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Aus: Ausgabe vom 28.08.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Kein Kuckuck zu sehen

Allerdings ein hübsches Horror-B-Movie mit A-Besetzung: Tilman Singers »Cuckoo«
Von Ronald Kohl
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Schönheit des Horrors: Gretchen (Hunter Schafer) hat ein paar Probleme

Als Universal Pictures im Juni 1973 Steven Spielberg den noch nicht veröffentlichten Roman »Der weiße Hai« auf den Tisch legte (die Filmrechte hatte man bereits ersteigert), antwortete der damals erst 26 Jahre alte Regisseur, dass er den Auftrag unter einer Bedingung annehmen würde: Während der gesamten ersten Stunde dürfe kein einziger Hai zu sehen sein. Der Erfolg gab ihm recht.

Regisseur und Drehbuchautor Tilman Singer hat in »Cuckoo« noch einen draufgepackt: Bis zum Schluss sehen wir nicht einen Kuckuck. Nur einmal kommt einer aus einer Uhr geschossen, und dann gibt es da noch die vergilbte Fotografie, die der Betreiber einer seltsamen Ferienanlage am Armaturenbrett seines Jeeps befestigt hat.

Also kein Kuckuck, aber dafür reichlich Kuckuckseier, wie wir den Nachwuchs zu nennen pflegen, der treu­sorgenden Familienvätern von ihren nicht ganz so treuen Ehefrauen gelegentlich untergejubelt wird.

Allerdings, und »Cuckoo« ist ein wirklich durchgängiger Allerdingsfilm, allerdings ist Luis (Marton Csokas) von seiner Frau Olivia nicht betrogen worden, sondern er hat sie verlassen. Trotzdem gilt die gemeinsame Tochter Gretchen (Hunter Schafer) als waschechtes Kuckucksei, zumindest in den evolutionsbiologischen Wahnwelten eines gewissen Herrn König (Dan Stevens), dem Besitzer des »Resort Alpschatten«. Und auch in den Aufzeichnungen seiner krankhaft ehrgeizigen Klinikleiterin Dr. Bonomo (Proschat Madani) wird Gretchen als Vertreterin der Spezies Homo Cuculidae geführt. Gleiches trifft auf Alma (Mila Lieu) zu, die Tochter aus Luis’ zweiter Ehe, die er seit acht Jahren mit Beth (Jessica Henwick) führt.

Herr König ist ein alter Bekannter von Beth und Luis. Sie haben in seiner im tiefsten Bayern gelegenen Ferienanlage ihre Flitterwochen verbracht. In dieser Zeit muss Alma entstanden sein. Gleichzeitig wohl auch ihr Zwillingsgeschwister, das danach einem mörderischen Konkurrenzkampf zum Opfer fiel.

In der Vogelwelt ist für die erfolgreiche Fortpflanzung des Kuckucks nur die Fähigkeit der Weibchen ausschlaggebend, den richtigen Zeitpunkt für die Eiablage abzupassen und dann ein möglichst perfektes Duplikat des Wirtseies herauszupressen. Für gewöhnlich legt die Kuckucksmutter dabei immer nur jeweils ein Ei in das fremde Nest. Bei dieser aus darwinistischer Sicht vielleicht etwas unverständlichen Zurückhaltung haben Herr König und seine Klinikleiterin angesetzt.

Als die 17 Jahre alte Gretchen, der Herr König einen Job an der Rezeption des Resorts gegeben hat, von ihrer Kollegin Trixie (Greta Fernandez) nach Alma gefragt wird, mit der nach Trixies Ansicht offenkundig etwas nicht stimmen kann, erzählt ihr Gretchen, dass Alma ein Miststück sei, das sein Zwillingsgeschwister im Mutterleib gegessen habe. Das Verschwinden eines Fötus während einer Mehrlingsschwangerschaft, also dessen Tod und die anschließende Resorption, gilt zwar als anerkanntes medizinisches Phänomen, kannibalistische Züge konnten hierbei allerdings noch nie beobachtet werden.

Wenn ich den Plot richtig verstanden habe, betreibt Herr König sein Resort, um aggressive menschliche Kuckuckskinder zu züchten, und zwar mit so großem Erfolg, dass er erweitern muss. Beth und Luis hat er anreisen lassen, um den Neubau zu planen, was in einem gewaltigen Blutbad endet.

Betrachtet man allein den Inhalt, ist »Cuckoo« ein klassisches B-Movie mit A-Besetzung. Auf ein höheres Level wird das Werk mittels seiner sehr stilsicheren Zeitreisen gehoben: viel Bondmäßiges aus den 60er Jahren, aber auch jede Menge kalte Architektur aus den darauffolgenden Jahrzehnten, gepaart mit der ganz großen Verneigung vor dem Neuen Deutschen Film und dem Kitsch der 80er Jahre.

Inspiriert wurde Tilman Singer zu dem Film durch eine BBC-Dokumentation über den Kuckuck. Es ist wirklich lohnenswert, so einen kleinen, noch halb nackten Kuckuck dabei zu beobachten, wie er sich abmüht, um seine Nestgeschwister, die sich oft heftig wehren, über Bord gehen zu lassen. Singer spricht hier von der »Schönheit des Horrors«; fraglos eine sehr zutreffende Beschreibung auch für »Cuckoo«. Was er mit dem Film aber wirklich ausdrücken will, erfährt man erst, wenn man ihn nach seinem Lieblingsfilm fragt. »Ein Film«, sagt er, und seine Augen glänzen dabei, »der mir total wichtig ist: Jurassic Park.«

»Cuckoo«, Regie: Timan Singer, BRD 2024, 102 Min., Kinostart: 29. August

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