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Aus: Ausgabe vom 30.07.2024, Seite 6 / Ausland
Nahostkonflikt

Warum der 7. Oktober?

Der US-Journalist Jeremy Scahill hat Mitglieder der Palästinenserorganisation Hamas befragt
Von Helga Baumgarten, Jerusalem
ISRAEL-PALESTINIANS.JPG
Auch wenn vom eigenen Haus nur noch Trümmer stehen – Palästina wird bleiben (Khan Junis, 29.11.2023)

Mit seiner neuen Internetseite Dropsite News erfüllt der US-amerikanische Journalist, Autor und frühere Chefredakteur der Plattform The Intercept, Jeremy Scahill, exemplarisch die Aufgabe einer freien und kritischen Presse. In zwei langen Artikeln vom 9. und 12. Juli versucht er zum Beispiel, seinen Lesern ein Bild der Hamas zu vermitteln. Zunächst führte er ausführliche Interviews mit einer Reihe von Palästina-Kennern, die sowohl über Palästina und den Gazastreifen als auch über den politischen Islam und zur Hamas gearbeitet haben.

Damit folgt Scahill dem Beispiel von Helena Cobban aus Washington, D. C., unter den Palästina-Spezialisten in den USA eine der allerersten. Helena Cobban startete im Mai ihr Projekt »Versuch, Hamas zu verstehen, und warum es wichtig ist«. Auf ihrer Webseite »Just World Educational« gab sie fünf Hamas-Kennern die Chance, ausführliche Analysen vorzulegen und sich anschließend der Diskussion zu stellen.

Scahill ging jedoch noch einen Schritt weiter. Er versuchte, auch mit Hamas-Mitgliedern Interviews zu führen. Erstaunlicherweise gelang ihm das. Eine Reihe von Aktivisten sprach mit ihm, bestanden aber auf Anonymität. Zwei waren bereit, unter ihrem Namen zu sprechen: Ghāzi Hamad, Mitglied des Hamas-Politbüros, und Bassem Naim, ebenfalls Mitglied des Politbüros und ehemaliger Gesundheitsminister der Regierung in Gaza. Bassem Naim hat übrigens in Deutschland Medizin studiert.

Scahills Interpretation des 7. Oktobers auf der Grundlage seiner Interviews ist zentral: Hamas wollte den Status quo überwinden. Ghāzi Hamad formuliert es klar und deutlich: »Der Widerstand wird weitergehen, (…) bis wir die Besatzung beendet haben. Wir wollen nicht für immer als Sklaven unter der Besatzung leben.« Und Bassem Naim führt diese Position weiter aus: »Um ganz offen zu sprechen: Wir glauben, dass Palästina vom Fluss bis zum Meer (…) den Palästinensern gehört. Niemand hat das Recht, hier zu sein, außer den Palästinensern, die hier vor 1948 lebten, egal ob Muslime, Juden oder Christen. (…) Und wir werden dafür kämpfen, dass das historische Palästina befreit wird vom kolonialistischen Apartheidregime. Alle Palästinenser, unabhängig von ihrer Religion oder Ethnizität, müssen über die Zukunft des Staates entscheiden. (Aber) wenn wir heute unseren unabhängigen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 bekommen können, inklusive des Rechtes auf Rückkehr, dann werden wir das akzeptieren. Hamas respektiert den demokratischen Willen des palästinensischen Volkes zur Frage der Zweistaatenlösung. Wenn ein palästinensischer Konsensus erreicht ist, dass wir mit Hilfe der Internationalen Gemeinschaft unseren unabhängigen souveränen Staat bekommen in den Grenzen von 1967, mit Jerusalem als unserer Hauptstadt und inklusive des Rückkehrrechts, werden wir das akzeptieren und nicht blockieren.«

Wichtig festzuhalten ist, dass die Hamas seit ihrem Wahlprogramm 2005/2006 mit einer Zweistaatenlösung einverstanden wäre, vorausgesetzt, dass die Akzeptanz Ergebnis einer demokratischen Entscheidung der palästinensischen Gesellschaft ist. Der gegenwärtige Völkermord und die gnadenlose Zerstörung des Gazastreifens haben jedoch eine neue Situation geschaffen, wie Ghāzi Hamad betont: »Ich glaube, Frieden mit Israel ist unmöglich, weil diese Leute keine Palästinenser in Palästina akzeptieren. Sie wollen uns vertreiben. Das lässt uns keine Alternative als Widerstand gegen die Besatzung.« Mouin Rabbani, ehemaliger Mitarbeiter der International Crisis Group, stimmt zu: »Wir können mit diesem völkermörderischen Apartheidstaat nicht koexistieren. Ein nachhaltiger Frieden im Nahen Osten ist erst möglich, wenn dieses Regime überwunden ist.«

Die kanadische Autorin Naomi Klein, Mitglied von Jewish Voice for Peace, schloss sich laut The Guardian von Ende April an: »Wir brauchen den Exodus vom Zionismus (…). Wir wollen dieses falsche Idol des Zionismus nicht. Wir wollen frei sein von diesem Projekt, das in unserem Namen Völkermord begeht. Wir wollen frei sein von einer Ideologie, die keinen Plan für Frieden hat.«

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (29. Juli 2024 um 22:03 Uhr)
    Siehe auch diesen lesenwerten Artikel: Dr. Mohammed Al-Hindi, a top leader of Palestinian Islamic Jihad, discusses October 7, the war against Israel, and whether Trump or Biden would be better for Palestine https://www.dropsitenews.com/p/oslo-is-over ... PIJ’s founders rejected what they saw as the dogmatism of the Muslim Brotherhood, from which Hamas rose. »They did not just read Ibn Taymiyya. They didn't just read Sayyid Qutb. They didn't just read Hassan al-Banna. They read Lenin, they read Jean-Paul Sartre, they read Fyodor Dostoevsky. They read everything that they could come across as they tried to figure out the future and the way forward and out of that Palestinian impasse« …

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