Rohingya zwischen den Fronten
Von Thomas BergerEs fällt zunehmend schwer, im sich verschärfenden Bürgerkrieg von Myanmar die Übersicht zu behalten. Die meisten Nachrichten und Bilder trudelten zuletzt aus dem nördlichen Shan-Staat ein, wo ein lokales Bündnis aus zwei bewaffneten Widerstandsgruppen große Geländegewinne im Kampf gegen die Truppen der Militärjunta verbuchen kann. Weit weniger im Fokus steht bei der Wahrnehmung – zumindest im Ausland – der Nordwesten. Dabei ist die dortige Region, der Teilstaat Rakhine, vielen noch hintergründig im Bewusstsein: Ab Mitte August 2017 verging über Wochen kaum ein Tag, an dem nicht auch hierzulande über die brutalen Attacken des Militärs (damals noch gedeckt von der im Februar 2021 weggeputschten zivilen Regierung unter Aung San Suu Kyi) gegen die Rohingya und die daraus resultierende Massenflucht berichtet wurde. Binnen eines halben Jahres flohen etwa 740.000 Angehörige der bedrängten Volksgruppe ins benachbarte Bangladesch, wo sie bis heute in riesigen Flüchtlingscamps hausen. Ganze Dörfer wurden damals niedergebrannt, Geflüchtete berichteten von Morden und Vergewaltigungen.
In jüngster Zeit sehen sich die Rohingya doppelt bedrängt. Neben der ohnehin als brutal und gnadenlos berüchtigten Armee des Putschistenregimes sind die Rebellen der Arakan Army, deren politische Dachorganisation die United League of Arakan ist, die zweite Bedrohung. Sie gilt derzeit als mächtigste unter den zwei bis drei Dutzend Milizen der diversen ethnischen Minderheiten im Vielvölkerstaat. Manche streben nach einem gewissen Maß an Autonomie, andere sogar nach Eigenständigkeit.
Aus ihrem Landesteil, dem Rakhine-Staat, hat die Arakan Army die Militärmacht der Junta mittlerweile weitgehend vertrieben. Bis zu 40.000 Mann soll die Rebellengruppe, seit ihrer Gründung 2009 von Generalmajor Tun Myat Naing angeführt, nach eigenen Angaben wie externen Schätzungen unter Waffen haben. Das ist eine gewaltige Streitmacht, die punktuell auch anderen Rebellenarmeen zur Seite steht. Mit dem Bündnis aus Myanmar National Democratic Alliance Army und Ta’ang National Liberation Army ist sie in der »Three Brotherhood Alliance« verbündet. Seit Anbeginn kooperiert sie auch eng mit der Kachin Independence Army, die seinerzeit Aufbauhilfe bot. Die meisten Kämpfer sind aber in der Heimatregion gebunden, wo sie inzwischen neun mittelgroße Städte eingenommen haben. Die Armee hält vor allem noch die Regionalhauptstadt Sittwe. Schon von der Arakan Army überrannt wurde zum Beispiel das historisch bedeutsame Mrauk-U, die Hauptstadt jenes Königreiches Arakan, auf das sich die Rebellengruppe in ihrem Selbstverständnis bezieht. Arakan hatte ab 1430 gut 350 Jahre Bestand, fiel erst 1785 unter dem Vordringen der Burmesen unter König Bodawpaya. 100 Jahre später wurde ganz Burma Britisch-Indien einverleibt.
Anders als die Mehrzahl der Einwohner Myanmars, die sich zum Buddhismus bekennen, und einigen Minderheiten, die Christen sind, handelt es sich bei den Rohingya um Muslime, denen seit 1982 die Staatsbürgerschaft verwehrt wird. Selbst in liberalen Intellektuellenkreisen war es früher nicht unüblich, sie abschätzend als »Bengalis« zu titulieren. Sich zuletzt häufende Berichte von Übergriffen seitens der Arakan Army konterkarieren deren Beteuerungen, für ein friedliches Miteinander aller Glaubensgemeinschaften einzustehen. Zwangsrekrutierungen unter der Minderheit werden beiden Seiten vorgeworfen, und die Armee soll Rohingya gar als menschliche Schutzschilde einsetzen, heißt es. Selbst aus Flüchtlingslagern in Bangladesch, so ein detaillierter Bericht der Tageszeitung Dhaka Tribune, werden junge Männer mit Hilfe der zwielichtigen »Rohingya Solidarity Organisation« entführt und in Myanmars Armee gepresst. Auch die US-amerikanische NGO Human Rights Watch wirft in einem aktuellen Bericht beiden Seiten Verbrechen vor. Die Arakan Army habe, so auch andere Meldungen, bereits Mitte Mai beim Vorrücken auf die Stadt Buthidaung mehrere Rohinyadörfer niedergebrannt. Von 150.000 im Raum Buthidaung lebenden Rohingya sind etwa 40.000 vor den Kämpfen geflüchtet.
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