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Aus: Ausgabe vom 21.08.2024, Seite 5 / Inland
Deutsche Bahn

Tesafilm und Trassenpreise

Deutsche Bahn: Fahrpläne werden »nur noch geschätzt«. Haushaltseinigung für 2025 bringt weitere Verschlechterung
Von Alexander Reich
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Auch hier hält Klebeband den Laden zusammen: Hauptbahnhof in Duisburg

Wenn die Deutsche Bahn noch einen Sargnagel gebraucht hätte – der neueste Haushaltstrick der Bundesregierung hat das Zeug dazu. Im Juli waren die Fernzüge etwas pünktlicher. Statt jedem zweiten hatte nur noch gut jeder dritte eine Verspätung von mehr als sechs Minuten. Aber so richtig zufrieden scheinen die Chefs des Staatskonzerns damit nicht. »Fahrpläne werden nicht mehr gerechnet, sondern nur noch geschätzt«, ließ sich ein Mitglied des Aufsichtsrats im Wirtschaftsteil der Süddeutschen von Montag zitieren. Das sei ein »Riesenproblem« und führe zu einem »Kontrollverlust«.

Was die Planungen zum »Lotteriespiel« mache, ließ sich die Zeitung von einem Fahrdienstleiter erklären: In den Stellwerken würden »museumsreife Schaltpulte mit Tesafilm notdürftig zusammengeklebt«, damit sie nicht auseinanderfielen. Philipp Nagl, Vorstandschef der Bahntochter Infra-GO, die das Schienennetz und die Bahnhöfe betreibt, mochte nicht jedes Detail bestätigen, aber räumte ein: »Deutschland hat heute die älteste Stellwerkslandschaft in Westeuropa.«

Hier löst sich der Tesafilm, dort gibt es die xte Signalstörung; und weil auch Gleise, Weichen und Brücken zerbröseln, gibt es womöglich bald nur noch Langsamfahrstellen. Aber als am vergangenen Freitag auf Teufel komm raus eine sogenannte Haushaltseinigung für 2025 erzielt werden musste, ließ die Bundesregierung mal wieder die marode Bahn über die Klinge springen. So macht sie das seit Jahrzehnten in wechselnder Besetzung.

Nach monatelangen Verhandlungen über den Haushaltsentwurf war Ende vergangener Woche noch eine Lücke von 17 Milliarden Euro zu stopfen, und die Ampelkoalition schien kurz davor, einen Liveticker einzurichten, um ihr Ringen erlebbar zu machen. Drei Vorschläge lagen auf dem Tisch. Zum einen hatte der Bundeskanzler die Verwendung von fünf Milliarden Euro angeregt, die die Staatsbank KfW vom einstweiligen Höhepunkt der Energiekrise übrig hat. Scholz ist ein Spezialist für Umwidmungen, die später vom Verfassungsgericht kassiert werden. Ein Rechtsgutachten bewahrte ihn vor der Wiederaufführung. Blieben noch zwei Ideen. Sie ähnelten einander sehr, betrafen aber unterschiedliche Verkehrskonzepte. Zuschüsse an die Bahn und an die Autobahn GmbH sollten durch Darlehen ersetzt werden.

Die Autobahngesellschaft hatte allerdings den Herrn der Budgets auf ihrer Seite. Christian Lindner sträubte sich beharrlich gegen deren Schlechterstellung, bis seine Kollegen völlig entnervt aufgaben. »Wir haben keinen Finanzminister mehr, sondern nur noch einen FDP-Chef«, soll ein »Regierungsmitglied« nach den Verhandlungen geschimpft haben, schrieb das Handelsblatt am Montag.

Weil nun am Freitag wenigstens ein einziger Vorschlag zum Stopfen der Haushaltslücke in den Entwurf geschrieben werden musste, damit von einer »Einigung« die Rede sein konnte, traf es die Bahn: Ein Zuschuss in Höhe von 4,5 Milliarden Euro soll gestrichen, dafür das Eigenkapital der Bahn im selben Umfang erhöht werden. Kein Problem, könnte der Laie meinen. Wenn diese Eigenkapitalerhöhung nicht auf die Schuldenbremse angerechnet wird, und sich dadurch der Handlungsspielraum im Etat erhöht – sollen sie doch machen. Die Sache hat allerdings einen üblen Haken.

»Eigenkapitalerhöhungen anstelle der üblichen Baukostenzuschüsse führen zu höheren Trassenpreisen, machen also in der Konsequenz die Nutzung der Schieneninfrastruktur für Eisenbahnverkehrsunternehmen und damit die Wirtschaft und Reisenden erheblich teurer«, erklärte der Bahnverband Allianz pro Schiene am Sonntag in einer Pressemitteilung. Wie das? war die Frage. »Aus Finanzierungsgründen.« Weiter ging die Mitteilung nicht ins Detail.

Auf Nachfrage der jW verwies eine Sprecherin der Allianz am Montag zunächst auf einen Newsletter zur »Berechnung der Trassenpreise, die politisch vorgegeben ist und im übrigen quasi ein Mathematikstudium voraussetzt«, wie dort zu lesen war. »Werden Infrastruktur-Investitionen über zusätzlich bereitgestelltes Eigenkapital finanziert, dann steigen auch die Trassenpreise. Und ja, Sie dürfen jetzt gerne einmal laut hähhh? oder auch wie bitte?! ausrufen. Also noch mal langsam: Wenn Investitionen in die Infrastruktur aus Eigenkapital finanziert werden – und nicht wie sonst üblich aus direkten Baukostenzuschüssen des Bundes – dann müssen die Kosten für die Abschreibung auf die Trassenpreise aufgeschlagen werden. Puh.«

Zweite Nachfrage: Was heißt »Kosten für die Abschreibung«? Auch die Antwort darauf fiel einigermaßen kompliziert aus: »Anders als bei Baukostenzuschüssen des Bundes muss die DB eine Erhöhung des Eigenkapitals in ihrer Bilanz aktivieren und die entsprechenden Abschreibungen mit zusätzlichen Einnahmen ausgleichen – was in der Höhe wiederum nur über steigende Trassenpreise geschehen kann.« Eine Annäherung. Mehr Klarheit schien hier nicht zu holen: »Unser Mr. Trassenpreise, der alles gaaaaanz detailliert erklären kann, ist leider gerade im Urlaub.«

Als die Bahn am Montag abend dann erwartungsgemäß mitteilte, dass sie ab 2026 noch mal deutlich mehr Geld für die Nutzung ihrer Gleise verlangen werde, war der Aufschrei groß, und die Wirtschaftsnachrichtenagentur Reuters lieferte am Dienstag schließlich eine recht handliche Erklärung: Demnach »ist gesetzlich vorgeschrieben, dass das Eigenkapital mit 5,9 Prozent über die Einnahmen aus den Trassenpreisen verzinst werden muss«. Das Wörtchen »verzinst« war noch recht irritierend, aber die Relation mittlerweile klar: »Je höher das Eigenkapital, desto höher die Trassenpreise.«

Im übrigen will die Bahn die Schienenmaut 2026 nicht pauschal anheben, sondern für den Fernverkehr um gut zehn Prozent, für den Güterverkehr um knapp 15 Prozent und für den Regionalverkehr um 23,5 Prozent. Für letzteren lägen die Mehrkosten damit bundesweit bei rund einer Milliarde Euro pro Jahr. Das sei »nicht zu verkraften«, teilte das bayerische Verkehrsministerium mit. Und der Verband »Güterbahnen« erklärte zu den »immer absurderen Aufschlägen«: »Das Trassenpreissystem kollabiert vor unseren Augen.« Gleiches ließe sich wohl für die Bahn insgesamt behaupten.

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