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Aus: Ausgabe vom 22.08.2024, Seite 1 / Titel
Krieg und Frieden

USA sehen Feinde überall

Laut New York Times soll sich Washington auf gemeinsame nukleare Bedrohung durch China, Russland und Nordkorea vorbereiten
Von Reinhard Lauterbach
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Treibt den Konflikt weiter auf die Spitze: US-Präsident Biden mit seinem Amtskollegen Xi bei G20-Treffen auf Bali (14.11.2022)

Nach Angaben der New York Times (NYT) vom Dienstag hat US-Präsident Joseph Biden im März dieses Jahres eine hochgeheime neue Richtlinie zum Atomwaffengebrauch (Weapons Guideline) gebilligt. Das Papier geht nach Angaben der Zeitung erstmals von der Möglichkeit aus, dass Russland, China und Nordkorea – eventuell auch Iran – ihre nuklearen Potentiale koordinieren könnten, um die Interessen der USA zu bedrohen. Angeblich ist die Studie so geheim, dass sie nur in einer kleinen Anzahl von Ausdrucken existiert, aber nicht als irgendwo abgespeichertes und abgreifbares Textdokument. Die NYT beruft sich auf Andeutungen von seiten mehrerer hochrangiger Pentagon-Beamter in den letzten Monaten. Zu erwarten sei, dass Biden kurz vor seinem Ausscheiden im kommenden Januar den Inhalt des Papiers offiziell dem Kongress als Lageeinschätzung Washingtons vortragen werde. Welche Konsequenzen die Autoren der Studie aus ihren Einschätzungen ziehen, ist in dem Bericht nicht erwähnt.

Nach dem, was die NYT vom Inhalt erfahren haben will, ist das US-Militär vor allem besorgt über das rasche Tempo der nuklearen Aufrüstung Chinas. Das Land habe derzeit 500 einsatzbereite Atomsprengköpfe und könne diese Zahl bis 2030 verdoppeln. Die Zahl der einsatzfähigen Atomwaffen Nordkoreas wird mit 60 angegeben – »genug, um in Zusammenarbeit mit anderen eine Rolle zu spielen«.

China wies die Aussagen der Studie am Mittwoch zurück. Die USA kochten das Thema der angeblichen chinesischen Bedrohung regelmäßig hoch, wenn es ihnen um eigene strategische Vorteile gehe, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Beijing, Mao Ning, auf ihrer täglichen Pressekonferenz. Die offiziöse chinesische Zeitung Global Times erinnerte daran, dass Mehrfrontenkriege für diejenigen, die sie zu führen hätten, selten erfolgreich ausgegangen seien. Wenn die USA jetzt auf einen Dreifrontenkrieg – in der Ukraine, im Nahen Osten und in der Pazifikregion – orientierten, dann spielten sie mit ihrem eigenen Status als Weltmacht. Global Times macht den militärisch-industriellen Komplex in den USA für die entsprechende Propaganda verantwortlich. Dieser Branche sei es egal, wie ein Krieg für das Land und die Bevölkerung ausgehe – sie verdiene an jedem Krieg. Die Zeitung erinnerte auch daran, dass die USA in der Geschichte das einzige Land waren, das Atomwaffen im Krieg eingesetzt hat. China habe sich dagegen verpflichtet, Nuklearwaffen nie als erstes Land einzusetzen – wozu die USA nicht bereit seien.

Politisch ist das Bekanntwerden der neuen Richtlinie zum Waffengebrauch das Eingeständnis, dass die von Henry Kissinger und Richard Nixon in den 1970er Jahren eingeleitete US-Strategie, China und Russland gegeneinander auszuspielen, am Ende ist. Heute sind die beiden Länder strategische Verbündete, und auch wenn unter der Oberfläche Interessenkonflikte bestehen mögen und Russland wahrscheinlich inzwischen der schwächere von beiden Partnern ist, gibt es keine Anzeichen dafür, dass den USA ein ähnlicher Spaltungsversuch wie vor 50 Jahren ein zweites Mal gelingen könnte. Dass außerdem Länder wie Iran und Nordkorea, die politisch eher in der dritten Liga spielen, inzwischen zu der makabren Ehre gekommen sind, in Washington als Teil einer globalen Allianz von Feinden wahrgenommen zu werden, macht das Ausmaß der geopolitischen Verschiebungen deutlich. Und die USA können sagen, dass sie dazu beigetragen haben.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (22. August 2024 um 16:11 Uhr)
    Der Niedergang der USA ist nicht aufzuhalten. Was haben Sie der Welt noch zu bieten? Welche Perspektiven ergeben sich für einen Großteil der Menschen weltweit? Für Profite werden sie nicht nur in den weltweiten Kriegen verheizt, sondern auch mit Oxycontin und durch Waffenwahn an der Heimatfront. Dafür, dass China nicht nur eine Bedrohung, sondern das sehr wahrscheinliche Ende der US-Hegemonie besiegeln wird, sprechen die auf Temu und Alibaba angebotenen Waren und deren Preise. Die unzeitgemäßen kapitalistischen Produktionsverhältnisse mitsamt der »westlichen Werte« sind perspektivisch in Frage gestellt. Die aktuelle Weltlage und die geschichtliche Bilanz an Verbrechen und Leichen spricht nun aber leider dafür, dass dieser Übergang zu etwas anderem, uns alle in Gefahr bringt. Kaum vorstellbar, dass der kollektive Westen die Bühne als »fairer Verlierer« verlässt.
    • Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (26. August 2024 um 12:08 Uhr)
      Das letzte Gefecht der US-Allianz, wenn sie alles oder eben nichts mehr zu verlieren hat, wird schrecklich sein …
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (22. August 2024 um 11:16 Uhr)
    »Heute sind die beiden Länder strategische Verbündete, und auch wenn unter der Oberfläche Interessenkonflikte bestehen.« Strategische Verbündete, als die man gerne Russland und China einstuft, sollten auch in allen Belangen ebensolche sein. Interessenskonflikte stehen allerdings einer strategischen Verbundenheit im Wege. Man liest von Zahlungsproblemen im Handel zwischen den beiden Verbündeten und auch in der Logistik soll es Probleme geben. Da läuft einiges nicht rund, ganz davon abgesehen, dass sich China nie öffentlich als Verbündeter Russlands äußert. Das Kuschen vor dem Hegemon hat etwas Doppelzüngiges. Als wenn nicht beide dem gleichen Feind gegenüberstehen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (22. August 2024 um 10:31 Uhr)
    Die USA hätten China schon lange im Visier, und jetzt, da China zunehmend ambitionierter wird, nimmt Washington das asiatische Land umso ernster. China rüstet nuklear auf – und die USA sind besorgt. Laut der »New York Times« hat Präsident Biden seine atomare Abschreckungsstrategie neu ausgerichtet, mit besonderem Augenmerk auf China. Offiziell wird dies von der US-Regierung zwar dementiert, doch Experten vermuten, dass China längst als potenzielles Ziel betrachtet wird. Das Land stockt sein Atomwaffenarsenal rasant auf, plant sogar eine Verdoppelung bis 2030. Xi Jinping betrachtet Chinas Nuklearwaffen als strategisches Mittel, um sowohl militärische als auch diplomatische und politische Ziele zu erreichen. Beijing sieht sich zunehmend bedroht und handelt entsprechend aggressiv. Gleichzeitig bleibt Russland aber der Hauptfeind im nuklearen Wettrüsten, da es nicht nur über mehr Sprengköpfe verfügt, sondern ernsthaft nukleare Drohungen gegen den Westen darstellt.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (22. August 2024 um 15:31 Uhr)
      Überall um den amerikanischen Kontinent herum, russische Stützpunkte. Seit mehr als 30 Jahren rücken die Russen den Amerikanern immer dichter auf die Pelle. Die atomare Bedrohung ist allgegenwärtig, nicht wahr? Oder ist es nicht in Wahrheit genau andersherum? Haben nicht die USA mehr als 800 militärische Stützpunkte auf der ganzen Welt? Ist nicht die USA geführte NATO in den letzten 30 Jahren von Skandinavien bis Rumänien immer dichter an die russischen Grenzen herangerückt? Sollte nicht die Aufnahme der Ukraine, als Sahnehäubchen, gewissermaßen als Schlussstein die Einkreisung Russlands abschließen? Wer hat nun gegen wen »ernsthaft nukleare Drohungen« erhoben? Lieber Herr Hidy, Sie haben schon deutlich schlüssigere Kommentare abgegeben.
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (23. August 2024 um 15:15 Uhr)
        Das nukleare Potential Russlands ist die einzige Ursache dafür, dass es Russland (so wie es ist) noch gibt. Libyen, Syrien, Irak, lassen grüßen!
  • Leserbrief von Dr. Kai Merkel aus Wuppertal (22. August 2024 um 10:28 Uhr)
    Was diese »Studie« eigentlich sagt ist, dass die betreffenden Länder ihre »Potentiale koordinieren könnten (!),um die Interessen (!) der USA zu bedrohen«. Das wundert doch wirlklich niemanden. Das bedeutet: »Wir versuchen diese Länder schon seit Jahrzehnten kleinzuhalten, gegeneinander auszuspielen und öffentlich zu dämonisieren, nur damit wir die einzige globale Supermacht bleiben können (mit allen ökonomischen Vorteilen).« Mich wundert nur, dass da nicht schon viel früher ein Zusammenschluss zustande gekommen ist. Liegt jetzt wohl an den Mentalitäten der aktuellen Staatschefs und der offenen Drohung ohnehin bald vom »Imperium« unter Feuer bzw. Regime Change/Farbrevolution etc. genommen zu werden. Eine Einsicht, welche jetzt ja wohl bei jedem Bürger in Russland, China, Iran, Nordkorea (sowieso) usw. angekommen sein müsste. Teile und Herrsche, scheint wohl nach der x-ten Wiederholung nicht mehr zu funktionieren. Manche Strategen in Washington sind mittlerweile geistig so klar wie ihr Präsident. Es bleibt nur die geringe Hoffnung, dass nach der US-Wahl endlich Isolationismus stattfindet. Sollen sie ihre Mauer an der Grenze zu Mexico bauen (in der Mitte des Landes noch einen Turm Richtung Gott) und sich verschanzen. Man könnte ja endlich mal die multiplen inneren Probleme des Landes angehen und die Welt in Ruhe lassen. Ein schöner amerikanischer Traum, welcher am Exzeptionalismus und der eigenen Hybris zerplatzen wird.

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