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Aus: Ausgabe vom 28.08.2024, Seite 4 / Inland
Migrationspolitik

Keine Tabus mehr

Nach Messerangriff in Solingen: CDU-Spitze nach Gespräch mit Scholz um Hardlinerimage bemüht. Regierung in Thüringen will eigene Abschiebezellen
Von Kristian Stemmler
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Vorneweg beim Überbietungswettbewerb: CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstag in Berlin

Ein paar Tage nach dem Messerangriff in Solingen, bei dem ein syrischer Asylsuchender drei Menschen getötet hat, und wenige Tage vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben sich die im Stundentakt verschärften Vorstöße für einen migrationspolitischen »Kurswechsel« bis zur Ebene des Grundgesetzes hochgeschaukelt. CDU-Chef Friedrich Merz bekundete am Dienstag nachmittag nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dass auch eine Änderung des Grundgesetzes, das in Artikel 16 a das Asylrecht regelt, »kein Tabu« sei. Es gebe außerdem die Möglichkeit, im Einklang mit EU-Regelungen eine »nationale Notlage« zu erklären.

Zunächst müsse allerdings die Vorgabe umgesetzt werden, dass sich jemand, der über ein EU-Land oder einen sonstigen sicheren Drittstaat einreist, nicht auf das Asylrecht berufen kann. Wenn diese Regelung nicht eingehalten werden könne, »dann haben wir nach meiner Überzeugung das Recht, an den deutschen Außengrenzen zurückzuweisen«. Von Erfurt aus sekundierte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: Geflüchtete und Migranten sollten nur noch nach Deutschland einreisen können, wenn sie einen positiven Asylbescheid vorlegen können.

Scholz überließ Merz und der Union nach dem Gespräch im Kanzleramt die Bühne. Bei der Pressekonferenz rief Merz aus: »Es ist genug, es reicht.« Der Staat sei nicht mehr in der Lage, die Lage zu beherrschen: »Dem Bundeskanzler entgleitet mittlerweile das eigene Land.« Dies sage er nicht aus parteitaktischen Gründen oder mit Blick auf die Landtagswahlen am kommenden Sonntag, versicherte der CDU-Chef. Ihn treibe die Sorge um das Land. Er habe mit dem Kanzler in einer »guten Atmosphäre« über Konsequenzen aus dem Solinger Anschlag gesprochen.

Merz schlug Scholz demnach vor, dass SPD und Union je eine Person benennen, um schnell Gespräche darüber führen, was geschehen müsse, »um den illegalen Zustrom« zu begrenzen. Zum zweiten könne in der nächsten Sitzungswoche des Bundestages ein halber Tag dafür reserviert werden, um zu klären, welche Gesetze sofort zu diesem Zweck geändert werden könnten. Das könnten SPD und Union »ohne Rücksicht auf FDP und Grüne« organisieren, da sie gemeinsam eine deutliche Mehrheit im Bundestag hätten.

Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid nannte es derweil kaum vermeidbar, dass die Bundesregierung in der Frage von Abschiebungen Kontakt mit Regierungen aufnimmt, zu denen sie offiziell keine Beziehungen unterhält. »Wir werden nicht umhinkommen, mit dem Talibanregime und dem Regime in Damaskus technische Gespräche über einzelne Punkte zu führen, etwa Abschiebungen«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) sprach sich derweil dafür aus, den Sicherheitsbehörden mehr Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung zu geben.

Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht forderte Scholz am Dienstag auf, ein »Stoppsignal an die Welt senden: Die Willkommenskultur ist vorbei. Wir schaffen es nicht. Macht euch nicht auf den Weg!« Derweil manövriert in Thüringen die von der Abwahl bedrohte Landesregierung aus Linkspartei, SPD und Grünen: Sie erleichterte es den Kommunen, sogenannte Waffen- oder Messerverbotszonen einzurichten. Dafür habe das Kabinett die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, sagte SPD-Innenminister Georg Maier in Erfurt. Man gebe den Kommunen damit »ein wirksames Instrument zur Gefahrenabwehr an die Hand«. Die Verwaltungen der Landkreise und der kreisfreien Städte könnten bedarfsgerecht und schnell auf Gefahren reagieren. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) sagte, es könne nicht zur Normalität gehören, dass Menschen in Fußgängerzonen mit Messern in der Tasche herumliefen. Maier verwies außerdem auf eine Reihe weiterer Entscheidungen des Kabinetts, etwa eine die personelle Verstärkung der Zentralstelle beim Landesverwaltungsamt für die Rückführung ausreisepflichtiger Personen. Ramelow kündigte – einen Tag nach einer entsprechenden Positionierung des CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt – an, dass Thüringen Zellen einrichten werde, um ausreisepflichtige und straffällig gewordene Ausländer vor ihrer Abschiebung unterzubringen. Die bisherige Kooperation mit Rheinland-Pfalz reiche nicht aus.

Die AfD war angesichts dieser Entwicklungen am Dienstag bemüht, sich als unentbehrlicher Motor der migrationspolitischen Rechtsverschiebung zu profilieren. Koparteichefin Alice Weidel nannte das Treffen von Merz und Scholz einen »völlig bedeutungslosen Gipfel« und wiederholte die Forderung nach einem »sofortigen Einwanderungs-, Aufnahme- und Einbürgerungsstopp«.

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