»Die Regierung hat ihnen Hoffnung gemacht«
Interview: Gitta DüperthalDie Machtübernahme der Taliban in Afghanistan jährte sich zum dritten Mal. Aus diesem Anlass fordern Pro Asyl und die Landesflüchtlingsräte die Bundesregierung auf, das Bundesaufnahmeprogramm endlich zu realisieren. Wie ist die Lage in dem Land aktuell?
Die Situation dort lässt sich nur als eine Katastrophe für die Menschenrechte beschreiben. Das Terrorregime der Taliban setzt Frauen und Mädchen unter Druck, stiehlt ihnen alle Rechte, verbannt sie aus dem öffentlichen Leben und der Bildung. Für die LGBTIQ-Community ist es lebensgefährlich. Die Taliban haben ein brutales Strafsystem gegen jede Opposition errichtet. Das Ausmaß der Gewalt zeigt sich zum Beispiel auch an der Unfreiheit der Presse. Besonders schwierig ist die Lage für Menschen, die vor der Machtübernahme internationale Kräfte und Hilfsorganisationen in Afghanistan unterstützt haben.
Allein die Zusammenarbeit reicht den Taliban, sie zu verfolgen, verschleppen, vergewaltigen oder zu ermorden. Entsprechende Berichte erhalten wir von mit uns kooperierenden Organisationen und Betroffenen vor Ort oder deren Angehörigen in Deutschland. Dabei sprechen wir hier über Menschen, denen die Bundesregierung ihr Schutzversprechen gegeben hat. Es erschüttert die Glaubwürdigkeit Deutschlands weltweit, wenn wir sie nicht endlich retten.
Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linke-Gruppe im Bundestag, kritisierte das Aufnahmeprogramm, bei dem seit Oktober 2022 monatlich bis zu 1.000 gefährdete Afghaninnen und Afghanen aufgenommen werden sollten, als »bürokratisches Monstrum«. Nur 540 Personen hätten einreisen können, die weitere Finanzierung sei nicht gesichert. Was bedeutet das für die in Afghanistan bedrohten Menschen?
Das Schlimmste ist: Die Bundesregierung hat ihnen Hoffnung auf Aufnahme gemacht, dies aber nicht umgesetzt. Statt dessen bestand das Bundesinnenministerium auf ein aufwendiges bürokratisches Verfahren. Viele Menschen, die schon Aufnahmezusagen haben und nach Pakistan fliehen, um bei der deutschen Botschaft Termine für die Erteilung von Visa zu machen, sitzen dort monatelang fest. Sie werden komplett im Stich gelassen.
Von Pakistan aus wird ständig nach Afghanistan abgeschoben. Was sollte die Bundesregierung unternehmen?
Die Bundesregierung muss mit den Nachbarstaaten Afghanistans humanitäre Lösungen aushandeln, damit das niemandem widerfährt – zumindest nicht denjenigen, denen sie Aufnahmezusagen erteilt hat. Verfolgte und bedrohte Personen müssen in Pakistan warten können, bis sie dort ihre deutschen Visaverfahren durchlaufen haben. Sie müssen zumindest übergangsweise dort Schutz bekommen, bis sie woanders aufgenommen werden. Es darf auch nicht sein, dass sie unterdessen zum Beispiel tägliche sogenannte Überziehungsgebühren zahlen müssen. Eine internationale Kooperation, um Aktivistinnen und Menschen zu retten, die die internationalen Kräfte unterstützt haben: Das ist kein Gefallen, sondern ein Gebot.
Denn diese Menschen werden bedroht oder sogar getötet, weil sie mit deutschen Institutionen zusammengearbeitet haben. Wir dürfen nicht weiterhin wegschauen. Derzeit sorgen zivilgesellschaftliche Organisationen dafür, dass Menschen aus Afghanistan gut beraten und aufgenommen werden. Jetzt ist es endlich an der Zeit, dass die Bundesregierung diese staatliche Aufgabe übernimmt.
Die Bevölkerung in Afghanistan leidet nach wie vor unter einer dramatischen Hungersnot. Wie kann sie von außen bekämpft werden?
In diesem Land gibt es kaum mehr Ressourcen, Kinder sind akut vom Hungertod bedroht. Die Bundesregierung sollte sich, möglicherweise auch über Dritte, die mit dem Regime im Gespräch sind, dafür einsetzen, dass humanitäre Hilfe direkt bei den Betroffenen ankommt – und nicht bei den Taliban.
Statt dessen aber führt die Bundesregierung Kooperationsgespräche mit den Taliban zu »Rücknahmeabkommen« von Geflüchteten.
Es stellt eine Gefährdung unserer Demokratie und rechtsstaatlichen Prinzipien dar, wenn die deutsche Regierung mit einem solchen kriminellen Mörderregime kooperiert, nur um Abschiebungen zu ermöglichen. Wir fordern einen Abschiebestopp nach Afghanistan und Bleiberecht für geduldete Afghaninnen und Afghanen.
Tareq Alaows ist flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl
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