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Aus: Ausgabe vom 30.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Bayreuther Festspiele

Der Gang vor die Hunde

Riff der Skatologie. Der Wind weht nicht mehr so frisch der Heimat zu: »Tristan und Isolde« bei den Bayreuther Festspielen
Von Maximilian Schäffer
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»Wie sich die Herzen wogend erheben« – Camilla Nylund (l.) als Isolde und Andreas Schager als Tristan

»In Bayreuth ist auch der Zuschauer anschauenswert.«

Friedrich Nietzsche, »Richard Wagner in Bayreuth«

Grüne Fürze stinken stärker. Frau Roth, die Kulturstaatsministerin, hatte im Vorfeld ein Häufchen Treppenwitz auf dem Grünen Hügel hinterlassen. In Bayreuth, so grinste sie nach dem Malheurchen, solle man doch außer den zehn deutschen Märchen des Meisters auch einmal »Hänsel und Gretel« spielen. Frau Roth, eine Grüne, pflegt, ganz im Geiste ihrer Partei, faulige Pennälerwitze auf die BRD zu verteilen. Die Inkontinenten in Bayreuth fanden das gar nicht witzig. Es geht hier schließlich um ihre Lieblingswindel: die deutsche Romantik. Deren geblähtestes Paar durfte sich dieses Jahr in neuen Gewändern räkeln. »Tristan und Isolde«, frisch gewickelt vom Isländer Thorleifur Örn Arnarsson. Vier Stunden Flatulenzen der Liebe, dazwischen zwei Stunden erholsame Windstille.

Zum Schlagerfest der Furzmusik rollten vor: Patrick Lindner mit Mann. Hubert Aiwanger mit Kirschkönigin Lena von Franken. Roberto »Wir Schwarzen müssen zusammenhalten« Blanco Arm in Arm mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Vicky Leandros und Claudia Roth. Letztere wurde erwartungsgemäß ganz böse ausgebuht, weil in Bayreuth das Furzen wenn dann und überhaupt nur während der Tutti erwünscht ist. Das hat gute Tradition. Zu diesem Zwecke gibt es im Festspielhaus nicht mal eine Klimaanlage.

Zur Onlinepresseflatulenz durften akkreditierte Journalisten folgendes erfahren. Erstens: 28 Millionen Euro Budget werden zu 55 Prozent durch Kartenverkäufe erwirtschaftet. 35 Prozent muss der Steuerzahlen abdrücken. Den Rest erledigen liebe Freunde namens Pricewaterhouse Coopers, American Express, Privatbank Quirin, Rantum Capital und deren Heer namentlich unbekannter Servicekräfte. Zweitens: Der Wagner ist toll, das Festspielhaus ist toll, der Orchestergraben ist toll. Drittens: Festspielleiterin Katharina Wagner pflegt arbeitende Musiker unverändert mit Coronazwangstests zu beschwurbeln. Viertens: Frau Roth furzt sehr unangenehm.

Andreas Schager brüllte den Tristan auf beständiger Lautstärke. Camilla Nylund japste die Isolde dazu. Beide starben. Günther Groissböck erhielt als König Marke ungefähr so wenig Applaus wie die diesjährige Festspielbratwurst mit homöopathischer Bekreisung von Champagner im Brät zu 7,50 Euro. Ólafur Sigurdarson als Kurwenal wurde arthritisch beklatscht. Christa Mayer und ihr Dauervibrato als Brangäne, erweckte alle Toten zum Leben. Semjon Bytschkow, Chef der Tschechischen Philharmoniker, durfte trotz Russland-Hintergrund dirigieren und erhielt den meisten Beifall. Die Regie hatte die Sänger in ein hübsches Bühnenbild geworfen, aber wie immer versagt, weil ein Wagnerianer überhaupt keine Kunst halt nicht mag. Außer sie furzt großdeutsch.

In Bayreuths schönstem Biergarten, dem Plectrum, wo die Halbe EKU-Pils vom Fass unbezuschusst nur 3,60 Euro kostet, lässt es sich am nächsten Tag gut sinnieren über den ganzen Durchfall, der zielstrebig vom Hügel nach unten schießt. Frau Roths kleiner Märchenfurz und des Söders hurrikanische Antwort stehen für den Gang vor die Hunde. Nicht einmal mehr Prominenz interessiert sich für diese Festspiele, deren Publikum sich aus koprophilen Provinzlingen speist, die einmal dabei gewesen sein wollen. Ironie und große Waffen taugen zur Desinformation der Bevölkerung genauso wie schwachsinnige Elitenkultur – da sind sich Söder und Roth so einig wie die Aktionäre von Rheinmetall.

Unten am Durchfallfuß des Hügels standen Demonstranten zwischen Polizisten, bestimmt 15 an der Zahl. Für Klima, Transrechte und Hautfarben demonstrierten sie, konnten ja nicht wissen, dass die Festspiele notwendige Maßnahmen wie Drag-Show, Diversity und Holzlöffel in den letzten Jahren schon längst umgesetzt hatten. »#Taxtherich« ward auf ein Transparent gekritzelt – besteuert die Reichen. Steuern sind ein Mythos, aber Fürze kann man anzünden.

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