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Aus: Ausgabe vom 02.08.2024, Seite 7 / Ausland
Konflikt im Maghreb

Torschlusspanik in Paris

Macron-Brief zur Westsahara: Algerien verteidigt internationales Recht und zieht Botschafter aus Frankreich zurück
Von Sabine Kebir
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Kolonialisten halten zusammen: Frankreichs Präsident und Marokkos König weihen TGV-Strecke ein (Tanger, 15.11.2018)

Wenn die abgewählte französische Regierung, die nur noch dank des mit archaischen Machtbefugnissen ausgestatteten Präsidenten im Amt ist, eine gegen internationales Recht verstoßende Entscheidung trifft, kann es sich nur um einen Akt von Torschlusspanik handeln. In seinem Brief an den marokkanischen König Mohammed VI. zu dessen 25. Thronjubiläum am Dienstag hatte Emmanuel Macron dem Monarchen ein brisantes Geschenk gemacht: Seine Regierung unterstütze den Plan, die Westsahara als autonome Provinz der Souveränität Seiner Majestät zu unterstellen. Dieser Plan sei »ein für allemal die einzige Basis, um zu einer gerechten und dauerhaften politischen Lösung zu kommen, die konform mit den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats ist«.

Als Reaktion darauf zog die algerische Regierung am Mittwoch ihren Botschafter aus Paris zurück. Sie hat jedoch noch stärkere Druckmittel in petto, etwa das Schließen von Pipelines. Das widerfuhr schon Spanien, als Ministerpräsident Pedro Sánchez vor zwei Jahren eine ähnliche Initiative startete.

Eine frechere Leugnung von Tatsachen als die in Macrons Brief ist nicht vorstellbar. Die algerische Regierung, die seit der marokkanischen Invasion in der Westsahara 1975 Hunderttausenden sahrauischen Geflüchteten Zuflucht gewährt hat und als politischer Anwalt der von der Afrikanischen Union anerkannten Demokratischen Arabischen Republik Sahara agiert, stellte richtig: »Indem die französische Regierung den marokkanischen Autonomieplan als Basis für die Lösung des Konflikts um die Westsahara anerkennt, verhöhnt sie die internationale Legalität und nutzt geschaffene Tatsachen, um das Recht des sahrauischen Volkes auf Selbstbestimmung abzustreiten.« Sie setze sich damit von allen »geduldigen und beharrlichen Initiativen ab, die die UNO unternimmt, um die Entkolonialisierung der Westsahara zu vollenden«. Es werde offensichtlich, dass Frankreich »seine Verantwortung als permanentes Mitglied des Sicherheitsrates verrät«.

Tatsächlich besteht nach wie vor die UN-Mission Minurso, die sich um ein Referendum über den Status der Westsahara bemüht. Es wurde bisher nicht abgehalten, weil Marokko will, dass die infolge seiner Siedlungspolitik dort lebenden Marokkaner daran teilnehmen. Sich in der Westsahara niederzulassen wurde durch steuerliche und andere Vorteile besonders attraktiv gemacht. Wenn sich Macron über die UN-Beschlüsse hinwegsetzt, folgt er dem US-amerikanischen Expräsidenten Donald Trump, der die Parallelität des Falls der Westsahara mit der Besatzungspolitik Israels offizialisierte, indem er zwischen beiden Ländern diplomatische Beziehungen vermittelte. Dass das nicht zur Akzeptanz der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern bei der marokkanischen Bevölkerung führte, zeigen die täglichen Demonstrationen, die seit dem Ausbruch des Gazakrieges in Marokko stattfinden. Andererseits ist es strafbar, über die Westsahara zu diskutieren.

Die zwei Drittel der Westsahara, die Marokko besetzt hält, wurden mit Hilfe westlicher Unternehmen intensiv wirtschaftlich erschlossen. Das reichlich zu schürfende Phosphat muss nicht mehr nur exportiert werden, sondern wird heute bereits vor Ort in Produkte transformiert. Perspektivisch sollen große Solarparks den europäischen Bedarf an »grünem« Wasserstoff bedienen. Es spricht alles dafür, dass die Sicherung dieser Pfründe Grund für Macrons Vorstoß war. Anzumerken ist, dass auch deutsche Firmen am Ausbau der wirtschaftlichen Infrastruktur der Westsahara profitieren. Siemens ist an der Erschließung der Sonnenenergie beteiligt. Für den Bau von Siedlungen und die 2.700 Kilometer lange Mauer, die das marokkanisch besetzte Gebiet von dem von der Befreiungsfront Polisario kontrollierte Gebiet abtrennt, lieferte eine Heidelberger Firma Zement. Bislang hält sich die Bundesrepublik mit der Anerkennung der »Marokkanität« der Westsahara zurück und respektiert zumindest politisch die Position des EU-Gerichtshofs. Demnach sind nur Vertreter der westsaharischen Bevölkerung berechtigt, Handelsverträge abzuschließen. Das Gericht hat auch mehrere Urteile gefällt, um als marokkanisch deklarierte Exporte aus der Westsahara zu stoppen.

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