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Aus: Ausgabe vom 06.08.2024, Seite 11 / Feuilleton
Urlaub

Romantisches Venedig

Von Frank Schäfer
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Gewiefte Gondolieri gehen am Ende des Monats mit 10k von Bord

Da kommt wieder so ein stolzer Kanalschiffer, im rotweißen Ringelsweater, mit dem Kreissägestrohhut auf schwarzgelocktem Kopf. Gebräunt wie ein Maurer, aber lässig wie ein Tänzer steht er hinten auf seiner trauertragenden Gondel, eine Allegorie für handwerkliches Geschick, Eleganz und Tradition. Aber weil es nun mal nur geradeaus geht und die nächste Brücke, für die er den Kopf einziehen muss, für ihn also eher eine Bücke, noch 50 Meter entfernt ist – holt er sein mobiles Endgerät aus der Tasche und checkt seinen Instagram-Status. Vielleicht plant er auch seinen Jahresurlaub – mal wieder Langlauf in Sankt Moritz? Kann er sich leisten. Gewiefte Gondolieri gehen am Ende des Monats mit zehn K von Bord.

Nicholson Baker informiert sich für seinen schönen Venedig-Essay »Bring mir eine Gondel« in Carlo Donatellis Buch »The Gondola: an Extraordinary Naval Architecture« und fördert dabei Erstaunliches zutage: »nämlich dass dieselbe Menge Energie verbraucht wird, wenn man eine beladene Gondel bei einer Geschwindigkeit von drei Stundenkilometern rudert, wie wenn man mit leeren Händen auf flachem Land im selben Tempo geht«. Das erklärt auch, warum ein erfahrener Bootsmann in der Hochsaison bis zu 15 Stunden arbeiten kann – es ist ein einziger Sommerspaziergang.

Hier offenbart sich überdies sehr schön die kapitalistische Zielgerichtetheit der Kulturgeschichte. Der Mensch passt sich sukzessive seiner Umgebung an, indem er eine Kulturtechnik erfindet, mit der er mühelos sein lagunales Biotop in Besitz nehmen kann. Wobei sich das mit dem Besitz gerade wieder mal verändert. Wie man hört und dann auch sieht, kaufen sich immer mehr Chinesen ein und machen urvenezianische Pizzaschmieden auf – wie die Osteria Romantica. Es ist nicht unbedingt der Name, der uns dort einkehren lässt. Wir sind schlicht zu geschafft, um noch einen Meter weiter zu flanieren. Und für einen Moment muss man tatsächlich schmunzeln, wenn so ein grundfreundlicher Asiat mit vielem »Prego«, »Grazie« und »Tutto bene« ein dampfendes Fuder Spaghetti alla Carbonara vor dir hinstellt und dazu einen großen Bellini kredenzt, dass es verdammt noch mal eine Art hat. Aber dann ist die Komik auch schon wieder verpufft, weil alles so schmeckt, wie es soll, und mir die allererlesensten Seitengassen lukullischen Raffinements sowieso auf ewig unzugänglich bleiben. »Schmecken muss es«, hat mein bereits vor vielen Jahren verstorbener Lieblingsonkel in solchen Situationen immer zu Recht betont. Leider hat er es nie bis Venedig geschafft. Aber das empfand er kaum als besondere Unterlassungssünde, weil er es schlicht nirgendwohin geschafft hat.

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