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Aus: Ausgabe vom 30.07.2024, Seite 8 / Inland
US-Raketen in Deutschland

»Die BRD macht sich zum Angriffsziel«

Die Stationierung von US-Raketen in Deutschland steigert die Kriegsgefahr. Ein Gespräch mit Angelika Claußen
Interview: Gitta Düperthal
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Bringt sich in Stellung: Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) am US-Atombombenstandort Büchel (18.7.2024)

Kürzlich teilte die US-Regierung mit, ab 2026 neue Waffentypen in der BRD in Wiesbaden zu stationieren. Die Bundesregierung begrüßte das. Wie gefährlich kann das für die Bevölkerung werden?

Mit dieser Eskalation macht sich die BRD zum Angriffsziel: Hyperschallwaffen und die Mittelstreckenraketen »Tomahawk« haben große Reichweite, könnten atomar bestückt werden. Das bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine beginnende Wettrüsten geht mit der Erosion der Rüstungskontrolle einher und dem Aufkündigen von Verträgen wie dem INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme. Verteidigungsminister Boris Pistorius, SPD, bringt sich in Stellung, wenn er sagt, dass Russland ab 2029 einen NATO-Staat angreifen könne. Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, bekräftigt stets, Europa solle nicht in den Krieg hineingezogen werden, unternimmt aber keine Deeskalationsschritte. Obgleich die BRD nicht über eigene Nuklear­waffen verfügt, wird sie wegen der US-Militärbasen als NATO-Kernland gesehen: als erste Macht, die sich für den Krieg vorbereiten soll. Pistorius spricht von Kriegstüchtigkeit, wir verlangen Friedenstüchtigkeit.

Warum hängt ein Großteil der Regierenden und mittlerweile auch Teile der Bevölkerung dem Glauben an, eine Stationierung von Mittelstreckenraketen würde vor Krieg schützen?

Der Ukraine-Krieg ist nah, wird brutal geführt. Die Bundesregierung befördert die Angst der Bevölkerung, dass der Krieg auf Mitteleuropa und Deutschland überschwappen könnte, lässt sich vom führenden NATO-Staat USA treiben. Auch Großbritannien wirkte mit, damit es im März/April 2022 in Istanbul nicht zu einer Übereinkunft zwischen Russland und der Ukraine kam. Ob die Verhandlungen zum Erfolg geführt hätten, weiß man nicht. Alles vom Tisch zu wischen, war aber keine Lösung.

Warum ist die Bundesregierung wenig begeistert, wenn der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij ankündigt, er könne sich vorstellen, mit russischen Vertretern und sogar mit Präsident Wladimir Putin selbst über einen Frieden zu verhandeln?

Es geht um geopolitische Machtkonstellationen: Auf der einen Seite die BRICS-Staaten, auf der anderen das transatlantische Bündnis. Deeskalation würde heißen, miteinander ins Gespräch kommen. US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump droht mit aggressiver Auseinandersetzung mit China und nuklearer Aufrüstung. China folgt als einziges Land der Doktrin, keinen Erstschlag zu machen. Die Bundesregierung könnte von den USA, Frankreich, Großbritannien fordern, gemeinsam mit China auf Russland zuzugehen, ebenfalls darauf zu verzichten. Aus friedenslogischer Sicht handelt die Bundesregierung zu unterwürfig gegenüber den USA, die einzige Weltmacht bleiben wollen.

Laut Militärs in TV-Talks sei es zu früh, Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu verhandeln.

Manche junge Bundestagsabgeordnete, die weder vom Zweiten Weltkrieg, noch vom Kalten Krieg viel wissen, hören begierig sogenannten Sicherheitsexperten wie Carlo Masala und Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr zu. Militärs, die andere Perspektiven vertreten, wie etwa Oberst a. D. Wolfgang Richter aus der DDR, bis 2009 Leiter des militärischen Anteils der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der OSZE in Wien, werden zu TV-Talks kaum eingeladen. Er spricht russisch, auch mit russischen Generälen, schaut differenzierter auf den Krieg.

Warum erlebt die Friedensbewegung keinen Aufschwung?

Viele Menschen verschließen ihre Augen vor den Folgen herbeigeredeter »Kriegstüchtigkeit«. Beispiel: Wenn SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine »Zeitenwende für das Gesundheitswesen« einfordert, weil Deutschland im Bündnisfall zur Drehscheibe bei der Versorgung von Verwundeten auch aus anderen Ländern werden könnte, heißt das im Klartext: Zivile Patienten müssten bei der medizinischen Versorgung hinter der Versorgung verletzter NATO-Soldaten zurückstehen.

Angelika Claußen ist Kovorsitzende der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW)

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