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Aus: Ausgabe vom 09.08.2024, Seite 6 / Ausland
Atombombenabwürfe auf Japan

»Wertegemeinschaft« entrüstet

Atombombenabwürfe: Streit um Gedenken in Nagasaki wegen Ausladung des israelischen Botschafters
Von Igor Kusar, Tokio
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An der Statue des Friedens verliest Nagasakis Oberbürgermeister alljährlich am 9. August eine Erklärung an die Welt …

Hiroshima und Nagasaki haben mit ihrer Autorität als Friedensstädte eine Ausstrahlung weit über die Landesgrenzen Japans hinaus. Es gibt kaum ein Leitmedium – wenigstens in der westlichen Welt –, das die Jahrestage der Atombombenabwürfe am 6. und 9. August nicht an prominenter Stelle erwähnt. Was die Bürgermeister der beiden Städte in ihren traditionellen Ansprachen über den Frieden anmerken, ist relevant und wird gerne zitiert. Die Feierlichkeiten sind in den beiden Städten Großereignisse mit prominenten Gästen. Für die in Tokio akkreditierten ausländischen Botschafter ist die Anwesenheit schon fast Pflicht. Seit zwei Jahren gehören Russland und Belarus jedoch nicht mehr zu den Teilnehmern. Hiroshima und Nagasaki haben damit die Konsequenz für den von der UNO-Vollversammlung verurteilten russischen Überfall auf die Ukraine gezogen.

Dieses Jahr liefen nun die Diskussionen heiß, ob Israel und die palästinensische Autonomiebehörde eingeladen werden sollen. Beide Städte kamen unter politischen Druck, nicht zuletzt von Atombombenüberlebenden und deren Vertretern, Israel wegen der Bombardierung des Gazastreifens auszuschließen. Schließlich entschieden sich die Städte für gegensätzliche Varianten: Hiroshima hat nur Israel eingeladen, während Nagasaki nur die Palästinenser dabeihaben will.

Interessanterweise erregte nun der Fall Nagasaki in den japanischen und internationalen Medien weit mehr Aufmerksamkeit als sein Gegenstück, obwohl Nagasakis Bürgermeister Suzuki Shiro nicht müde wurde zu versichern, es handle sich um keine politische Entscheidung. Vielmehr gehe es darum, die »Gedenkveranstaltung für die Atombombenopfer in einer friedlichen und feierlichen Atmosphäre zu begehen und sicherzustellen, dass sie ohne Zwischenfälle abläuft«. Hiroshimas Bürgermeister Matsui Kazumi andererseits rechtfertigte den Ausschluss der Palästinenser mit dem etwas dürftigen Argument, deren Autonomiebehörde werde international meist nicht als staatliche Institution anerkannt.

Beide Städte gerieten jeweils in die Kritik der israelischen und palästinensischen Behörden: Israels Botschafter in Tokio, Gilad Cohen, wies Suzukis Beteuerungen zurück. Sein Ausschluss habe nichts mit der Sicherheitsordnung zu tun, erklärte er am Montag gegenüber CNN. Als Beweis diente ihm seine Teilnahme an den Feierlichkeiten in Hiroshima vom Dienstag. Der ständige Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde in Tokio andererseits kritisierte Hiroshimas Bürgermeister und sprach auf seinem X-Account von Doppelmoral.

Natürlich kommt man nicht umhin zu vermuten, Suzukis Entscheidung sei politisch motiviert. Wenigstens muss er sich bewusst gewesen sein, dass dies so ausgelegt und dass es politische Implikationen nach sich ziehen würde. Doch die unterschiedlichen medialen Reaktionen auf die Entscheidung der beiden Städte und das einseitige Nachspiel, das sie provozierten, machen doch stutzig. Nachdem Suzuki am Mittwoch vergangener Woche seine Entscheidung kommuniziert hatte, trafen bei ihm nach und nach Absagen von prominenten Vertretern ein. Mindestens sechs Botschafter, darunter Rahm Emanuel aus den USA und Deutschlands Clemens von Goetze, werden am Freitag durch Abwesenheit glänzen und einen Vertreter schicken.

Emanuel meinte, er wolle das Problem nicht politisch aufladen. Er verwies auf einen Brief, den sechs Botschafter der G7-Staaten – Japan exklusive – Mitte Juli an Suzuki geschickt hatten, mit der Bitte, Israel zu den Feierlichkeiten einzuladen. Im Falle eines Ausschlusses würde Israel auf die gleiche Stufe mit Russland gestellt werden, was zu Missverständnissen führen könnte. Auf Suzukis Entscheidung hatte der Brief keine Auswirkung. Er ließ sich auch von Überredungsversuchen der japanischen Regierung nicht beeinflussen. Die USA jedoch müssen sich die Kritik gefallen lassen, dass sie ihr Bündnis mit Israel höher bewerten als ihre – stets vernachlässigte – Pflicht zur Sühne für das Kriegsverbrechen der Atombombenabwürfe.

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