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Aus: Ausgabe vom 31.07.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Bis zur Rente unsterblich

Bürokratie verhandelt Paradoxien, aber die Ordnung bleibt bestehen: »Deadpool & Wolverine« in der Defensive
Von Marc Bebenroth
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Altern nicht: Hugh Jackman (l.) und Ryan Reynolds treffen im Nirgendwo auf »Dogpool« Peggy

»Deine Angewohnheit, von der Schwelle des Todes zurückzukommen, hat nichts mit deinem ­Heilungsfaktor zu tun. Deine Mutantenkraft ist nicht Regeneration, ­sondern Popularität.«

Deadpool zu Wolverine in »Deadpool Kills the Marvel Universe« (2012)

James Mangold war das schier Unmögliche gelungen. Er hatte Wolverine getötet und so der ikonischen Marvel-Comicfigur, bislang ausschließlich von Hugh Jackman gespielt, 2017 mit »Logan« einen Abschied erster Güte beschert. Doch im Marvel Cinematic Universe (und bei Disney erst recht) ist nie wirklich Schluss. Davon profitiert Shawn Levys »Deadpool & Wolverine«, der nunmehr dritte Teil der Reihe um den von Ryan Reynolds verkörperten Deadpool, dem Söldner mit Plappermaul (»Merc with a Mouth«) und der alle Wunden heilenden Mutantenqualität.

Die Frage, wie das Team-up der titelgebenden Figuren mit Mangolds »Logan« vereinbar sein soll, wird unmittelbar zu Beginn des Films in einem für die Reihe typischen Prolog abgeräumt. Der Schändung des Wolverine-Grabes aus dem »Logan«-Finale folgt eine Actionsequenz mit der originellen Idee, das Metallskelett des verstorbenen Helden, Klauen inklusive, als Waffe im Kampf gegen ein gutes Dutzend Schergen einzusetzen.

Zunächst reißt der Film Wade Wilson alias Deadpool aus seiner mühsam bürgerlichen Existenz als Autoverkäufer. Eine interdimensionale Megabehörde namens Time Variance Authority (TVA) entführt ihn. Diese Mischung aus NASA, FBI und Gestapo entscheidet über das Fortbestehen bzw. die Auslöschung ganzer Universen. Der britische Bürokrat Mr. Paradox (Matthew Macfadyen) bereitet dafür den Boden: Deadpool darf in die erste Riege der Marvel-Superhelden aufsteigen, sofern er seine Wahlfamilie aus den vorherigen Filmen in ihrem dem Untergang geweihten Universum zurücklässt. Darin liegt auch der Kniff, mit dem »Deadpool & Wolverine« das Erbe von »Logan« bewahren und zugleich ignorieren kann. Denn ausgerechnet der auch von Mr. Paradox mit Tränen gewürdigte Heldentod am Ende von Mangolds Film sei die Ursache für die langsame Auflösung von Wades Universum. Dieser Wolverine war das »Ankerwesen«, das alles zusammengehalten hatte.

Doch Wade erkennt, dass man einen alternativen Wolverine finden muss. Deadpool wird am Ende mit der seelisch kaputtesten, mitleiderregendsten Variante aller Paralleluniversen vorliebnehmen müssen, die selbstredend auch von Jackman gespielt wird. Wiederholt merkt Deadpool übrigens an, dass Disney den 55jährigen Australier für die Rolle rekrutieren wird, noch bis der 90 ist. Dem Suff verfallen – eine schöne Leistung, da sein Körper dank Superheilung Alkohol rasend schnell abbauen kann –, hat auch dieser Logan zwar keinen Bock auf den Job, allerdings gegen Deadpool keine Chance, ihn abzulehnen. In der TVA akzeptiert Mr. Paradox diesen jämmerlichen Ersatzmann allerdings nicht. Deadpool und der am Boden liegende Wolverine werden von ihm in eine Müllhaldenwelt namens »Void« verbannt.

Dort fristen alle Marvel-Rejects ihr karges Dasein. Das Duo muss sich aufraffen, gegeneinander kämpfen, dann zusammenraufen und den Häschern der Herrscherin über diese Quasi-Mad-Max-Welt die Stirn bieten. Doch anders als noch in »Deadpool 2« sind die Verbündeten diesmal nicht wild zusammengewürfelte Einwegfiguren, die für einen Witz verheizt werden. Dem Kampf gegen Superschurkin Cassandra Nova (Emma Corrin) – eine Soziopathin mit Psychokräften, die am liebsten ihre Finger in die Köpfe anderer Leute steckt –, schließt sich zunächst Chris Evans an. Doch der muss nicht schon wieder in seiner Paraderolle als Marvels Captain America glänzen, sondern darf als der zuvor von ihm in den Prä-MCU-»Fantastische Vier«-Filmen von 2005 und 2007 verkörperte Johnny Storm alias Menschliche Fackel vom Leder ziehen.

Weil die erste Konfrontation mit Cassandra unmöglich die letzte sein kann, gehen Deadpool und Wolverine auf einen Roadtrip und stoßen auf die netteste Variante von Deadpool, Nicepool (ebenfalls Ryan Reynolds), sowie weitere Marvel-Darsteller aus der frühen Phase der Verfilmungen: Jennifer Garner als Assassine Elektra, Wesley Snipes als Vampirkiller Blade und Channing Tatum im originalgetreuen Kostüm des Mutanten Gambit. Ein Comeback feiert auch Dafne Keen, die seit »Logan« nicht mehr als Laura/X-23 Verwendung fand. Spätestens hier wird deutlich, dass »Deadpool & Wolverine« mehr sein will als nur die Zweitverwertung bereits bekannter Figuren aus dem schier endlosen Marvel-Fundus.

Zurück im zu rettenden Universum zünden Deadpool und Wolverine ein letztes Actionfeuerwerk im Kampf gegen das Deadpool-Corps (siehe »­Deadpool kills Deadpool«, Band drei von 2013). Diese Armee aus Deadpool-Varianten – Samurai, fliegender Zombieschädel, Lady Deadpool usw. – bewohnte ebenfalls die »Void«-Welt. Schließlich ist jeder Deadpool ein Misfit und Outcast. Die Protagonisten steuern auf ihren heldenhaften Opfertod hin, um die Pläne der Superschurkin sowie des faschistischen Bürokraten Mr. Paradox zu vereiteln. Die Bösewichte werden aus dem Weg geräumt, aber die herrschende Ordnung bleibt bestehen. So sehen wir nicht, dass die TVA die übrigen Bewohner der Müllhaldenwelt befreit oder verhindert, dass freidrehende Funktionäre Massenvernichtungswaffen einsetzen. Auch dieser Marvel-Blockbuster ist der Verteidigung des Status quo verpflichtet.

Das MCU wollen Levy, Reynolds und Jackman erklärtermaßen nicht retten. Was sie aber offensichtlich wollten, ist, den Pionieren der Comicverfilmungen der 90er und 2000er Jahre Respekt zu zollen, denen Reynolds und Jackman ihre Superheldenkarriere verdanken. Der mit Green Days »Good Riddance« unterlegte Abspann unterstreicht das.

»Deadpool & Wolverine«, Regie: Shawn Levy, USA 2024, 128 min, bereits angelaufen

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