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Aus: Ausgabe vom 02.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Alles was Recht ist

Minister Pistorius gegen China
Von Jörg Kronauer
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Boris Pistorius (SPD) am Mittwoch auf der Fregatte »Baden-Württemberg« in Honolulu

Wäre Unverfrorenheit eine olympische Disziplin, dann hätte die herrschende Klasse, die Deutschland sich immer noch leistet, auf Medaillenränge ein Dauerabonnement. Der jüngste Aspirant auf Gold, ach was, Platin: Boris Hood, im Nebenamt Verteidigungsminister, von Berufung aber Rächer der Enterbten, Beschützer der Witwen und Waisen etc. pp. Deutschland stehe »an der Seite derjenigen, die unter Druck geraten«, behauptete Pistorius allen Ernstes am Donnerstag vor deutschen Marinesoldaten auf Hawaii: »Es zählt die Stärke des Rechts, nicht das Recht des Stärkeren.« Nein, man muss nicht daran erinnern, dass Berlin sich stets das Recht nahm, fremde Staaten zu überfallen, Umstürze in aller Welt zu fördern oder die Bevölkerung missliebiger Länder mit Sanktionen auszuhungern, solange es der Stärkere war. Mancherorts ist es das bis heute. Pistorius weiß das natürlich. Dass er während seiner Rede nicht vor Scham im Pazifik versunken ist, wo ohnehin kein deutscher Minister hingehört, der »Verteidigung« in seiner Amtsbezeichnung führt, ist eine reife Leistung.

Sieht man davon ab, bleibt zweierlei. Das eine: Selbstverständlich beruft Pistorius sich auf ein »Recht«. Niemand schickt Soldaten um die Welt und erklärt dazu, er wolle endlich mal so richtig Unrecht begehen. »Die Chinesen haben das Völkerrecht umgeworfen«: So rechtfertigte bereits Wilhelm II., dass er die Marine in die Asien-Pazifik-Region entsandte, erst in Kanonenbootpolitik-Einsätze, dann in den Krieg. Freilich geht es heute nicht um offene koloniale Unterwerfung, sondern aktuell darum, der Volksrepublik den Zugriff auf kleine Inseln im Südchinesischen Meer zu verwehren und sie anderen Anrainern zu übertragen – ein Schritt zur Schwächung des Rivalen. Auch das legitimiert sich jedoch gut per Rückgriff auf das Recht.

Was aber nun – das wäre das zweite – das Recht selbst angeht, genauer: die »regelbasierte internationale Ordnung«, auf die sich der Westen heute beruft: Diese Ordnung ist diejenige, die der Westen der Welt oktroyiert hat und von der er, siehe etwa die globale Verteilung von Wohlstand und Armut, bis heute schamlos profitiert. Die »regelbasierte Ordnung« taucht im Südchinesischen Meer in Form eines Schiedsspruches aus Den Haag auf, der die dortigen Inseln im Kern nichtchinesischen Anrainern zuspricht; China erkennt ihn nicht an. Beijing beruft sich vielmehr auf historische Rechtsansprüche, die aber der Westen nicht billigt. Welches Recht nun gilt – das, das Pistorius weit weg im Pazifik proklamiert, oder aber das, dem China nun vor seiner Küste Geltung verschaffen will –, das hängt davon ab, wer sich letztlich durchsetzen kann. Auch im Staatensystem ist Recht, nicht anders als auf nationaler Ebene, immer wieder das Recht des Stärkeren. Wer dieser Stärkere war, das stand mehr als drei Jahrzehnte lang fest. Die Zeiten sind vorbei, das Recht muss nun neu ausgekämpft werden.

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  • Leserbrief von Klaus Ludwig aus Bosserode (5. August 2024 um 11:00 Uhr)
    Jörg Kronauer sieht sehr wohl den eigentlichen Konflikt, den gegen China, und fokussiert bei einem der diversen Themen, mit denen die Öffentlichkeit im Westen auf den Krieg eingeschworen wird, auf die angebliche imperiale Ambition Chinas im Pazifik. Grundsätzlich gilt auch seine Schlussfolgerung, dass Recht immer das Recht des Stärkeren ist und daraus folgt, sollte China dies sein, werde sich das Blatt wenden. Aber ich denke, dass das schon ein Zugeständnis an ‚unsere‘ Propaganda ist, also in die Kampagne Kriegstüchtigkeit passt. Einen Satz vorher liegt die Wahrheit näher. „China beruft sich auf historische Rechtsansprüche“ und das sollten wir nicht abheften. Wenn ich die KP richtig einschätze, verfolgt sie schon immer dieses Prinzip: Alles was in Asien die Kolonisatoren geschaffen und hinterlassen haben, ist NICHTIG! Schlicht, weil dem Verbrechen vorausging und Handlungen während eines Verbrechens Verbrechen sind, deren Anerkennung unter keinen Umständen in Frage kommt. Im konkreten Fall erfreuen sich die Philippinen, in Gänze ein Resultat des spanischen Kolonialismus, der Eroberungen diverser Inseln durch die Spanier, die diese dem Konstrukt Philippinen einverleibt haben. Schon zu Zeiten dieser Raubzüge galt das Augenmerk der „westlichen“ Banditen dem Reich der Mitte, denn das war das eigentliche Ziel aller. Die damals führende Nation zu unterwerfen. Alle beteiligten sich am Wettlauf um die Kuchenstücke aus dem Reich der Mitte. Als der zweite Weltkrieg mit der Kapitulation Japans endete, erhielt China de jure alle seine aus dieser Zeit verlorenen Rechte zurück, insbesondere Japan wurde dazu völkerrechtlich verbindlich gezwungen. Erst der Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg änderte alles, denn jetzt, angefangen mit Taiwan, galt es dem Westen, diese Zusagen de facto zu entsorgen. Nur als China aus genau diesem Grunde, die Wiederherstellung ihrer Rechte, sogar die Sowjetunion angriff, besoff sich das jubelnde Washington und definierte aus den grausamen Rotgelben die neuen Lieblinge. Chinas Politik ist nicht die einer kompromisslosen Eroberung aller Gebiete, was gerade die bilateralen Verträge mit Russland belegen, sondern die bilateralen, maximal regionalen Verhandlungen mit jedem und allen betroffenen Nachbarn in der Region. Es ist ausdrücklich gewollt, alle Streitereien beizulegen, aber im Ergebnis von Verhandlungen, auch wenn dafür Jahrzehnte an Zeit aufgewendet werden müssen. Es sind alle ! anderen, die das nicht wollen bzw. nicht wollen müssen, weil sie sich der militärischen Unterstützung der USA versichert haben. Genau das macht alles kompliziert, denn das Ziel der USA ist nicht weniger als die Zerstörung Chinas. Hier werden die Nachbarn sich einlullen lassen, denn Washington lässt sie glauben, es gehe nur um die Vernichtung der KP. Aber würde China von einer Clique wie der auf den Philippinen regiert, würden die doch mit den Philippinen anders umgehen als die KP es tut und die USA den Schutz fallenlassen, weil sich gegenseitig schwächende asiatische Länder das beste sind, was den USA geschehen kann. China musste schlucken, was ihnen rechtswidrig nach 1949 angetan wurde, aber es muss auch Vorsorge treffen, die Einkesselung zu verhindern, die von Japan bis Indonesien ein strategischer Vorteil gegen China darstellt. Dies bereits umgesetzt zu haben ist eine sehr kluge Handlung Pekings, insbesondere, weil sie sich auf unbewohnte Inseln limitiert haben. In Wahrheit ist die Konfrontation im Pazifik nichts anders als Hongkong, Tibet, Uiguren, Taiwan und jüngst der Handel mit Russland eine von vielen und nicht die letzte der Fettnäpfchen, in die die USA China treibt, um ihre Tonkin-Bucht, die chinesische Achillesferse zu finden oder zu erfinden.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (1. August 2024 um 21:35 Uhr)
    Gold oder Platin assoziiere ich nicht mit Boris, Hood gleich garnicht. Was Metall und akustische Umweltverschmutzung anbelangt, assoziiere ich (rostiges) Blech und statt Hood Sheriff mit ihm. Ob den von Nottingham oder einen aus dem wilden Westen, wer weiß. Die Seite, auf die sich Boris stellt, ist allerdings unter Druck geraten, genauer: Setzt sich selber unter Expansionsdruck. Seit Neffton wissen wir, dass Druck Gegendruck erzeugt (actio est reactio, vermutlich war die Reaktion zuerst da. Ich will die Physik aber nicht missbrauchen, da müssen ausgewiesene Experten des Histomat ran). Das kolumbianische Zeitalter der Herrschaft des globalen Nordens geht nach fünfhundert Jahren zu Ende. Ob der seine Herrschaft mit Sheriff-Methoden (erst schießen, dann fragen) sichern kann? China nimmt zur Zeit seinen dritten Flugzeugträger in Betrieb und hält Truppen in Bereitschaft (»PLA celebrates Army Day with combat readiness, Chinese military defends sovereignty, security, interests amid intl tensions«, Global Times, 31.7.2024, www.globaltimes.cn/page/202407/1317125.shtml). Es könnte sein, dass der US-Besen, der 8/6 und 8/9 im Jahre 1945 ausgepackt wurde, an seinen Ursprungsort zurückkehrt. Vielleicht hilft dagegen, Kraniche zu falten: www.frieden-fragen.de/fileadmin/user_upload/friedenfragen/Redaktion__Fotos_/frieden_machen/Kinder_aus_aller_Welt/Kita_Kinder_Erfurt/kranich_falten_pbp_timer_2011.pdf
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (1. August 2024 um 19:54 Uhr)
    Und mal wieder und noch immer die alte Forderung Deutschlands nach dem ihm angeblich gebührenden »Platz an der Sonne«, lautstark vorgetragen von denjenigen, denen schon lange ein Platz in einer geschlossenen Anstalt hätte zugewiesen werden müssen. Hatten wir denn nicht schon genug Psychopathen, die ganze Generationen in den Tod und das Land mehrfach in die Katastrophe getrieben haben?

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