Staatsstreich von oben
Von Hansgeorg HermannAufatmen bei den Konzernbossen Frankreichs: Staatschef Emmanuel Macron hat am Montag nachmittag die Ernennung einer von der parlamentarischen Linken formierten neuen Regierung kategorisch ausgeschlossen. Der Nouveau Front Populaire (NFP, »Neue Volksfront«), klarer Gewinner der Parlamentswahl vom 7. Juli, und seine Kandidatin für den Posten des Ministerpräsidenten, Lucie Castets, hatten nach Konsultationen mit Macron am Freitag noch auf Einsicht des Präsidenten gehofft. Er habe immerhin zu erkennen gegeben, sagte Castets am Wochenende, dass nicht seine eigene rechtsliberale Formation »Ensemble«, sondern die Volksfront die Wahl für sich entschieden habe. Macron will sich lieber, so viel scheint seit Dienstag klar zu sein, eine das Votum der Wähler missachtende Regierung aus dem »politischen Zentrum« zusammenbasteln. Am Morgen waren die Repräsentanten der Volksfront zu »weiterführenden Gesprächen« im Präsidentenpalast Élysée nicht mehr eingeladen. Statt dessen traf sich Macron mit den Wahlverlierern des Ensembles und der bürgerlichen Rechten, Les Républicains (LR).
Deren Vertreter waren bereits am Montag beim Sommertreffen des mächtigen französischen Unternehmerverbandes Medef (Mouvement des entreprises de France) vorstellig geworden. Yaël Braun-Pivet (Ensemble), die sich bei ihrer Wahl zur Parlamentspräsidentin mit Unterstützung der Rechten gegen den Kommunisten André Chassaigne durchgesetzt hatte, und Senatspräsident Gérard Larcher (LR) ließen sich mit Medef-Chef Patrick Martin ablichten und beruhigten das in Paris versammelte Kapital bezüglich der Pläne des Staatschefs und seiner Helfer in den rechten Fraktionen. Ihre Aufgabe für die kommenden Tage, vielleicht Wochen und Monate: die Volksfront zu diskreditieren – wie schon in den Jahren 1936, 1968 und 1981, stellte die Pariser Tageszeitung Libération am Dienstag fest. Das seit Mai 2020 als »gemeinnützige Körperschaft« im linken politischen Sektor organisierte Blatt zeigte auf seinem Titel unter der Überschrift »Die Verachtung« ein ganzseitiges Porträtfoto Macrons.
In der Tat reagierte die politische Szene der Hauptstadt mehrheitlich mit Unverständnis auf die »Kapriolen« und die »Arroganz« des Präsidenten. Der hatte seinen Streich gegen die Volksfront und deren Kandidatin Castets in einem eilig veröffentlichten Kommuniqué mit dem Hinweis begründet, eine von ihr geführte Regierung werde sich bereits am ersten Tag ihrer Existenz einen Misstrauensantrag der Parlamentsmehrheit einhandeln – der NFP ist zwar stärkste Fraktion, hält aber nur 193 der 577 Sitze in der Assemblée Nationale. Macron: »Die institutionelle Stabilität unseres Landes verbietet diese Option.« Ein schlechter »Witz«, fanden nicht nur die Sprecher der vier die Volksfront tragenden Parteien – La France insoumise (LFI), Parti Socialiste (PS), Ökologen (EE-LV) und Kommunisten (PCF). Macron selbst hatte am 7. Juli die gegenwärtige Staatskrise ausgelöst, als er am Wahlabend – ganz Autokrat – eigenmächtig das Parlament auflöste und die Regierung zum Rücktritt zwang. Ob sie die Ablehnung der Kandidatin der linken Wahlsieger als »Coup d’état«, als Staatsstreich einschätze, wurde Castets am Dienstag in Radio- und TV-Interviews immer wieder gefragt. Sie sagte nicht nein.
Gefährlich schienen dem Präsidenten und seinen Ratgebern beim Medef allerdings weniger das Personal der Volksfront und ihre Kandidatin. Worum es in Wirklichkeit geht, erklärten Macrons rechtsliberaler Koalitionspartner François Bayrou und Medef-Präsident Martin dem verachteten Wahlvolk am Dienstag ohne falsche Scheu: »Die Unternehmer sind beunruhigt; die Wirtschaft mag keine Drohungen.« Drohungen? Das Gesellschaftsmodell der Volksfront, von Castets mehrfach vorgetragen, unterscheidet sich tatsächlich fundamental von dem des Präsidenten und wird – siehe Wahlergebnis – von zwei Dritteln der Franzosen gutgeheißen: Rücknahme der arbeiterfeindlichen »Rentenreform«, die »ehrliche« Finanzierung aller öffentlichen Sozialdienste und Transporte. Macron will das Gegenteil, er setzt seit 2017 auf totale Privatisierung.
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