Matzpen auf der Bühne
Von Helga BaumgartenTel Avivs Tmuna-Theater hat soeben eine Sensation erlebt: Das neue Stück von Einat Weizman, »Matzpen-Komitee in Sachen Militärregierung«, war mit zwei Aufführungen angekündigt worden – und beide waren innerhalb von 24 Stunden vollständig ausverkauft. Aber wer ist Matzpen? Die Gruppe wurde 1962 gegründet und nach ihrer gleichnamigen Zeitschrift benannt. Das Ziel, so Moshé Machover, einer der letzten noch Lebenden der ersten Generation, sei die Gründung einer unabhängigen linken Organisation gewesen. Sie habe klar diagnostiziert, dass der kolonialistische Zionismus den Palästinenser ihr Land raube, sie unterdrücke und sie schon seit 1947 in der Mehrzahl vertrieben habe.
In Matzpen waren sowohl Mizrahim wie der aus einer Hebroner Familie stammende, 2018 verstorbene Haim Hanegbi als auch palästinensische Marxisten wie Jabra Nicola aus Haifa (1912–1974) aktiv. Bekannt wurde Matzpen durch eine Anzeige am 22. September 1967 in Haaretz: »Das Behalten der besetzten Gebiete wird uns in ein Volk von Mördern und Ermordeten verwandeln. Verlassen wir die besetzten Gebiete sofort!« Hanegbi verbreitete mit anderen Genossen in Tel Aviv die Parole »Hal’a HaKibbush« – »Nieder mit der Besatzung.« Der Skandal war perfekt. In eine Stimmung von ultranationalistischen Feiern über den Sieg von 1967 fiel diese vernichtende Kritik, ein wahrer Kassandraruf.
Ich konnte die letzte Probe in Tel Aviv miterleben und mit einigen alten Matzpen-Aktivisten sprechen. Lea Tsemel, Rechtsanwältin für angeklagte Palästinenser, hat den dieses Jahr verstorbenen Musiker Mustafa Al-Kurd verteidigt, als er 1976 wegen seiner politischen Lieder verhaftet wurde. Sie ermöglichte, dass er 1985 aus dem Exil wieder zurück ins Land durfte. Ehud Ein-Gil, pensionierter Journalist von Haaretz, versetzte mich in absolutes Staunen. Er rezitierte aus dem Kopf eines der ersten Lieder von Mustafa. Der erste israelische Wehrdienstverweigerer, Giora Neumann, stand auf der Bühne. Schließlich lernte ich zwei der palästinensischen Matzpen-Aktivisten kennen: Ahmed Massarwa aus Arabeh und Ali Al-Ashari aus dem 1948 zerstörten Dorf Safurijeh.
Einat Weizman ist eine radikale Linke, und bis 2014 war sie als Schauspielerin berühmt. Als Kritik am damaligen Krieg gegen Gaza veröffentlichte sie in sozialen Netzwerken ein Bild von sich mit palästinensischer Fahne und der Aufschrift »Free Palestine«. Das war das Ende ihrer Karriere. Seit dem 7. Oktober fühlt sie sich vollständig entfremdet. Die Linke in Israel sei verloren. Was diese brauche, so Einat, sei die Präsentation von »Ikonen des Widerstandes«. Das war der Ausgangspunkt für die neue Theaterproduktion. Die alten Matzpen-Aktivisten sollten als erste Generation des antizionistischen Widerstandes auf die Bühne gestellt werden.
Sie verlesen in dem Dokumentarstück Texte des »Komitees zur Militärherrschaft« über die Palästinenser in Israel selbst, die von 1948 bis 1966 andauerte und im darauffolgenden Jahr zur Vorlage für die damals besetzten Gebiete wurde. Damit wird das Stück zu einer beißenden Satire: Die einzigen unerbittlichen Kritiker der Militärherrschaft und des Siedlerkolonialismus gegenüber den Palästinensern rezitieren, was die »Herren« der Militärherrschaft in ihrem Komitee 1958/59 vorgebracht haben. Die Zukunft des Widerstandes, die neue antizionistische Linke, sind dabei neun Trommlerinnen und Trommler.
Dass die Palästinenser in Israel von 1948 bis 1966 unter einer brutalen und menschenverachtenden Militärherrschaft leben mussten, ist weitgehend unbekannt. Statt dessen werden die ersten beiden Jahrzehnte Israels als goldene Jahre gefeiert, die Jahre der »einzigen Demokratie in der Region«. Die Realität, so zeigt uns das Stück, war jedoch ein Apartheidsystem à la Südafrika. Adam Raz, Historiker im Akevot-Institut in Haifa, hat das Dokumentarmaterial für das Theaterstück aus den Archiven gerettet und die Protokolle, die im Stück vorgetragen werden, an die Öffentlichkeit gebracht. Im »Pinhas-Komitee« wollte der damalige israelische Ministerpräsident David Ben-Gurion überprüfen, ob die Militärherrschaft über die »israelischen Araber« notwendig war. Die Araber werden als Esel dargestellt, und Ben-Gurion sagt wörtlich: Sie lieben es, wenn wir sie als Esel behandeln. Überhaupt könne man keinem Palästinenser trauen. Alle lehnten Israel ab, die einen aktiv, die anderen passiv. Vor allem müsse Israel sich schützen vor der arabischen Gefahr.
Ökonomische Strangulierung war ein Ziel – jede ökonomische Entwicklung sollte verhindert werden. Die Reduzierung der Bildungsmöglichkeiten auf ein Minimum, ja die »Verdummung« der Menschen, war gewollt. Den Palästinensern sollte das Leben unerträglich gemacht werden, damit sie auswanderten. Einer der Militärgouverneure berichtet, dass es über jeden Palästinenser in Israel eine Akte gebe. Eine »israelische Stasi«, so Raz. Einat Weizman und Adam Raz meinen, dass ihre Botschaft durch ein Dokudrama am besten an die israelische Öffentlichkeit gelangen werde. Sie hoffen auf weitere Aufführungen des Theaterstücks – und vor allem, dass das Problem der Finanzierung gelöst wird.
Helga Baumgarten ist emeritierte Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Birzeit nördlich von Jerusalem im Westjordanland und Autorin mehrerer Standardwerke zum Nahostkonflikt. Dies ist ihr sechster Beitrag in der Reihe »Briefe aus Jerusalem«. Teil eins erschien in der jungen Welt vom 29./30. Juni, die Folgebriefe wurden in den jW-Ausgaben vom 8., vom 13./14., vom 20./21. sowie vom 27./28. Juli veröffentlicht.
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