Lindners Doppelrolle
Von Philip TassevMit zwei großformatigen Anzeigen auf der dritten Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) propagierte das Bundesfinanzministerium am 29. Mai und am 5. Juni die sogenannte Schuldenbremse. »Schuldenbremse abschaffen? Nich’ ok, Boomer!« bzw. »Schuldenbremse abschaffen? Das wird teuer für mich!«, darunter Fotos von jungen Leuten, dazwischen der Satz: »Weniger Schulden heute heißt mehr Möglichkeiten. Für mich und meine Generation.« So weit, so neoliberal.
Dass ein FDP-geführtes Ministerium die »Schuldenbremse« bejubelt, dürfte niemanden wundern. Das Ganze aber so kurz vor der EU-Wahl am 9. Juni, während die FDP-Bundestagsfraktion fast zeitgleich bei Social Media ihrem Liebling »Schuldenbremse« einen »Happy Birthday« wünschte (»Vor 15 Jahren wurde etwas ganz besonderes geboren«), das verursachte dann allerdings doch einiges Aufsehen. Manche witterten unerlaubte Parteienwerbung. Da »die Regierung grundsätzlich nur sachlich über ihre Arbeit informieren, aber keine Werbung für bestimmte parteipolitische Positionen machen darf«, so die Rechtsprofessorin und Parteienforscherin Sophie Schönberger damals, in dieser Anzeige aber »nicht die sachliche Information über die Schuldenbremse im Vordergrund steht, sondern ihre Verteidigung gegen eine eventuelle Abschaffung«, sei das ein Eingriff in »eine aktuelle politische Debatte« und keine »sachliche Darstellung der Arbeit der Bundesregierung«. Solche Meinungsbeiträge von seiten eines Ministeriums seien »insbesondere kurz vor einer Wahl in der Regel unzulässig«.
Allerdings ging die Juristin noch weiter. Die Zeitungsanzeigen des Finanzministeriums ähnelten vom Erscheinungsbild (die erste Anzeige war im typischen FDP-Gelb gehalten), aber noch viel mehr vom Inhalt so sehr der FDP-Werbung, dass es sich dabei um illegale Parteienfinanzierung handeln könnte. Entscheidend sei das Mitwissen und -wirken des Finanzministers, also FDP-Chef Christian Lindner.
Der habe zwar von dem Vorhaben gewusst, sei aber an der Ausarbeitung und Auswahl nicht weiter beteiligt gewesen, hatte Lindners Ministerium der ARD mitgeteilt. Eine interne E-Mail, aus der die Internetplattform abgeordnentenwatch.de am Dienstag zitierte, weckt jetzt allerdings Zweifel an dieser Darstellung. In jener E-Mail gibt der verantwortliche Referatsleiter den Kostenvoranschlag frei (die Anzeigen kosteten 46.367,74 Euro) und bittet dann die Werbeagentur »um Übersendung der beiden neuen FAZ-Anzeigevarianten, wie am Dienstag mit Minister Lindner besprochen«.
Das Ministerium musste gegenüber abgeordnetenwatch.de eingestehen, dass Lindner doch in größerem Umfang an der Ausarbeitung der Kampagne beteiligt war, als ursprünglich zugegeben. Bei mindestens einem Termin mit Agenturen, bei dem »der Komplex Schuldenbremse besprochen« worden sei, war der Finanzminister wohl »anwesend«. Parteienforscherin Schönberger sieht das kritisch: »Wenn Lindner bei einem Termin war, bei dem über die Ausgestaltung der Anzeigen gesprochen wurde, dann wird seine Doppelrolle als FDP-Chef und Finanzminister zum Problem für ihn.«
Die Linkspartei hat bereits angekündigt, vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Indem der Finanzminister mit Steuergeld Werbung für Positionen der eigenen Partei in Auftrag gegeben hat, habe er das Recht auf gleiche Chancen im Parteienwettbewerb verletzt. Die Bundestagsverwaltung hat sich der Sache ebenfalls angenommen. In dem Fall, dass sie tatsächlich illegale Parteienfinanzierung feststellt, droht der FDP eine Strafe in dreifacher Höhe der »illegalen Spende«.
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