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Aus: Ausgabe vom 14.08.2024, Seite 5 / Inland
E-Mobilität

VW zerkleinert Zukunft

Sagenumwobenes »Trinity«-Auto soll nicht vor Ende 2032 in Zwickau produziert werden. Tausende Arbeitsplätze bedroht
Von Alexander Reich
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»Unser Software-Dream-Car«, sagte Exmarkenchef Ralf Brandstätter: Früher Trinity-Entwurf

Hochmut kommt vor dem Fall, aber Spitzenmanager haben da nichts zu befürchten. Wenn sie aus Selbstüberschätzung die Geschäfte großer Konzerne an die Wand fahren, fallen sie in Himmelbetten. Es sind die Beschäftigten, die ins Elend stürzen. Aktuelles Beispiel ist Volkswagen. Im Sommer vor drei Jahren versprach der damalige Konzernchef Herbert Diess ein VW-Elektromodell, das beim Autokartenspiel so gut wie jedes andere übertrumpfen würde: Windschnittiger als ein Tesla, sollte es in weniger als fünf Sekunden von null auf hundert beschleunigen. Die Reichweite mit voller Batterie sollte bei über 700 Kilometern liegen, ein Ladevorgang in weniger als einer Viertelstunde abgeschlossen sein. Ein neues Betriebssystem sollte autonomes Fahren wie in Abrahams Schoß ermöglichen. Ab 2026 sollte dieses »Zukunftsauto« namens Trinity so günstig produziert werden, dass sich die halbe Welt drum reißen würde.

Im Juli 2021 wurde der Vertrag von Diess bis Oktober 2025 verlängert. Dabei waren seine Ankündigungen unhaltbar. Als das im Juli 2022 nicht mehr von der Hand zu weisen war, musste er zurücktreten. Vor allem die Entwicklung der auch für den Trinity essentiellen Softwarearchitektur war trotz horrender Investitionen meilenweit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Diess’ Nachfolger Oliver Blume ist seitdem bemüht, die Scherben zusammenzukehren und realistischere Szenarien zu entwerfen. Zunächst schien davon das VW-Werk im sächsischen Zwickau zu profitieren. Es ist auf die reine E-Auto-Produktion ausgelegt und war bisher nie wirklich ausgelastet. Als Blume im vergangenen September einen geplanten Werkneubau in Wolfsburg beerdigte, schickte VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo Glückwünsche in die ostdeutsche Autostadt: »Trinity geht nicht nach Wolfsburg, sondern nach Zwickau. Das freut mich sehr für die Kolleginnen und Kollegen dort.«

Seit dieser Woche steht nun endgültig fest: Mit der Produktion des Zukunftsautos wird das Werk in Zwickau in absehbarer Zeit nicht zu retten sein. Zwar steht der sagenumwobene Trinity-Schlitten weiterhin in den Planungen. Mit einem Produktionsstart wird bei dem Konzern allerdings nicht mehr vor »Ende 2032« gerechnet, wie das Handelsblatt am Dienstag mit Verweis auf ein »VW-internes Dokument« berichtete. Hintergrund ist die Einführung einer einheitlichen Produktionsplattform für sämtliche E-Modelle des Konzerns, einschließlich der Marken Audi und Porsche. Die Einführung dieser »Scalable Systems Platform« (SSP) dauert noch eine Weile. Ein Grund sind die aus der Ära Diess geerbten Softwareprobleme, die VW neuerdings mit Milliardeninvestitionen in den US-E-Autobauer Rivian lösen will. »Der Erfolg der SSP steht und fällt mit dem Erfolg der Partnerschaft mit Rivian«, zitierte das Handelsblatt am Dienstag einen »Insider«.

Während in Zwickau noch in diesem August mehr als 1.000 VW-Beschäftigte entlassen werden könnten – und mittelfristig alle 9.400 Werksarbeiter um ihre Jobs fürchten müssen –, ist Herbert Diess weich gefallen. Er konnte im Sommer vor zwei Jahren eine Abfindung in Höhe von 12,8 Millionen Euro aushandeln. Plus die Gehälter bis Vertragsende. Damit kommt er auf etwa 30 Millionen Euro von VW, ist aber jetzt auch Aufsichtsratsboss des Chipkonzerns Infineon.

Ein dreiseitiges Papier zum Thema wurde am Montag von der Partei Die Linke vorgelegt, wie jW berichtete. »Autoindustrie: Umbau starten, Jobs retten!« ist der Titel. Es gehe darum, »die Weichen Richtung Verkehrswende zu stellen«, heißt es da. »Die veralteten Geschäftsmodelle der Konzerne und die Boni der Bosse« seien Fälle für den Müllhaufen der Geschichte. »Unter Umständen sind auch Enteignungen nach Artikel 14/15 Grundgesetz sowie gesellschaftliche Beteiligungen ein Weg.«

Das Land Niedersachsen hält bereits 11,8 Prozent der VW-Aktien. Größter Anteilseigner aber sind mit 31,9 Prozent die Familien Porsche und Piëch. Deren PSE-Holding hat die Konzerne VW und Porsche im ersten Halbjahr um mehr als zwei Milliarden Euro erleichtert und nun »erheblichen Spielraum für potentielle Investitionen in weitere Kern- und Portfoliobeteiligungen«, wie der Finanzvorstand am Dienstag mitteilte.

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