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Aus: Ausgabe vom 02.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Maritime Wirtschaft

Papenburger Firmenpatriarch diktiert

Eignerfamilie der Meyer-Werft hat lokale Politik fest im Griff. Schiffe werden immer länger, außerdem breiter und höher
Von Burkhard Ilschner
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Bernhard Meyer in Papenburg

Im Mai 1986 hat die Meyer-Werft ihr allererstes reguläres Kreuzfahrtschiff abgeliefert – und bereits damals gab es Probleme: Denn die »Homeric« war 204 Meter lang und damit schon zu groß, um in Papenburg gebaut und via Ems aufs Meer überführt zu werden. Aber als führendes Unternehmen der Region hatte Meyer die lokale Politik längst fest im Griff: Weil der 29 Meter breite Neubau nicht durch die zu dieser Zeit 26 Meter breite Papenburger Seeschleuse gepasst hätte, ließ die Stadt diese kurzerhand auf 40 Meter erweitern. In Leer krachte es dann trotzdem, denn die Durchfahrt der Jann-Berghaus-Brücke war ebenfalls zu schmal: Sie wurde 1991 zunächst durch einen Neubau für 40-Meter-Passagen ersetzt und dieser 2010 auf 56 Meter erweitert; allein diese beiden Vorhaben kosteten die Steuerzahler 38,3 Millionen Euro.

Bis zum »Homeric«-Abenteuer hatte die Meyer-Werft nur Behördenschiffe, Fähren und Tanker kleiner und mittlerer Dimensionen gebaut. Ihr bis dahin größtes Projekt war 1980 das Fährschiff »Viking Sally« mit einer Länge von knapp 160 Metern gewesen – es gelangte 14 Jahre später unter dem Namen »Estonia« zu trauriger Berühmtheit, als es mit mehr als 800 Menschen an Bord vor der finnischen Küste unterging. Die »Homeric« indessen feierte Werftchef Bernard Meyer bei Ablieferung nach Agenturangaben als »unsere Visitenkarte, der Türöffner zum Weltmarkt«.

Er hat seit diesem Zeitpunkt geschätzte 60 Kreuzfahrtschiffe in Papenburg bauen lassen und abgeliefert – seine Vorgehensweise war dabei ebenso konsequent wie brachial. Weil »der Markt« es ja verlangte, wurden die in Auftrag genommenen Neubauten immer länger, immer breiter, immer höher. Jüngste Schiffe sind rund 350 Meter lang und mehr als 40 Meter breit. Aber weil der Werftstandort nun einmal knapp 50 Kilometer von der Nordsee (Emden) entfernt und diese nur über eine teilweise mäandernde, meist unzureichend tiefe und oft zu enge Ems erreichbar ist, müssen Fluss und Natur halt angepasst werden; natürlich immer auf Kosten der Bevölkerung.

Es ist zweifellos so, dass die Meyer-Werft mit viel Kreativität dazu beiträgt, Hunderttausenden Kreuzfahrten anbieten zu können. Aber berechtigt ist auch die Feststellung, dass dies die Familie nicht nur auf Kosten vieler abhängig Beschäftigter reich gemacht hat, sondern dass eine ganze Region dieser Firma und ihren Ansprüchen unterworfen worden ist. In den 1990er Jahren haben Umweltschützer laut darüber nachgedacht, Strafanzeige gegen Werftboss Bernard Meyer zu stellen – wegen »Nötigung von Verfassungsorganen«. Es wurde nichts daraus, es wäre juristisch vermutlich chancenlos gewesen, moralisch aber durchaus berechtigt: Nahezu jedem übernommenen Neubauauftrag folgte zwangsläufig die Forderung nach Emsvertiefung hier oder Flussausbau dort. Aber noch während dies wasserbautechnisch oder umweltplanungsrechtlich geprüft wurde und das jeweilige Schiff längst nicht fertig war, wurde bereits der Auftrag fürs nächst größere Schiff akquiriert und eine weitergehende Anpassung eingefordert. Und immer ging das einher mit Druck auf die Politik, es galt ja, Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region zu schützen.

Über die vielfältigen, teilweise auch unmoralischen Versuche, Lösungen zu erzwingen, wurde bereits berichtet: Standortverlagerung, Seitenkanal, Sperrwerk, abgekaufte Einsprüche und anderes mehr. Unterm Strich hat Meyer bislang immer gewonnen. Ob das auch jetzt so bleibt?

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