Schluss mit Embargo
Von Knut MellenthinSahra Wagenknecht hat einen taktischen Coup gelandet: In einem Gespräch mit dpa, das diese am 17. August öffentlich machte, forderte sie die Aufhebung des Ölembargos gegen Russland. Die Bundestagsabgeordnete ist zugleich eine der beiden Vorsitzenden der nach ihr benannten Partei Bündnis Sahra Wagenknecht. Im Fall einer Regierungsbeteiligung des BSW nach den brandenburgischen Landtagswahlen am 22. September werde sie sich dafür einsetzen, die PCK Schwedt wieder mit russischem Erdöl zu versorgen, sagte Wagenknecht der dpa. Dazu müsse man »Druck auf Berlin« machen.
Das im Land Brandenburg gelegene Raffinerieunternehmen, das bis dahin jahrzehntelang ausschließlich russisches Erdöl verarbeitet hatte, stoppte diese Lieferungen abrupt am 1. Januar 2023 und musste eine völlige Neuaufstellung vornehmen, auf die es überhaupt nicht vorbereitet war. Die Kapazitätsauslastung sank in den ersten Monaten auf unter 70 Prozent. Das Unternehmen, das traditionell den Großraum Berlin, Nordostdeutschland und sogar nahegelegene Teile Polens mit Erdölprodukten versorgt hatte, verlor dadurch Kunden und Markanteile. Bis heute gibt es keine öffentliche Rechenschaft, in welchem Ausmaß und in welcher Höhe das geschah, und ebenso wenig über die gegenwärtige Lage, die bei einer angeblichen Auslastung von »gut 80 Prozent« als »stabil« bezeichnet wird.
Die Reaktionen anderer Parteien auf Wagenknechts Vorstoß waren schroff und nicht durchweg wahrheitsgemäß. Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) behauptete: »Die Embargomaßnahmen sind Teil der gesamteuropäischen Reaktionen auf den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine« und stünden daher »nicht zur Diskussion«. Außerdem sei es gelungen, für die Anlagen in Schwedt »auch ohne russisches Öl eine stabile Versorgungslage zu schaffen«. Aber »stabil« heißt selbstverständlich nicht, dass die jetzige Auslastung ausreichend ist, um die Zukunft des Unternehmens dauerhaft zu sichern. Zudem handelt es sich beim abrupten Verzicht auf russisches Erdöl in Wirklichkeit um einen deutsch-polnischen Alleingang, der schon im Mai 2022 vereinbart wurde und bis heute nicht durch gemeinsame Beschlüsse der EU gedeckt ist. Mehrere andere Mitglieder der Gemeinschaft beziehen bis heute Erdöl und Erdgas aus Russland.
Besonders empört über Wagenknechts Forderung sind Bündnis 90/Die Grünen, die das Bundeswirtschaftsministerium kontrollieren und somit unmittelbar für die Zukunft des PCK Schwedt verantwortlich sind. Ihr Spitzenkandidat für die brandenburgische Landtagswahl, Benjamin Raschke, gab plakative Sprüche von sich, die so klangen, als wären sie von einer parteinahen drittklassigen Werbe- und Beratungsfirma ausgedacht: Wagenknecht plädiere für ein »Rollback in die Abhängigkeit von Putin«. »Wer den Rückwärtsgang einlegt, riskiert nicht nur die Versorgungssicherheit«. »Wer bei Putin bestellt, bekommt keine Sicherheit geliefert«.
Darüber hinaus warf Raschke der Bundestagsabgeordneten vor, dass sie nicht zur Landtagswahl in Brandenburg kandidiert: »Von außen große Töne von sich geben, ohne dass sie die Konsequenzen vor Ort tragen muss – das ist nicht die Politik, die Brandenburg braucht.« Das ist ein außergewöhnlich dummes Argument: Alle Entscheidungen über die PCK Schwedt liegen beim Bundeswirtschaftsministerium und bei der Bundesnetzagentur, die die Treuhandverwaltung über den Mehrheitseigner des Unternehmens, eine Tochtergesellschaft des russischen Rosneft-Konzerns, ausübt. Es geht also nur am Rande um Landes- und hauptsächlich um Bundespolitik.
Auch die Partei Die Linke wollte zum Vorstoß ihrer früheren Spitzenpolitikerin nicht schweigen. Ohne diese überhaupt zu erwähnen, wiederholte ihr Fraktionsvorsitzender im brandenburgischen Landtag, Sebastian Walter, ihre bekannten Forderungen: Schwedt muss schnellstens unter deutsche Staatskontrolle und mit mehr Erdöl aus Kasachstan – derzeit vermutlich rund zehn Prozent der verarbeiteten Gesamtmenge – versorgt werden. Ob das Land in Zentralasien das wirklich will und vor allem kann, ist aber eine offene Frage.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (26. August 2024 um 07:03 Uhr)Wenn die Partei Die Linke von Anfang an in Brandenburg klar Position für PCK-Schwedt und für Frieden und Handel mit Russland, Erdöl aus Russland bezogen hätte, dann müsste sie sich nicht die geringsten Sorgen um dortige Landtagswahlen machen. Gleiches gilt für Nord Stream und Mecklenburg-Vorpommern. Vermutlich hätten diese richtigen und notwendigen Positionierungen beste Auswirkungen auf Bundesebene. Ich habe es schon vor zwei Jahren nicht verstanden, warum die im Wachkoma liegende Linke diese Riesenchance verpennt. Manchmal wäre es so einfach gewesen, im richtigen Moment das Richtige zu tun. Und so selbstverständlich, wenn der Kompass stimmen würde.
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Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (25. August 2024 um 23:18 Uhr)Alles richtig, was da das BSW propagiert, da gilt es folglich am Ball zu bleiben. Was da noch fehlt, wäre die Vorwegnahme, also das Antizipieren der gegnerischen Einwände und Hetze. Da der Gegner nicht all zu viel auf der mentalen Pfanne servieren kann, meist ist es die stets gleiche Leier, ist diese vorsorglich aufzugreifen, zu analysieren und zu zerpflücken, auf dass so der Titel »cum laude« vergeben werden kann.
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