Wohnungspolitische Luftnummer
Von Jens WaltherDas können sie: Luftnummern produzieren, mittenmang im Sommerloch. Wer? Berlins Sozialdemokraten. Deren Fraktionschef im Abgeordnetenhaus (AGH), Raed Saleh, forderte am Mittwoch gegenüber dpa: Ein Rahmengesetz zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne in der Hauptstadt müsse »zeitnah« auf den Weg gebracht werden. So, wie es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD im Frühjahr 2023 vereinbart worden war.
Nur, passiert ist nichts seit dem Amtsantritt des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) und seiner Vorgängerin und nun Vize Franziska Giffey (SPD). Statt dessen nutzen Wohnungsdealer die Gunst der Stunde; etwa Deutschlands größter privater Immohai Vonovia. Das Management hatte kürzlich angekündigt, Mieten in Berlin innerhalb der drei kommenden Jahre um bis zu 15 Prozent zu erhöhen.
Da muckt dann selbst einer wie Saleh leise auf. Der Stadtstaat dürfe dabei nicht »einfach tatenlos zuschauen«. Deshalb brauche es jetzt mehr Tempo bei der Vorlage eines »Vergesellschaftungsrahmengesetzes«. Zumindest wolle er »jetzt eine Zeitschiene« vom Senat sehen, »bis wann ein entsprechendes Gesetz als Entwurf ausgearbeitet wird«. Falls sich der Senat verweigere, werde seine sozialdemokratische Fraktion vorpreschen und »noch in der Legislaturperiode selbst parlamentarisch einen Gesetzentwurf vorlegen und unserem Koalitionspartner präsentieren«, betonte Saleh.
Nein, reagieren werde man nicht auf den SPD-Vorstoß, hieß es am Donnerstag aus Hauptstadt-CDU-Kreisen auf jW-Nachfrage. Und sowieso: Es gebe klare Absprachen in der »schwarz-roten« Koalition, die kenne auch Saleh. Er könne gerne ein Sommerlochtheater aufführen, ein bisschen Druck machen, kein Problem. Folgen hätte dies: keine. Schade, namentlich zitiert werden möchte die Person am anderen Leitungsende nicht.
Schön und gut, und was stimmt nun? Anruf, kurzentschlossen des Autors (A) bei Berlins SPD-Pressestelle (SPD-P). Dialog, wiedergegeben im Telegrammstil, in indirekter Rede: Klar, das Gesetzesvorhaben stehe im Koalitionsvertrag, sei demnach Teil der innerkoalitionären Verabredung, so einer aus der SPD-P. A: Saleh habe aber angekündigt, notfalls im parlamentarischen Alleingang einen Gesetzentwurf im AGH vorlegen zu wollen. Komisch, oder? SPD-P: Irgendwie schon, schließlich sei das Gesetz die gemeinsame Sache beider Koalitionäre. A: Eben. Aber, erwiderte der aus der SPD-P: Fraktionschef Saleh habe mit der neuerlichen Wortmeldung einen Nerv getroffen. Ähnlich wie jüngst mit seiner Forderung nach einer »Privatisierungsbremse« bei öffentlichem Wohnraum. Das müsse anerkannt werden.
Und außerdem sei folgendes zu beachten: Ein künftiges Vergesellschaftungsrahmengesetz betreffe nicht nur Miet- und Wohnungsfragen, sondern die Daseinsvorsorge insgesamt. (SPD-P weiter im Redefluss, A gewährt charmant.) Um so wichtiger sei es, eine »besondere Schärfe« im Wortlaut des Gesetzes drin zu haben. Ganz nebenbei, vieles hänge vom Verlauf der Gespräche über den Doppelhaushalt 2025/26 ab. Diese würden im Herbst munter fortgesetzt. Bisherige Aussagen aus der Finanzverwaltung von Senator Stefan Evers, CDU, zu Vergesellschaftungsfragen und deren Finanzierung seien aber »wässrig«. A abschließend: Mag sein, die zuständige Presseperson im Evers-Haus sei für jW wegen weiterer Termine nicht zu sprechen gewesen. Danke und schönen Werktag noch. SPD-P: Gleichfalls.
Von den Konversationen abgesehen, Saleh bemerkte vorsorglich, es gehe nicht um ein »Enteignungsgesetz«, sondern um eine »Vorstufe«, um definierte »Kriterien für eine Vergesellschaftung« nach Artikel 15 Grundgesetz, einen »Instrumentenkasten«. Stimmt, mehr ist das nicht. Entsprechend hagelte es auch Kritik aus der mietenpolitischen Bewegung. Die SPD habe die Umsetzung des Volksentscheids »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« »aktiv blockiert«, wurde ein Sprecher am Donnerstag in der Taz zitiert. Die Kampagnenmacher arbeiteten eh daran, selbst ein »fertiges Vergesellschaftsungsgesetz« bis 2025 vorzustellen. Definitiv keine Luftnummer.
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