75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Donnerstag, 19. September 2024, Nr. 219
Die junge Welt wird von 2939 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €

Feltrinelli

Von Helmut Höge
Helmut_Hoege_Logo.png

Es gab neben dem rechten Hamburger Verleger Axel Cäsar Springer noch einen anderen Multimillionär, der eine Berghütte in den Alpen besaß. Aber während Springer ein eher trauriger Idiot war, der seltsame Partys in seinem Haus auf Sylt feierte, und seinen Astrologen befragte, wann der günstigste Zeitpunkt für ein Geheimgespräch mit Nikita Chruschtschow sei, dem er dann das Angebot machte, die DDR zu kaufen, war der Mailänder Multimillionär Giangiacomo Feltrinelli ein linksradikaler Verleger. Zwar veröffentlichte er »Doktor Schiwago« von Boris Pasternak, doch ansonsten verlegte er keine antisowjetischen, sondern antikapitalistische Werke.

Feltrinellis Berghütte in den Kärntner Bergen war sein »geheimer Zufluchtsort, zwischen den Bäumen versteckt hielt der fortschrittliche Verleger all die alten schikanösen Herrenrechte aufrecht. Man bezahlte ein Wegegeld, um passieren zu dürfen, und die Wachen mit Federhut nahmen Frauen, die Holz sammelten, fest und übergaben sie der Polizei. Es war ein Gärtner, der ihn später zur Revolution bekehrte«, schreibt der Schriftsteller Nanni Balestrini in seinem Buch »Der Verleger« (2020), in dem es um Feltrinellis Versuch geht, 1972 einen Strommast bei Mailand in die Luft zu sprengen, bei dem er umkam.

Balestrini und mit ihm einige »Experten« legen nahe, dass an dem Sprengstoffattentat »mindestens drei, wenn nicht sogar vier Personen, darunter auch eine Frau« beteiligt waren. »Es gibt Gerüchte über eine ausländische Freundin des Verlegers, die Schmiere gestanden haben soll.« Am Ende seines Buches erwähnt Balestrini einen Koffer, in dem sich ein Tonband befand, das aus einem Versteck der Roten Brigaden stammte, und »auf dem ein Mitkämpfer Feltrinellis mit dem Kampfnamen ›Gunter‹ den Ablauf der Aktion erzählte«.

»Die Roten Brigaden hatten eine eigene Untersuchung des Todes von Feltrinelli durchgeführt. ›Gunter‹ war ein Mitglied der GAP (der 1970 von Feltrinelli gegründeten ›Gruppo d’Azione Partigiana‹), das parallel zu dem Anschlag auf den Strommast eine zweite Aktion gegen einen weiteren Strommast ausführen sollte, um Mailand in Dunkelheit zu hüllen und dort geplante Aktionen militanter Gruppen zu erleichtern. Angeblich ist ›Gunter‹ mit einem ehemaligen Partisanen namens Ernesto Grassi, der 1977 verstorben ist, identisch.«

Wikipedia hat sich für eine andere Erklärung für Feltrinellis Tod entschieden: »Nach 2010 ans Licht gekommene Indizien bestärken Zweifel an der Unfalltheorie, so die Verletzungen an der Leiche Feltrinellis, die – einem damals unterdrückten Gutachten zufolge – auf einen ›Angriff von hinten‹ und nicht auf eine selbstverschuldete, versehentlich zu früh ausgelöste Bombenexplosion hindeuten. Auch Staatsanwalt Guido Viola will heute eine Verwicklung von Geheimdiensten in den Tod Feltrinellis nicht mehr ausschließen. Zu Feltrinellis 50. Todestag, 2022, war zumindest klar, dass er sowohl vom italienischen Geheimdienst als auch von der CIA beobachtet worden war.«

Die Familie Feltrinelli war mit Immobilien reich geworden. »Giangiacomo Feltrinelli besaß neben vielen anderen Immobilien auch eine Jugendstilvilla am Gardasee mit einem Garten aus Tausendundeiner Nacht und einem Kilometer Privatstrand«, wo er seine prunkvollen und verrückten Partys mit Hunderten von Gästen, darunter intellektuelle Anarchisten, Extremisten und Abenteurer jeder Couleur sowie natürlich viele schöne Frauen, feierte. Wenn er nicht auf seiner Yacht war oder am Gardasee Hof hielt, dann war er auf Kuba – als großer Verehrer von Ernesto »Che« Guevara und Freund von Fidel Castro, deren Bücher er verlegte.

Den Verlag hatte Giangiacomo Feltrinelli 1954 gegründet. Nach seinem Tod übernahm seine Frau Inge Feltrinelli (1930–2018) die Leitung des Verlags, der heute von ihrem Sohn Carlo Feltrinelli geführt wird. Der Verlag hat ab 1957 in den Buchhandel (122 Läden bis heute) sowie in den Onlinehandel und ins Fernsehen investiert. Zur Gruppo Feltrinelli gehört das Verlagshaus mit einer von Giangiacomo Feltrinelli gegründeten Forschungs- und Kulturstiftung, die laut Balestrini eine einmalige Sammlung linker Schriften beinhaltet.

Daneben unterstützte er finanziell auch einige linksradikale italienische Gruppen und besorgte laut Wikipedia die Pistole, »mit der am 1. April 1971 in Hamburg der dortige bolivianischen Konsul Roberto Quintanilla möglicherweise von der Deutschen Monika Ertl erschossen wurde. Quintanilla war führend an der Polizeiaktion zur Aufspürung und Ermordung Che Guevaras beteiligt gewesen.«

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Doris Prato (8. August 2024 um 15:00 Uhr)
    Die Fondazione Feltrinelli enthält rund 1,5 Millionen Archivblätter, mehr als 270.000 Bücher, 17.000 Zeitschriften und eine Sammlung von rund 14.000 politischen Plakaten. Zu ihren bibliophilen Schätzen zählen die Erstausgaben von Marx und Engels, darunter Originalschriften von Marx sowie zahlreicher Vertreter der deutschen Sozialdemokratie, so von Ferdinand Lassalle, Karl Kautsky, Rosa Luxemburg, Eduard Bernstein und Franz Mehring, ebenso die Manuskripte Gracchus Babeufs sowie Pierre-Joseph Proudhons, Originalschriften von Bakunin und drei komplette Ausgaben der Iskra. Das ist in Europa eine der umfassendsten Sammlungen zur Geschichte der Arbeiter- und sozialer Bewegungen. Sein Sohn Carlo, der nach dem Tod des Vaters die Leitung des Familienunternehmens übernahm, hat in »Das Leben meines Vaters« (München/Wien 2001) geschildert, wie sein Vater aus den besitzenden Schichten kommend, sich auf die Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten schlug, Opfer und Entbehrungen auf sich nahm, und sich nicht scheute, sein Leben einzusetzen. Er nahm an der Resistenza teil und kommandierte bereits als junger Kämpfer eine Partisaneneinheit. 1946 trat er der IKP bei, die er Ende der 50er Jahre u. a. wegen Meinungsverschiedenheiten zum linken Spektrum wieder verließ. Bekannt wird auch, dass ein weltweit bekanntgewordenes anonymes Interview nach dem Sechstagekrieg mit Jassir Arafat von Feltrinelli stammte, er sich auch an der Finanzierung des Vietnamkongresses am 17. und 18. Februar 1968 in Westberlin beteiligte. In Italien wandte er sich angesichts der zunehmenden schwarzen Umtriebe der außerparlamentarischen radikalen Linken zu und unterstützte ihren Widerstand gegen die faschistische Gefahr, was ihn frühzeitig ins Visier der CIA und ihrer italienischen Handlanger rückte. Aus einem Bericht des Mailänder Corriere della Sera vom 14. März 2012 ging hervor, dass der Carabinieri-General Giovanbattista Palumpo, der der faschistischen Putschloge P2 angehörte, persönlich die Verfolgung der faschistischen Attentäter des Anschlags in Segrate verhinderte. Die linksradikale Potere operaio (Arbeitermacht) schrieb in ihrer gleichnamigen Zeitung »Ein Revolutionär ist gefallen« und gab bekannt, dass Feltrinelli den neuen Gruppi d'Azione Partigiani (GAP) angehörte und den Nom de Guerre Osvaldo führte. Die Zeitung betonte, dass er nicht, wie die IKP-Zeitung Unità über den Abtrünnigen ihrer Partei schrieb, »tragisches Symbol eines Scheiterns« des Aufbegehrens gegen das System der Ausbeutung und Unterdrückung der von anarchistischen Zügen geprägten 68er Bewegung war, sondern ein konsequenter Antifaschist, so wie er Anhänger der antikolonialen Befreiungskämpfe war.

Ähnliche:

  • »Hängt ihn höher!« – Haitianischer Sklavenaufstand in der franzö...
    16.07.2024

    Freiheit und Befreiung

    Der italienische Historiker Enzo Traverso hat eine Geistesgeschichte der Revolution geschrieben
  • 24.02.2024

    Wir gehören zusammen!

    Auf einen Cuba libre: Das junge Welt-Kollektiv freut sich über Ihren Besuch auf der Leipziger Buchmesse

Mehr aus: Feuilleton