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Pferdegeschichten

Von Helmut Höge
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Kürzlich stieß ich im Internet auf »Julio und das Gummipferd Jimmy«. Die Comicserie hat mal mein Leben bestimmt. Laut Wikipedia handelt es sich um das »wohl skurrilste Heldengespann der deutschen Comicgeschichte«, dessen Abenteuer zwischen 1953 und 1977 im »Sternchen«, der Kinderbeilage der Zeitschrift Stern, erschienen. Zeichner Roland Kohlsaat hatte Kunst studiert, arbeitete nach dem Krieg auf einem Gut als Pferdepfleger, wo er anfing, Pferdebilder zu malen. Das Comicpferd Jimmy, das Gaucho Julio gehört, kann man aufblasen.

Als ich meine Mutter einmal fragte, wo unsere große Schuhbürste herkomme, erfuhr ich, dass sie ihrem Bruder gehörte. Er war bei Kavallerie, sein Pferd Hansi hatte er sehr gemocht. Die beiden »fielen« 1943 in der Ukraine, das einzige, was von ihnen übrig blieb, war die Pferdekardätsche, mit dem wir unsere Schuhe putzten und sein Vorname Helmut, den ich weitertrage.

Später einmal baute mein Vater für uns Kinder ein Holzhaus im Moor, für das er Stämme aus dem Wald holte. Ich half ihm dabei. Vom Nachbarbauern lieh er sich zwei Pferde, die Kaltblüter Lise und Lotte. Ich arbeitete mit Lotte. Zwar war ich erst 13, aber »mein« Pferd wusste genau, wie es die Stämme an den Wegrand ziehen musste. Wenn die beiden auf der Weide waren, schwangen der Sohn des Bauern und ich uns manchmal auf ihre Rücken. Da saßen wir dann. Lise und Lotte ließen sich nicht aus der Ruhe bringen und fraßen weiter Gras.

Wenn wir die Schwester meines Vaters in Paris besuchten, wo sie in einer Fabrik arbeitete, die »Hollywood«-Kaugummi herstellte, bekamen wir mittags oft Pferdefleisch zu essen, was mir nicht recht war. In Westberlin lud man mich zu Lesewettbewerben (der vierten bis sechsten Klasse) ein. Die Mädchen lasen alle Pferdegeschichten, die Jungen Heldengeschichten.

Sehr viel später, als meine Wohngemeinschaft einen Bauernhof in der Wesermarsch gemietet hatte, zog auch ich dorthin. Wir schafften uns etliche Tiere an. Im Winter nahmen wir zwei Pferde von einem Pferdehändler in Pension. Er bezahlte mit Hafer. Als ich wieder einmal Viehfutter von ihm holte, hatte er 50 Absetzfohlen in einem Laufstall, alle hatten Fohlenräude. Aus Mitleid kaufte ich ihm das am schlimmsten befallene für 5.000 D-Mark ab. Er lieh mir seinen Pferdeanhänger, ein Freund, der zu den vier Göttinger »Mescaleros« gehörte, lieh mir das Geld. Bevor ich ihm das Geld zurückzahlen konnte, verübte er Suizid.

Weil ich das Fohlen namens Leinchen – das bald gesund und schön wurde und wunderbar roch – nicht auf einer langweiligen Weide halten wollte, ich aber auch kein Reiter war, nahm ich mir vor, mit ihm in Richtung Südwesten zu gehen, um auf Bauernhöfen zu arbeiten. Ich dachte mir: »Dem gehört die Welt, der ein gutes Pferd und eine Stunde Vorsprung hat.« Als Leinchen groß genug war, um eine Satteltasche zu tragen, gingen wir los – das war an dem Tag, als Arbeitgeberpräsident Schleyer von der RAF entführt wurde.

An der Mosel bat mich ein Bauer aus der Wesermarsch brieflich, ihm beim Ausbau seiner Schweineställe zu helfen, und holte mich mit Pkw und Pferdeanhänger ab. Ein halbes Jahr später brachte uns sein Schwager an den Grenzübergang Brenner, wo es dann weiterging, diesmal gemeinsam mit meiner Freundin Heike und ihrem Esel. Wir besuchten Freunde in der Toskana.

Ein Jahr später brachten wir mein Pferd nach Oberhessen in den Vogelsberg, wo wir inzwischen lebten. Den Esel ließen wir bei unseren Freunden. Leinchen hatte in Italien ein Hengstfohlen bekommen, das jedoch von einem Maultier getreten worden und daraufhin gestorben war. Leinchen mochte Frauen lieber als Männer. Im Vogelsberg wusste ich nicht mehr, wie es weitergehen sollte, und verkaufte sie, die damals sieben Jahre alt war, über einen Pferdehändler an eine Frau im Taunus. Ich hatte lange ein sehr schlechtes Gewissen.

In den 90ern zurück in Westberlin, fuhr ich gelegentlich nach Dallgow-Döberitz, wo mehr Pferde als Menschen lebten. Dort setzte ich mich auf einem der Reiterhöfe ins Café und beobachtete die Frauen reicher Männer, wie sie in der Reithalle um einen Reitlehrer herum im Kreis ritten. Dazu las ich die »Pferdearschbetrachtung« von Friedrich Schöder Sonnenstern.

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