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Aus: Ausgabe vom 05.09.2024, Seite 4 / Inland
Nach Treffen zu Migrationspolitik

Union beharrt auf Verschärfungen

Nach Gesprächen zu Migration: CDU/CSU fordern Zurückweisungen an Grenzen
Von Kristian Stemmler
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Die Union will Migranten gleich an der Grenze wegschicken (Konstanz, 9.5.2017)

Nach dem als vertraulich deklarierten Gipfelgespräch zwischen Bundesregierung, Ländern und CDU/CSU zur Migrationspolitik am Dienstag hält die Union die Debatte über das Thema am Leben und versucht, die Regierung mit kaum erfüllbaren Forderungen vor sich herzutreiben. So machte CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstag klar, dass es zur geplanten Fortsetzung der Gespräche nur kommen werde, wenn die Forderung der Union erfüllt werde, Geflüchtete an den Grenzen zurückzuweisen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl wies darauf hin, dass ein solches Vorgehen rechtlich nicht zulässig ist.

SPD-Chef Lars Klingbeil kritisierte am Mittwoch den Vorschlag von Zurückweisungen. Die Verhandlungen solle man nicht »mit irgendwelchen Forderungen überlagern, mit Ultimaten überlagern«, sagte er im »Frühstart« von RTL und N-TV am Mittwoch.

Merz nutzte einen Auftritt bei einer Wahlkampfveranstaltung im brandenburgischen Kremmen – in Brandenburg wird am 22. September gewählt – für Kritik an der Ampelregierung. Es gebe »keine Bereitschaft«, über die »Zurückweisung an den deutschen Grenzen zu sprechen«, erklärte er laut dpa. Die Union und die von ihr regierten Länder seien sich einig, dass es ein weiteres Gespräch nur geben werde, wenn die Regierung darauf eingehe. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Boris Rhein (CDU), bezeichnete die Ergebnisse der Gespräche als enttäuschend, »weil sie keinerlei Begrenzung der illegalen Migration vorsehen«. Was in Berlin diskutiert worden sei, falle selbst hinter den früheren Beschlüssen der MPK mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) deutlich zurück, erklärte er am Mittwoch gegenüber dpa.

Etwas optimistischer fiel die Bilanz aus, die Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, nach dem Gipfeltreffen zog. Es habe eine »gute Gesprächsatmosphäre« geherrscht, sagte er am Dienstag abend laut Reuters. Vertreter der Bundesregierung hätten sich »ernsthaft mit den Punkten, die für uns wichtig sind, auseinandergesetzt«. Wie Merz bestand auch Frei darauf, dass es Zurückweisungen an den Grenzen geben müsse, um eine »drastische Reduktion der Migration« zu erreichen. In einem Podcast des Nachrichtenportals Politico behauptete Frei, es gebe keine Rechtsprechung, die dagegen spreche.

Pro Asyl hatte ein solches Vorgehen am Dienstag dagegen als europarechtswidrig eingestuft. Deutschland müsse »den für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaat« identifizieren – dies könne nicht die Bundespolizei an der Grenze tun, sondern nur das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Die Kommunen pochen unterdessen auf eine Beteiligung an zukünftigen Gipfeltreffen. Es wäre gut, wenn diese beteiligt würden, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger, am Mittwoch im Deutschlandfunk. Die Kommunen seien »schließlich die Orte der Integration« für Geflüchtete, so der Funktionär. Der Deutsche Landkreistag forderte in einem Papier eine Wende in der Migrationspolitik. Die Aufnahmefähigkeit der Kommunen sei erschöpft, hieß es darin.

Kritik kam von der Organisation Rom e. V., die sich für die Rechte von Roma und Sinti einsetzt. In einer Erklärung vom Dienstag erklärte der Vorstand, nach dem Anschlag von Solingen erreichten »verfassungsfeindliche und faschistische Argumentationen durch die derzeit hektische Migrationsdebatte die Mitte der Gesellschaft«. Islamistischer Terror dürfe zu keinem Zeitpunkt legitimiert werden und verlange nach harten Konsequenzen. Diese dürften aber »nicht zum Nachteil von Menschen werden, die vor Gewalt, Hunger, Verfolgung oder ähnlichem fliehen«. Es werde derzeit »so getan, als sei Migration die ›Mutter aller Probleme‹«, kritisierte Vorstandsmitglied Ossi Helling gegenüber jW. Als Folge der Debatte nehme die »Stigmatisierung und Verfolgung von geflüchteten Menschen« zu. Auch Rassismus gegenüber Roma und Sinti verstärke sich, so Helling. Sie würden schneller abgeschoben, Jugendliche, die »nach Sinti oder Roma aussehen, überdurchschnittlich hart kontrolliert«.

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