste, die zum Widerstand gegen die faschistische Diktatur aufriefen. Das geschah zu einer Zeit, als diejenigen, die heute als die wahren Helden des Widerstandes gefeiert werden, die sogenannten Verschwörer des 20. Juli 1944 um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, noch eng mit Hitler verbunden und mit dessen Vernichtungspolitik einverstanden waren. Cato Bontjes van Beek wurde am 18. Januar 1943 vom Reichskriegsgericht mit seinem Chefankläger Manfred Roeder, der später auch der Ankläger Dietrich Bonhoeffers war, zum Tode durch das Fallbeil verurteilt, einen Monat vor der Festnahme der Geschwister Scholl und Christoph Probst in München. Die junge Cato wurde am 5. August 1943 in Plötzensee ermordet, ihr Chefankläger Roeder machte in der freiheitlichen BRD eine glänzende Karriere als CDU-Funktionär.

Das heutige Gedenken an das Attentat am 20. Juli 1944, so am vergangenen Wochenende mit Kanzler Scholz und »Wir müssen kriegstüchtig werden«-Minister Pistorius, ist das Paradestück der bundeswehreigenen Traditionspflege und wird mit einem pompösen Aufmarsch und feierlichen Gelöbnis im Berliner Bendlerblock zelebriert. Die staatsoffizielle Würdigung des 20. Juli 1944 wurde in den 50er Jahren zur entscheidenden Legitimationsgrundlage der Bundeswehr. Die Militärs in der »neuen Wehrmacht«/Bundeswehr hingegen – allen voran die Wehrmachtsgenerale wie »Legion Condor«-Flieger Heinz Trettner, später Generalinspekteur – wollten von den Eidbrechern gar nichts wissen. Keinen »Verräter« wollte man in der Bundeswehr dulden; massiven Widerstand gab es vom mächtigen Staatssekretär und Adenauer-Intimus Hans-Maria Globke, der einen Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen 1935 schrieb. In der verabschiedeten Himmeroder Denkschrift von 1950 sucht man einen Hinweis auf den militärischen Widerstand gegen Hitler und die Widerständler des 20. Juli 1944 vergeblich. Statt dessen wird ultimativ von den faschistischen Wehrmachtsgeneralen in Himmerod von Bundesregierung und Bundestag, von den westlichen Besatzungsmächten eine Ehrenerklärung für die Angehörigen der faschistischen Wehrmacht und der Waffen-SS eingefordert. Konrad Adenauer gibt sie am 3. Dezember 1952 in einer Sitzung des Bundestages.

Hannah Arendt zog das rigorose Fazit, man könne sich angesichts der Dokumente der Widerständler des 20. Juli 1944 schwer des Eindrucks erwehren, dass das, was man gemeinhin unter Gewissen versteht, in Nazideutschland längst verlorengegangen war.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen

Die staatsoffizielle Würdigung des 20. Juli 1944 wurde in den 50er Jahren zur entscheidenden Legitimationsgrundlage der Bundeswehr.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!