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Aus: Ausgabe vom 23.08.2024, Seite 10 / Feuilleton
Rote Hilfe

Solidarität verbindet

Eine Wanderausstellung und ein Dokumentarfilm zum 100. Geburtstag der Roten Hilfe
Von Fabian Linder
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»Tretet ein in die Rote Hilfe« (Maifeier der Berliner KPD, 1.5.1926)

Unweit vom Rosenheimer Platz befindet sich in München in einem Hinterhof in der Lothringer Straße der Kunstraum »Florida«. Dass die Wanderausstellung zum 100jährigen Jubiläum der Roten Hilfe dort gezeigt wurde, war letztlich pragmatischen Gründen geschuldet. Zum einen habe man in München die Ausstellung in relativ kurzer Zeit auf die Beine gestellt, dann sei es schwer gewesen, überhaupt einen Raum zu finden, wie Münir Derventli von der Münchner Ortsgruppe erzählt. Viele fürchten um den Verlust städtischer Zuschüsse, wenn sie einer Ausstellung den Raum geben, die sich mit der Geschichte einer Solidaritätsorganisation befasst, die noch heute von staatlichen Sicherheitsbehörden wie dem Verfassungsschutz überwacht wird. Das verweist allerdings schon auf den Kern der Roten Hilfe, die ihre Hauptaufgabe in der Organisation linker Solidarität gegen staatliche Repression sieht.

Bereits auf der Vernissage der Ausstellung, die nach der Auftaktfeier des Jubiläumsjahres im Februar in Hamburg und dann in München zu sehen war, sprach man darüber, wie stolz man auf die facettenreiche Geschichte der eigenen Organisation sein könne. Nicht allein, weil die Rote Hilfe Deutschland in der Weimarer Republik mit mehreren hunderttausend Mitgliedern die größte und relevanteste Organisation ihres Zeichens war. Bis 1932 versammelten sich diese in landesweit 3.770 Ortsgruppen, wie auf einer der Schautafeln erklärt wird. Allein im Münchner Westend mit damals 20.000 Einwohnern – vornehmlich Arbeiter – habe es vier solcher Gruppen mit mehreren tausend Mitgliedern gegeben, erzählt Derventli. Auch dass es im Zuge der neuen sozialen Bewegungen und der Fragmentierung der 1970er Jahre gelang, wieder eine Organisation zu schaffen, die bis heute eine wichtige politische Kraft darstellt, spreche für die Rote Hilfe.

Erarbeitet von einer Arbeitsgruppe der Organisation, zeichnet die Ausstellung die wichtigsten Etappen in der Entwicklung verschiedener Vorläufer hin zu einer vornehmlich proletarisch geprägten Organisation in der Weimarer Republik nach. Dem folgen die repressiven Jahre des Faschismus und die damit einhergehende offizielle Auflösung und gefährliche Untergrundarbeit, dann die Wiederentdeckung der Roten Hilfe in den 70er Jahren. Während in jener Zeit einer politisch stark fragmentierten Linken die Rote Hilfe in ideologisch unterschiedlich geprägten Organisationen auftrat, bildete sich vor allem mit dem späteren Wandel zum heutigen Rote Hilfe e. V. eine in gewisser Hinsicht strömungsübergreifende Richtung heraus, die die Organisation bis in die Gegenwart stark macht.

Ergänzt wird die Ausstellung durch einen wesentlich detaillierter in die Geschichte eintauchenden Katalog, der auf die Bandbreite der bereits existierenden Literatur über die Geschichte der Solidaritätsorganisation verweist und so manches in der Ausstellung nur stellenweise angedeutete Thema vertieft.

Ähnlich verhält es sich mit dem zum Jubiläumsjahr entstandenen Dokumentarfilm »Solidarität verbindet«, der vornehmlich durch ehrenamtlich Engagierte in nur wenigen Monaten entstanden ist. Der Film beschäftigt sich neben den historischen Wurzeln und Entwicklungen mit einer Reihe von Fällen, in denen die Rote Hilfe als Solidaritätsorganisation in Erscheinung trat. Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass die Solidarität gegen staatliche Repression im Vordergrund steht und weniger die einzelnen politischen Themen, auf die der Staat mit Repression reagiert. Damit gibt die Dokumentation all denen Gesicht und Stimme, die sich in ihrem Aktivismus staatlicher Repression ausgesetzt sehen und dafür nicht selten hinter Gittern landen.

In Wort und Bild geht es um eine ganze Spannweite unterschiedlicher Akteure, die sich jeweils spezifisch für linke Politik einsetzen und dabei auf die Solidarität der Roten Hilfe bauen können. Es geht um den Fall der 18 Monate lang inhaftierten Klima­aktivistin »Ella«, die Antifaschisten »Dy« und »Jo«, die im Oktober 2021 zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden, oder dem im Sommer des vergangenen Jahres nach 27 Jahren aus der Haft entlassenen Thomas Meyer-Falk. Es berichten auch die wenigen verbliebenen Zeitzeugen, die noch über die in der Roten Hilfe engagierten Großeltern berichten können, aber auch jene Aktivisten aus den neuen sozialen Bewegungen der 70er Jahre, als sich die Rote Hilfe gerade wieder konstituierte, darunter auch jene, die sich zwar politisch nicht mit dem Vorgehen der RAF anfreunden konnten, aber dennoch gegen die als menschenunwürdig empfundenen Haftbedingungen, etwa die Isolationshaft, protestierten.

All das ergibt einen Film von über 100 Minuten Spielzeit. Es dürfte dennoch nicht einfach gewesen sein, eine Auswahl zu treffen. Am Ende bietet er eine spannende Überleitung zu Debatten, die notwendig sind, um sich ein Bild von der eigenen Organisation zu machen, mit dem man in die Zukunft geht.

Bundesweit gibt es in den kommenden Monaten weitere Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr, bei denen sowohl der Film als auch die Ausstellung zu sehen sind. Mit einem Straßenfest am Rio-Reiser-Platz feiert die Rote Hilfe an diesem Wochenende in Berlin-Kreuzberg ihr 100jähriges Bestehen.

Straßenfest zu »100 Jahre Rote Hilfe«, 23. bis 25. August, jeweils ab 14 Uhr auf dem Rio-Reiser-Platz, Berlin

»Solidarität verbindet«, BRD 2024, 100 Min., 24. August, 14 Uhr, Aquarium (am Südblock), Admiralstraße 1-2, Berlin

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