Weiter Spielraum
Von Felix JotaFür die Parteien Die Linke und CSU kann das Urteil aus Karlsruhe zum rettenden Strohhalm für den Verbleib im Bundestag werden. Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur jüngsten Wahlrechtsnovelle der Ampelkoalition verkündet. Die im März 2023 beschlossene Reform wurde in weiten Teilen nicht beanstandet, aber dafür höchstrichterlich in dem für die beiden Parteien entscheidenden Punkt moniert: Karlsruhe erklärte die Aufhebung der sogenannten Grundmandatsklausel für verfassungswidrig und setzte diese bis zu einer Neuregelung wieder in Kraft. Das könnte der zuletzt in den Umfragen bei drei Prozent liegenden Linkspartei den Wiedereinzug ins Parlament sichern, ebenso der CSU.
Die Grundmandatsklausel besagt, dass Parteien auch dann ins Parlament einziehen können, wenn sie mit ihrem Zweitstimmenergebnis unter der Fünfprozenthürde landen. Benötigt wird dazu eine Mindestzahl von drei Direktmandaten. So schaffte es die Linkspartei bei der Bundestagswahl 2021 trotz weniger als fünf Prozent der Stimmen in Fraktionsstärke ins Parlament, dank der Direktmandate von Sören Pellmann in Leipzig sowie Gregor Gysi und Gesine Lötzsch in Berlin. Die nur in Bayern antretende CSU wiederum könnte bei der kommenden Bundestagswahl auf die Ausnahmeregel angewiesen sein. Sie kam bei der Wahl 2021 bundesweit auf 5,2 Prozent. Sollte sie im September 2025 unter fünf Prozent rutschen, wäre die Grundmandatsklausel der Weg zurück in den Bundestag. Die allermeisten Wahlkreise dürfte die bayerische Regierungspartei dort direkt gewinnen.
Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP hatte im März 2023 der Änderung zugestimmt. Offizielles Ziel war, das stete Anwachsen des Parlaments durch Überhang- und Ausgleichsmandate zu stoppen. Derzeit sitzen 734 Abgeordnete im Bundestag, künftig sollen es maximal 630 sein. Dafür soll die Streichung der Überhang- und Ausgleichsmandate sorgen. Es sollen nur noch so viele Direktkandidaten ins Parlament einziehen, wie der jeweiligen Partei nach dem Ergebnis der Zweitstimmen zustehen. Gegen die Reform waren die bayerische Staatsregierung, 195 Mitglieder der Unionsfraktion im Bundestag, Die Linke im Bundestag sowie die Parteien CSU und Linke vorgegangen. Zudem hatten mehr als 4.000 Privatpersonen eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.
In der Streichung der Überhang- und Ausgleichsmandate sahen die Karlsruher Richter keinen Verstoß gegen die Verfassung. Vielmehr sei es vom Spielraum des Gesetzgebers gedeckt, dies so zu entscheiden. Wahlkreisabgeordnete seien auch nicht »Delegierte ihres Wahlkreises«, sondern Vertreter des ganzen Volkes. Das neue »Zweitstimmendeckungsverfahren« führe zu einer Verteilung der Sitze im Bundestag nach dem Wahlergebnis für die Partei. Dies sei bei dem Modell der Ausgleichsmandate im Ergebnis nicht anders gewesen.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte in seinem Urteil, dass der Gesetzgeber einen weiten Spielraum hat, das Urteil umzusetzen. So könne die Sperrklausel auch insgesamt abgesenkt werden. Der Linke-Politiker Gregor Gysi hält die rasche Verabschiedung eines neuen Wahlrechts für die Bundestagswahl 2025 für denkbar. Es gebe Varianten, die der Gesetzgeber noch finden könne – »ob er die noch findet vor der nächsten Bundestagswahl oder erst danach, ist offen«, sagte Gysi nach der Verkündung des Urteils in Karlsruhe. Sollte die Grundmandatsklausel erhalten oder die Prozenthürde gesenkt werden, zum Beispiel auf dreieinhalb oder vier Prozent, würde er das »sogar sehr begrüßen, weil dann mehr demokratische Parteien in den Bundestag einziehen könnten«.
Für Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, lässt das aktuelle Urteil Spielraum für mögliche Änderungen nach der nächsten Bundestagswahl. Die CSU-Politikerin stellt vor allem infrage, dass einige Wahlkreissieger leer ausgehen könnten. »Dass Wahlkreise nicht zugeteilt werden, mag juristisch vertretbar sein – es ist allerdings demokratiegefährdend«, sagte Lindholz am Dienstag in Berlin. Die Regelung müsse abgeschafft werden.
Das Urteil war bereits am Montag abend vorübergehend auf der Internetseite des Verfassungsgerichts abrufbar gewesen. Entsprechend hielt sich die Überraschung bei der Urteilsverkündung in Grenzen. Wie es zu dieser Panne kommen konnte, werde derzeit geprüft, erklärte Doris König, Vizepräsidentin des Gerichts.
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