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Aus: Ausgabe vom 15.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Irrwitziger Raubbau

Von Wolfgang Pomrehn
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»Kinderstube vieler Fischarten«: Nordsee vor Borkum

Es soll wieder nach Gas gebohrt werden. Seit vielen Jahren geht die einheimische Förderung zurück, doch nun soll unter der Nordsee ein neues Vorkommen erschlossen werden. Das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie in Hannover hat am Mittwoch Bohrungen vor der ostfriesischen Insel Borkum im Grenzgebiet zu den Niederlanden genehmigt.

Das SPD-geführte niedersächsische Wirtschaftsministerium hatte zuvor zugestimmt, und der Koalitionspartner von den Grünen hält offensichtlich die Füße still. Damit kann die Förderung jedoch noch nicht starten, denn die Deutsche Umwelthilfe klagt weiter vor den Gerichten, und ein nötiger Vertrag mit den Niederlanden ist noch nicht unterzeichnet. Das Gasvorkommen erstreckt sich nämlich beiderseits der Seegrenze und soll von den Niederlanden aus angebohrt werden. Sowohl dort als auch in Deutschland regt sich in der örtlichen Bevölkerung und bei Umweltverbänden lebhafter Protest, und zwar aus vielen guten Gründen.

Erstens ist die Gasförderung in der betroffenen ostniederländischen Provinz Groningen seit Jahren extrem unbeliebt. Die durch das Abpumpen von Gas entstehenden Hohlräume im Untergrund führen zum Absinken darüber liegender Erdschichten. An der Oberfläche führt das zu Mikrobeben, Schäden an den Häusern und reichlich Stress für die Bewohner der Region. Zweitens findet die Förderung im Wattenmeer statt, einem weltweit einzigartigen Ökosystem, das die Kinderstube vieler Fischarten ist. Der bei Ebbe trockenfallende Meeresboden an der Nordseeküste hat auch einen nicht unerheblichen ökonomischen Wert. Letzteres für die Fischerei und den Tourismus in der Region. Und drittens ist da natürlich der Klimawandel, der durch die weitere Verfeuerung fossiler Brennstoffe beschleunigt wird.

Am Dienstag und Mittwoch wurden weite Teile Süd- und Westdeutschlands zum wiederholten Male in diesem Jahr von schweren Unwettern mit Überschwemmungen heimgesucht. Ereignisse, die durch den Klimawandel häufiger und vor allem intensiver werden. Mit der Temperatur steigt nämlich auch die Aufnahmefähigkeit der Luft für Wasserdampf, und zwar exponentiell. Deshalb werden unter anderem die derzeit zu beobachtenden Wärmegewitter heftiger. Zugleich gibt es inzwischen fast täglich Meldungen von extremen Hitzewellen auf nahezu allen Kontinenten. Und diese Hitze tötet schon jetzt. Jahr für Jahr sterben Hunderttausende an den unmittelbaren Folgen. Auf den Baustellen Katars, auf den Straßen Mumbais, auf den Feldern Afrikas und in den Altersheimen Europas.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (14. August 2024 um 21:15 Uhr)
    Von wegen »Irrwitziger Raubbau«! Die deutsche Gasversorgung pfeift auf dem letzten Loch! Wie man den Zahlen (Quelle: https://www.ndr.de/nachrichten/info/LNG-Wie-viel-Fluessigerdgas-kommt-derzeit-in-Deutschland-an,lng632.html und https://energy-terminal.de/de/terminals) entnehmen kann, wurden seit 13.8.2023 in Lubmin 466 Millionen Kubikmeter LNG (von möglichen 4,7 Mrd.), in Wilhelmshaven 3,9 Milliarden Kubikmeter (von möglichen 4,7 Mrd.) und in Brunsbüttel 1,9 Milliarden Kubikmeter (von möglichen 3,7 Mrd.) LNG regasifiziert. Ohne Gasförderung im Watt könnte die Auslastung der LNG-Terminals womöglich steigen, das darf keinesfalls geschehen! Außerdem kann man den Krabbenfischern die Schleppnetzfischerei leichter verbieten, sie könnten ja die Gasförderung durch Navigationsfehler gefährden.

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