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Aus: Ausgabe vom 06.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Festivalsommer

Hochprozentige Bedingungen

Echte Helden und gute alte Kamellen: So war das Wacken Open Air 2024
Von Rüdiger Wartusch
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Geht auch: Liegend fliegen

Reibungslos wie selten verlaufen Anreise und Einchecken, selbst das Einrichten des Campgrounds mit zwei Atü erledigt sich mühelos – Kudos to Gaffa! Am vergangenen Wochenende war nämlich Wacken, das 33. mittlerweile. Neun Bühnen und rekordverdächtige 180 Bands auf 423 Hektar. So ein Festival, das es schon qua Konzept darauf abzielt, über die Stränge zu schlagen, kann die Erwartungen eigentlich nur übererfüllen, indem es von allem zu viel bietet. Kalkulierte Provokation inklusive. – Peter Maffay bei Bülent Ceylan? Mir doch egal, einfach beide auslassen, geht immer!

Freilich steht selbst dem erfahrensten Metal-Cherrypicker eine ausgiebige Vorbereitung wohl an: Wer spielt wann? Wie lange brauch’ ich vom Bullhead zur Louder Stage? Wie viele Ensembles schaff’ ich am Tag (abzüglich Überschneidungen, Wettereinflüssen und erwartbaren Unpässlichkeiten)? Und wo soll ich anfangen? Bei Textures aus Holland vielleicht, Shuriken von den Philippinen oder den blutjungen Djent-Mathematikern Paramena aus Japan (30 Saiten auf vier Hölzern!)? Ihnen allen gelingt es, den noch längst nicht ausgetretenen Pfaden des modernen Metals neue Nuancen abzugewinnen. Wieder andere perfektionieren ihren Style auf das Eigenwilligste, wie die alternativ-progressiven Walkways aus Israel oder deren Landsmänner Shredhead (heldenhafter Nomen, brutal Omen). Viel frisches Blut auf jeden Fall für die alten Hasen und Leitwölfe.

Gene Simmons und Sebastian Bach spielen dagegen auch ohne ihre angestammten Bands (für die Anfänger unter den Lesern: Kiss bzw. Skid Row) vornehmlich die alten Kamellen. Und auch KK’s Priest und Alcatrazz, ohne die eigentlichen Maestros Rob Halford und Graham Bonnet, wissen, was sich auf einem Festival gehört: Hier geht’s nicht zuletzt ums Bestätigtwerden, um ­Nostalgie, ums Wiedererkennen auch unter erschwerten, mitunter hochprozentigen Bedingungen.

Doch ab und an will auch Otto-Normal-Metalbrother mal etwas Neues kennenlernen. Wir sind ja, im eigentlich fest genieteten Metal, durchaus eine lernende Gesellschaft. Und selbst wenn man das eigentlich nicht mehr sagen können müssen sollte: Langsam, ganz langsam, nähert sich ein merkliches Maß an Gleichberechtigung. Denn statt der bloßen Zurschaustellung zurschaustellbarer Sängerinnen gibt es am Mittwoch erst mal Ladies Night pur! Sechs Bands mit (vornehmlich) ­weiblichem Personal geben sich auf der Louder Stage den Klinkenstecker in die Hand, von den kaum 20jährigen Schwestern der mexikanischen Combo The Warning bis zur 74jährigen Suzi Quatro. Und Tina Guo zaubert am Cello Soundtracks von »Dune« bis »Batman«. So richtig Metal ist dabei nur ihr Acting am hölzernen Gerät, aber immerhin wird’s hier mal monumental episch, wo’s andernorts beschaulich schunkelt (Girlschool) oder blutig kracht (Butcher Babies).

Während das ansonsten eher spärliche Balzgehabe der Zunft den Arterhalt zu gefährden droht und Bands wie Korn auf doch ziemlich sterile Weise ihre Performance zelebrieren, stehen etwa Messiah auch nach 40 Jahren »Thrashing Madness« noch in voller Rispe. Und Skeletal Remains, die selbsternannte »future of death metal«, stehen ihnen an Wucht und Bums und Lebendigkeit in nichts nach … Ja, und ganz gelegentlich erhascht man sogar selbst ein verstecktes Kompliment: »Die Presse säuft aber ganz schön!« flirtet jedenfalls Frau Krombacher. Und manchmal muss das eben auch sein.

Nebenan stehen ganz klassisch große Hits auf dem Programm. Mit Mr. Big beginnt am Donnerstag die große Schlagerparade der Rockmusik, und verdammt noch mal, ist das gut! Der All-Star-Truppe gelingt es live immer, die eventuell etwas seichten Charterfolge mit einer Verve und Vehemenz zu präsentieren, dass das Rockerherz aber mal so richtig aufgeht. Auch Dokken hätten sicher schon die ersten drei Alben gereicht, um uns im Sack zu haben. Doch dem stolzen Don (gerade 70 geworden) waren Reise und Auftritt nach Operationen an Hals und Knöchel leider nicht möglich. Trost freilich gibt es genug: Den heurigen Lemmy-Gedächtnis-Götzendienst etwa übernehmen Mikkey Dee with Friends (nebst Filius) mit erfrischender Dynamik, während die Dio Disciples dem ewigen Ronnie James heldenhaft huldigen und die vier Ladies von Black Sabbitch sich zumindest einige Mühe geben, der Ozzy-Phase unserer Urväter Tribut zu zollen.

Den abschließenden Sonnabend eröffnen mit ihrem 50jährigen Bühnenjubiläum die britischen Speedmetal-Pioniere Raven. Das Trio um die Gallagher-Brüder war bereits Mitte der 80er nach New York gezogen, um den verdienten Durchbruch zu schaffen. Vielleicht ja jetzt, Jungs, wir drücken die Daumen, für uns seid ihr echte Helden! Spielfreudig und energiereich zeigen sie dem Jungvolk, wo beim Raben der Schnabel hängt. Ein weiterer emotionaler Höhepunkt sind The Black Dahlia Murder: vom Namen über das Bühnenoutfit bis zu den teils lovecraftianischen Texten ihres Melodic Death – alles schwarz. »Are we still human?« Da dürfen auch grundlegende Fragen offen bleiben. Und die noch warme Erinnerung an den Freitod des Sängers gibt dieser umfassenden Finsternis sogar noch einen persönlichen, stimmigen Zauber.

Just in diesem Moment begann der Himmel zu weinen. Aber natürlich hatten wir unser Geraffel da längst verstaut: Routine eben.

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