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Aus: Ausgabe vom 26.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Zwischen allen Stühlen

Telegram-Gründer in Paris verhaftet
Von Reinhard Lauterbach
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Schnell reagiert: Demonstranten für den in Paris verhafteten Telegram-Gründer drapieren am Sonntag Papierflieger in Moskau

Es gibt eine europäische Hauptstadt, wo die Nachricht von der Festnahme des Telegram-Gründers Pawel Durow offene Genugtuung ausgelöst hat. Sie heißt Kiew. Dort sind Politiker der Regierungspartei und der prowestlichen Reservemannschaft seit Monaten dabei, ein Verbot der Plattform zu fordern. Nicht zuletzt deshalb, weil auf Telegram russische und ukrainische Kanäle nebeneinander existieren, und sich die Mediennutzung der Ukrainer seit der faktischen Gleichschaltung der Medien des Landes in wachsendem Maße auf Telegram verlagert hat.

Die offiziös genannten Vorwürfe der französischen Behörden gegen Durow sind unpräzise genug, um ins Uferlose gedehnt zu werden: Da sich auf Telegram auch Anbieter von Drogen und Kinderpornographie bewegten, sei Durow an diesen Taten mitschuldig, weil er sie nicht verhindere bzw. den Behörden ermögliche, die Kommunikationen auf Telegram mitzulesen. Genau aus demselben Grund – weil er dem russischen Geheimdienst nicht die Daten ukrainischer Demonstranten im Zuge des »Euromaidan« zur Verfügung stellen wollte –, musste Durow das Startup Telegram ein Jahr nach seinem Rollout verkaufen und Russland verlassen. Jetzt drohen ihm in Frankreich 20 Jahre Haft – bei den 19 Jahren, zu denen Alexej Nawalnij in seinen diversen Prozessen insgesamt verurteilt wurde, war die Diagnose »politisch gesteuerte Rachejustiz« schnell bei der Hand.

Klar, noch ist Durow nicht verurteilt. Auf das Funktionieren von Telegram dürfte seine Festnahme vorerst keine Auswirkungen haben – das Unternehmen hat offenbar für diesen Fall vorgesorgt und einen Notfallplan vorbereitet. So ist wahrscheinlicher, dass die Festnahme Durows eher ein Fall von Beugehaft ist: Die Kämpfer gegen »Desinformation« wollen erreichen, dass unerwünschte Inhalte gelöscht oder zensiert werden. Die Frage ist, wie lange Durow seine Weigerung, mit den Diensten zu kooperieren, die ihn in der Hand haben, durchhält. Denn gegen einen russischen Staatsbürger traut sich der westliche Rechtsstaat mehr, als gegen Mark Zuckerberg oder Elon Musk. Wenn Moskau jetzt vorhat, zugunsten Durows zu intervenieren, schadet es ihm damit politisch womöglich mehr, als es ihm nutzt. Vielleicht fliegen ja demnächst in Russland ein paar »französische Spione« auf.

Politisch ist der Fall ein Symptom dafür, wie die bürgerlichen Freiheiten – u. a. die, »sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ungehindert zu informieren«, Art. 5, Abs. 1 Grundgesetz – von einem Aushängeschild der liberalen Ordnung zu einer Belastung derselben werden. Das Walter Ulbricht zugeschriebene Wort von 1945, es müsse »alles demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben«, feiert im Handeln seiner Feinde fröhliche Urständ. Der mündige Bürger ist derjenige, der seiner Herrschaft alles glaubt, was diese geglaubt bekommen will, und sich nur über die Sachen aufregt, die ihm dazu freigegeben werden.

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