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Aus: Ausgabe vom 31.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Venezuela

Kampf um den Volkswillen

Venezuela: Außenpolitische Lagerbildung nach der Wiederwahl von Nicolás Maduro. Warnung vor dem Staatsstreich
Von Volker Hermsdorf
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Ausschreitungen der rechten Opposition nach den Wahlen waren seit langem absehbar (Caracas, 29.7.2024)

Amerikas Rechte schäumt vor Wut und Enttäuschung über den Wahlsieg von Nicolás Maduro in Venezuela. Teile der dortigen Opposition und deren Unterstützer setzen nun alles daran, um dessen Amtsantritt im Januar noch zu verhindern. Als erster hatte Argentiniens Staatschef Javier Milei bereits während der Auszählung zu einem Militärputsch aufgerufen. Auch die USA, die seit 1999 vergeblich versuchen, das von Hugo Chávez initiierte Projekt der Bolivarischen Revolution zu zerstören, geben sich noch nicht geschlagen. US-Außenminister Antony Blinken äußerte zunächst »ernste Bedenken«. Wenig später titelte die in Miami erscheinende Tageszeitung Nuevo Herald, die »USA befürchten Gewalt nach Maduros Wahlsieg in Venezuela«. Maduro warnte daraufhin am Montag vor einem »faschistischen und konterrevolutionären Staatsstreich«, der darauf abziele, eine Parallelregierung zu errichten, wie sie einst vom ehemaligen Abgeordneten Juan Guaidó angeführt wurde.

Das Drehbuch dafür ist bereits seit längerer Zeit geschrieben. Gut zwei Wochen vor den Wahlen hatten US-Medien wie der Nuevo Herald Umfragen veröffentlicht, die eine Zweidrittelmehrheit für den Kandidaten des rechten Oppositionsbündnisses, Edmundo González Urrutia, voraussagten. Dieser fungierte als Ersatzkandidat für die ultrarechte Vertreterin der Oligarchie, María Corina Machado, die wegen Steuerhinterziehung nicht selbst kandidieren durfte, im Hintergrund aber trotzdem die Fäden zog. »Wir haben gewonnen«, erklärte sie schon vor Bekanntgabe der ersten Ergebnisse und berief sich unter anderem auf eine Nachwahlbefragung der US-Firma Edison Research, laut der González auf knapp 70 Prozent gekommen se, obwohl die Washington Post bereits 2020 wegen »erheblicher Mängel« vor den »Exit Polls« dieses Unternehmens gewarnt hatte. Ihre Gefolgsleute würden deshalb in den nächsten Tagen »Aktionen zum Schutz der Wahrheit und des Volkswillens« durchführen, kündigte sie an. Noch am selben Tag waren in einigen Stadtteilen von Caracas die aus dem Putsch gegen Salvador Allende in Chile bekannten »Cacerolazos« zu hören, bei denen Oppositionsanhänger als Zeichen des Protestes auf Töpfe schlagen. Zur Untermauerung ihrer Vorwürfe forderte die Rechtspolitikerin »eine transparente Auszählung sowie Zugang zu allen Wahlakten, die der Opposition teilweise verwehrt« worden seien. Dieser Forderung schlossen sich Vertreter der USA, aber auch die EU, die Vereinten Nationen sowie mehrere lateinamerikanische Regierungen an. »US-Beamte hatten schon seit Tagen ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass Maduro versucht, die Wahl zu fälschen«, skandierte das Leitmedium der Contras in Miami, der Nuevo Herald.

Tatsächlich hatte der Präsident des Nationalen Wahlrates (CNE), Elvis Amoroso, in der Nacht zum Montag eine verspätete Bekanntgabe der Ergebnisse mit einem Hackerangriff auf das Wahlsystem begründet. Dennoch sei die Wahl transparent verlaufen, und die Ergebnisse seien glaubwürdig, meint der Politikwissenschaftler Martín Pulgar in einem RT-Interview. Da zusätzlich zur elektronischen Stimmabgabe Kontrollausdrucke auf Papier existieren, sind Fälschungen praktisch ausgeschlossen und eine Überprüfung möglich. Am Montag nachmittag kündigte Generalstaatsanwalt Tarek William Saab an, dass der CNE alle Ergebnisse und Protokolle der Präsidentschaftswahlen »bald auf seiner Website im Internet« veröffentlichen werde. Er hoffe, dass dies den »Unstimmigkeiten im Prozess« ein Ende setzen und Zweifel beseitigen werde. Ermittlungen seiner Behörde hätten ergeben, dass der Computerangriff auf das Datenübertragungssystem des CNE von Nordmazedonien aus durchgeführt worden sei und darauf abzielte, Daten zu manipulieren, die beim CNE empfangen wurden. Nach den bisher vorliegenden Informationen seien daran Lester Toledo, Leopoldo López und María Corina Machado beteiligt gewesen, erklärte der Staatsanwalt. Toledo und López, die in Venezuela wegen diverser Vergehen verurteilt wurden, hatten sich beide auf der Flucht vor der Justiz nach Spanien abgesetzt. »Diese Aktion wurde gestoppt, sie wurde verhindert, aber es gelang ihnen, die Übertragung zu unterbrechen und zu verlangsamen. Allerdings wollten sie nicht nur das, sondern die Übertragungsprotokolle des Systems verfälschen«, so Saab.

Die internationalen Reaktionen auf den Wahlausgang entsprechen den gegensätzlichen globalen Interessen. Ebensowenig wie es überrascht, dass die Regierungen von Bolivien, Honduras, Kuba, Nicaragua, China, Russland oder Iran Maduro sofort zum Wahlsieg gratulierten, verwundert die Ablehnung des Ergebnisses durch die USA, die EU und rechte Regime in Lateinamerika, deren Position vom sozialdemokratischen chilenischen Präsidenten Gabriel Boric unterstützt wird, nicht. Die Regierungen Brasiliens, Mexikos, Kolumbiens und andere wollen die detaillierte Veröffentlichung der Ergebnisse abwarten und äußerten sich ähnlich wie UN-Generalsekretär António Guterres, der erklärte, er vertraue darauf, dass »die Wahlstreitigkeiten friedlich gelöst werden«, und alle Akteure zur Mäßigung aufrief. In Europa forderten die spanischen Linksparteien Podemos und Izquierda Unida zur Anerkennung des Wahlergebnisses auf. »Das Volk hat gesprochen, und sein Wille muss respektiert werden. Die Rechte unterstützt die Demokratie nur, wenn sie gewinnt, und das ist inakzeptabel«, sagte Podemos-Generalsekretärin Ione Belarra. Derweil teilt die argentinische Journalistin Telma Luzzani den von Maduro geäußerten Putschverdacht. Im Radiosender AM 750 verwies Luzzani darauf, dass die von der Opposition erhobenen Betrugsvorwürfe »ein Muster wiederholen, das bereits beim Wahlsieg von Joseph Biden in den USA zu sehen war, auch wenn das dramatischste Beispiel die Ereignisse in Bolivien waren. Wir sehen, dass es sich um ein Modell handelt, das Tage im voraus angekündigt wurde. Edmundo González hatte bereits vorab erklärt, dass er das Ergebnis nicht anerkennen werde«, so die Journalistin.Siehe Kommentar Seite 8

Hintergrund: Guaidó 2.0

Der Nationale Wahlrat (CNE) Venezuelas hat Nicolás Maduro am Montag (Ortszeit) offiziell zum wiedergewählten Präsidenten für die Jahre 2025 bis 2031 erklärt. Doch Teile der Opposition, die USA und eine Reihe anderer Länder wollen das nicht akzeptieren.

»Sie versuchen, in Venezuela erneut einen Staatsstreich faschistischer und konterrevolutionärer Natur, eine Art Guaidó 2.0, durchzusetzen«, erinnerte Maduro an ähnliche Vorgänge vor fünf Jahren. Am 15. Januar 2019 hatte die von der rechten Opposition beherrschte Nationalversammlung Maduros Wiederwahl für »unrechtmäßig« und künftige Entscheidungen der Regierung für »nichtig« erklärt. Acht Tage später ernannte sich der bis dahin weitgehend unbekannte Abgeordnete Juan Guaidó von der durch die späteren Justizflüchtlinge Leopoldo López und Lester Toledo gegründeten Rechtspartei Voluntad Popular selbst zum »Interimspräsidenten«. Die USA und ihre Verbündeten, darunter auch Deutschland, hatten kein Problem damit, den durch keinerlei Wahl legitimierten Jungpolitiker als »legitimen Präsidenten« Venezuelas anzuerkennen. Doch das Projekt scheiterte kläglich, und die USA ließen den erfolglosen Guaidó am Ende fallen wie eine heiße Kartoffel. Im Januar 2021 beschloss die EU, Guaidó nicht mehr als Präsidenten anzuerkennen.

Bis dahin hatten Washingtons Zögling und seine Unterstützer jedoch etliche gewaltsame Aktionen provoziert sowie Invasions- und Putschversuche unternommen. Heute würden »dieselben Gruppen, die vom US-Imperium angeführt werden und versucht haben, dem venezolanischen Volk unter Umgehung der Verfassung einen falschen Präsidenten aufzudrängen, dieselbe Operation proben«, warnte Maduro. Es sei »derselbe Film mit denselben Hauptdarstellern«, die zur Aggression aufstacheln und Venezuela Schaden zufügen wollten, sagte er. »Auf der einen Seite steht das Volk, das Frieden, Demokratie, Wohlstand und Fortschritt will, und auf der anderen Seite stehen hasserfüllte Eliten mit einem konterrevolutionären Projekt, das mit dem US-Imperium verbunden ist.«

Im Land breite sich derzeit die Sorge vor einer Neuauflage der vor zehn Jahren als »Guarimbas« bekannt gewordenen gewaltsamen Proteste aus, berichtet jW-Reporterin Julieta Daza aus Caracas. »In vielen Stadtteilen fanden den ganzen Tag über ›Cacerolazos‹ statt. Viele Geschäfte blieben geschlossen. In einigen Teilen der Stadt demonstrieren Anhänger von Machado und González, bauen anscheinend sogar Barrikaden auf und legen Brände. In den sozialen Netzwerken kursieren viele Videos davon, doch ist nicht klar, was davon wahr ist und was nicht. Machado behauptet, sie habe die Akten der Wahllokale, und diese zeigten, dass González der Wahlsieger sei«, schildert Daza ihre Eindrücke vom Montag (Ortszeit).(vh/jd)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred P. aus Hamburg (31. Juli 2024 um 21:54 Uhr)
    Der Weg von Fort Gulick nach Ramstein

    »Nur der größte Optimist kann hoffen, daß die gewaltsame Lösung politischer Probleme künftig aufgegeben wird. Es ist sicher wahrscheinlicher, daß man nach anderen Methoden der Gewaltanwendung suchen wird und unter diesen verdient der Staatsstreich in jeder Hinsicht die größte Aufmerksamkeit« (Aus dem 1973er Lehrprogramm des Fort Gulick; Julius Mader, Instruction 37/57, S.53, Militärverlag der DDR 1974). Dieser stellt »nach sorgfältiger Planung« und unter Führerschaft der USA und des CIA »in der Tat die ästhetisch am meisten befriedigende und humanste Art aller militärischen Operationen (dar)«. Am Beispiel Chile 1973 hat sich gezeigt, dass die Zielerreichung optimal »durch ein oder zwei geschickte Morde …« am besten geeignet scheint (René Schneiderr, Alberto Bachelet u.a.). Ohne auf den weiteren Verlauf des Putsches in Chile weiter einzugehen, sollte ein Aspekt der damaligen Vorgeschichte noch Erwähnung finden. William Colby als frischgebackener CIA-Chef (1973-76) hatte die Idee, auf Kirchen- und Häuserwände von Faschisten Parolen malen zu lassen, die ganz klar zu Sabotage- u. Störaktionen der staatlichen Betriebe aufriefen. Die Terrororganisation »Patria Y Libertad« ermordete am 26. Juli 1973 Allendes Marineadjutanten Arturo A. Peeters. »Am selben Tag wurde der erste Sabotageakt verübt. Andere Beispiele sind die Verursachung eines Stromausfalls während einer Allende-Sendung« (wiki). Aktuell wiederholt sich das Klopfen auf Töpfe und Pfannen der Bourgeoisie u. der inszenierte Straßenterror in Caracas nach dem chilenischen Modell! CIA-Colby hatte sich im Sinne des Terrors u. der Subversion lange vorher bewährt: »meine Aufgabe war, ganz einfach gesagt, zu verhindern, dass Italien bei den nächsten Wahlen im Jahr 1958 von den Kommunisten übernommen wurde.« Geschichte wiederholt sich. Auch wenn Maduro die ganze Wahrheit noch nicht wissen will, diese historischen Ereignisse sollten in ihm Warnung und Vernunft wachsen lassen.
  • Leserbrief von Andreas Kubenka aus Berlin (31. Juli 2024 um 16:38 Uhr)
    So sind die »freien« Medien des Westens: Wenn in den USA nach einem knappen Wahlausgang die Unzufriedenen dem Machtzentrum einen Besuch abstatten, dann kann das nur ein »Putschversuch« gewesen sein und wird über Jahre als solcher angeprangert. Wenn hingegen in Venezuela die unterlegene Opposition gegen die – bei unseren Imperialisten einigermaßen unbeliebte – Regierung aufsteht, dann muss das eine lupenreine Demokratiebewegung sein.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (30. Juli 2024 um 20:12 Uhr)
    Ist die Überschrift »Kampf um den Volkswillen« für diesen Artikel zutreffend? Was in Venezuela und derzeit abgeht, war vorhersehbar - ohne Glaskugel und Phantasie. Die Farce Guaidó geht in die nächste Runde: andere Maske, gleiches Schauspiel. Schlag nach bei Shakespeare, da steht was drin: »Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.« Den Wertewesten interessiert der Volkswillen nur, wenn er sich nützliche Idioten unterordnen kann.

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