Schmierenkomödie im Gerichtssaal
Von Henning von StoltzenbergSeit Montag läuft vor dem Landgericht Duisburg der lang erwartete Prozess gegen Thomas L. und Nina S., beiden wird vorgeworfen, im Juli 2022 den Sprengstoffanschlag auf das Linke Zentrum in Oberhausen verübt zu haben. Bei dem Angriff wurden die Außenfront und weite Teile der Inneneinrichtung des Lokals der Partei Die Linke und der Ratsfraktion Linke Liste zerstörte. Bereits zu Prozessbeginn versuchten die Anwälte der Beschuldigten das Verfahren zu entpolitisieren. Man wolle kein »Politikum« aus dem Prozess machen und in einem Gespräch mit den Vertretern der Anklage »die Möglichkeiten« ausloten, worauf die Verhandlung unterbrochen wurde.
Im Verfahren gaben die Angeklagten an, am Tag des Anschlags den Abend bei ihrem guten Bekannten Kevin C. verbracht zu haben. Dort sei der Sprengsatz von L. und C. gemeinsam gebaut worden. Dabei hätten alle drei verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Mitternacht sei das Paar gemeinsam mit seinem Hund mehrere Stunden »ziellos« durch die Innenstadt gelaufen. Angeblich ganz spontan hätte L. seine Lebensgefährtin auf Höhe des Linken Zentrums in der Fußgängerzone aufgefordert, den Sprengsatz zu plazieren, der wenig später detonierte. Anschließend seien sie, unbehelligt von herannahenden Polizeistreifen, in die gemeinsame Wohnung gegangen.
Dieser Darstellung widerspricht, dass bereits Stunden vorher ein Rauchtopf in der betreffenden Straße gezündet worden war. Außerdem gab der wegen Sprengstoffdelikten sowie Waffen-, Drogen- und Falschgeldbesitz vor kurzem zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt C. an, sich zur Tatzeit auf Sizilien aufgehalten zu haben, was laut Polizei durch Flugtickets und Urlaubsfotos nachgewiesen werden könne. Deshalb sei der bereits inhaftierte Bombenbauer auch nicht weiter in diesem Verfahren angeklagt, so das Gericht.
Unbestritten ist, dass alle drei Personen sich seit Jahren kennen und C. verschiedene Sprengsätze und weitere pyrotechnische Gegenstände angefertigt hat, mit denen er laut Polizei »sein Umfeld versorgt« habe.
Auf die Spur des braunen Duos sei die Polizei zufällig gestoßen, nachdem die erste Ermittlungskommission schon ihre Arbeit eingestellt hatte. Erst als nach der Festnahme von C. sein Chatverlauf ausgelesen wurde, tauchten Hinweise auf. Die drei Personen seien in einen Streit um eine Spielekonsole geraten. Als S. gegenüber C. mit einer Anzeige drohte, bezeichnete er das Paar als rechte Terroristen, die das Büro der Linken gesprengt hätten und lieber vorsichtig sein sollten.
Bei der anschließenden Hausdurchsuchung fanden die Beamten eine stark verdreckte Wohnung vor, in der Hitler-Porträts, eine Hakenkreuz- sowie eine Reichskriegsflagge an den Wänden hingen. Dazu wurden Sprengstoffreste sowie eine große Anzahl von Hieb- und Stichwaffen sichergestellt. Auf den beschlagnahmten Festplatten wurden umfangreiche Anleitungen zum Bombenbau sichergestellt.
Beide Angeklagten behaupten, sich von der Neonaziszene lösen zu wollen beziehungsweise ihr gar nicht richtig anzugehören. L., der in den neunziger Jahren der verbotenen neonazistischen FAP angehört haben soll, behauptete, dass er die Nazidevotionalien, die schon seit rund 15 Jahren in der Wohnung hingen, gar nicht mehr richtig beachtet habe. Er sei eigentlich gar kein Rechter, habe sich aber aus der Haft heraus bei einem Aussteigerprogramm angemeldet.
S. hingegen ließ über ihren Anwalt verkünden, in der Untersuchungshaft geläutert worden zu sein. In einem Brief an L. habe sie sich von rechtem Gedankengut distanziert. Die Angeklagte war erst im April vergangenen Jahres vom Amtsgericht Oberhausen wegen des Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole zu einer Geldstrafe verurteilt worden, auf Facebook hatte sie einen SS-Totenkopf mit dem Slogan »Den Tod geben, den Tod empfangen« gepostet. Auf ihrem beschlagnahmten Handy fanden die Ermittler eine Nachricht, in der sie mit einem Zwinkersmiley angekündigt hatte, »sich in einer Gruppe Juden in die Luft sprengen zu wollen«.
Als Schmierenkomödie bezeichnete Linke-Liste-Vorsitzender Yusuf Karaçelik die Darstellung der Angeklagten im Gespräch mit junge Welt. Es sei eine gängige Strategie von Neonazis, im Fall der Anklage ihrer Ideologie abzuschwören. Der Kommunalpolitiker forderte, der Aufklärung rechter Anschläge müsse eine viel größere Priorität eingeräumt werden. Auch seien die Betroffenen zu spät über Aktenlage und den Prozesstermin informiert worden.
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