Zur Einkehr. »Tristan und Isolde« bei den Bayreuther Festspielen
Von Gisela SonnenburgIsolde trägt auf der Überfahrt zu ihrem neuen Leben als Königin schon mal ihr Brautkleid. Entrückt-entsetzt aber ist ihre Miene: Hilflos wirkt die Sopranistin Camilla Nylund in der von Hand bekritzelten, ballonartig aufgeblähten weißen Pracht. Rutscht der seidige Stoff vom Reifrock, entsteht der Eindruck eines Skeletts. Diese Frau ist früh dem Tode nah und doch die am stärksten Liebende der Operngeschichte. Komponist Richard Wagner übertraf sich in »Tristan und Isolde« selbst. Auch der junge Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, der seinen Entschluss, das Drama für die Bayreuther Festspiele zu inszenieren, während eines Nordlichtspektakels in Island fasste, muss diesen nicht bereuen. Wagners Partitur ist üppig, Arnarssons Szenen sind reduziert – eine gelungene Kombination.
Zudem ist Nylund stimmlich eine perfekt Isolde, nicht ganz wie weiland Waltraud Meier, aber doch unüberhörbar groß im Geben. Auch szenisch gelingt es ihr, die Gefühle einer gegen den eigenen Willen Verliebten so irisierend wie Perlmutt zu zeigen. Die Regie schreibt mehr Mimik als Bewegung vor: Camilla Nylund wirkt dadurch erwachsen und stabil. Andreas Schager als bitterernster Tristan erzwingt das aber auch. Wer ihn in »Samson et Dalila« an der Berliner Staatsoper Unter den Linden erlebt hat, ahnte um sein Potential. Hier haben wir keinen Luftikus, sondern einen tierisch ernst liebenden Mann, der nichts mehr zu verlieren hat.
Tristan wirbt Isolde für seinen König Marke. Den wiederum gibt Günther Groissböck schelmisch-charmant und interpretiert ihn mit humorigen Andeutungen als vermeintliche Klemmschwester. Christa Mayer bricht als Brangäne, als Freundin und Dienerin Isoldens, alle Rekorde. Die Mezzosopranistin verdient einen Pokal für ihre klare Dramatik. Und doch atmet ihr Ton eine Poesie, die ihre Partie durch und durch feminin macht.
Wie der erste Akt spielt auch der dritte hier auf einem dunklen Schiff, bei Nacht. Der Tod kommt zu den Liebenden wie eine Erlösung. Aber zwischen Akt eins und drei liegt Akt zwei: Das Königreich von Marke ist eine Wunderkammer voller Gerümpel. Sich änderndes Licht bringt Aufklärung: Mal handelt es sich um einen heimlichen Ort für erotische Stunden, mal um einen alltäglichen Treffpunkt. Der Bühnenbildner Vytautas Narbutas und die Designerin Sibylle Wallum sind unbedingt zu loben. Auch Sascha Zauner hat sein Element, das Licht, im Griff. Und Eberhard Friedrich leitet die Chöre wieder so sicher, wie man es von ihm kennt (nur im »Tannhäuser« war ihm mal was entglitten).
Semjon Bytschkow bringt am Taktstock viel Erfahrung mit, geht aber nicht ins Risiko. Sanft und flüssig leitet er, nie zu aufgeregt, eher etwas brav. Da darf noch eine Prise Pfeffer rein. Wie auch in die Regie: Spontanität als spezielle Würze fehlt. Insgesamt aber ist dieser »Tristan« eine runde Sache: mystisch wie Trüffelöl auf Forelle.
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