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Aus: Ausgabe vom 12.09.2024, Seite 10 / Feuilleton
Antikolonialismus

Bedingungen der Revolution

Vor 100 Jahren wurde der antikoloniale Widerstandskämpfer Amílcar Cabral geboren
Von Michael Henkes
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Amílcar Cabral (12.9.1924–20.1.1973)

Er war eine der bedeutendsten Gestalten des antikolonialen Kampfes in Afrika: Am 12. September 1924 wurde Amílcar Lopes Cabral in Bafatá im damaligen Portugiesisch-Guinea geboren. Als Theoretiker und Praktiker des Kampfes gegen Unterdrückung, Fremdherrschaft und Ausbeutung, prägte er zuvörderst Guinea-Bissau und Kap Verde, doch mit Bedeutung für den antikolonialen Befreiungskampf weltweit.

Sohn einer Lehrerfamilie mit kapverdischen Wurzeln, aber zunächst aufgewachsen in Guinea-Bissau, deutete anfangs nicht viel auf eine revolutionäre Zukunft hin. Nach der Schule erhielt Amílcar Cabral 1945 ein Stipendium für das Studium der tropischen Agrarwissenschaften in Lissabon. Damit schien sich zunächst alles »typisch« zu entwickeln: Oftmals wurden die intellektuellen Mittelschichten der Kapverden, gut ausgebildet und »assimiliert«, in den Dienst des Kolonialregimes gestellt. Sowohl auf den Inseln selbst als auch in Guinea. Dass Cabral diesen Weg nicht einschlug, hat sicherlich auch mit der politischen Vorprägung durch seinen Vater zu tun, einem Kritiker des Kolonialismus. Vor allem aber dürfte sein Studienaufenthalt in Lissabon entscheidend gewesen sein: Hier lernte er in der Casa dos Estudiantes do Império den Angolaner Agostinho Neto und den Mosambikaner Eduardo Mondlane kennen, beide später Führer des antikolonialen Wiederstandes in ihren Ländern. Nach dem Studium arbeitete Cabral zunächst in Portugal, wurde dann 1952 aber für die Agrarverwaltung in Guinea tätig – das bereits mit dem Ziel, örtliche Landarbeiter zu agitieren. Drei Jahre später musste er das Land auf Druck des Gouverneurs verlassen. Er floh nach Angola, gründete ein weiteres Jahr später zusammen mit seinem Bruder Luís und Aristides Pereira (später erster Präsident der Republik Kap Verde) die Partei PAIGC (zunächst PAI), den »Partido Africano para a Independência da Guiné e Cabo Verde«. Fortan war er im vollen Einsatz für die Befreiung. Einerseits praktisch, indem er die Aufklärungsarbeit unter den vor allem ländlichen Bevölkerungsteilen koordinierte. Auch vernetzte er die Befreiungsbewegungen Angolas, Mosambiks, São Tomé and Príncipes und die des PAIGC, hielt Vorträge in Amerika und Europa und sicherte sich Unterstützung durch die sozialistischen Länder. Andererseits theoretisch: Amílcar publizierte eine Reihe von Werken und Vorträgen, die sich unter anderem mit den Fragen des revolutionären Kampfes im Allgemeinen, aber auch mit der spezifischen Sozialstruktur Guineas und Kap Verdes befassten. Gerade bei letzterem kamen ihm seine Kenntnisse der landwirtschaftlichen Strukturen beider Kolonien zugute. Überhaupt betonte Cabral immer wieder die Notwendigkeit, den Befreiungskampf auf Grundlage einer genauen Analyse der örtlichen Sozialstruktur zu führen.

Er lieferte genau das und setzte sich intensiv mit den Unterschieden beider Kolonien auseinander. Die Kapverden waren geprägt von einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft mit einigen wenigen Großgrundbesitzern und einer Mehrzahl an Pächtern und Halbpächtern. In Guinea existierte neben der Subsistenzwirtschaft auch ein für den Export bestimmter Anbau von Erdnüssen, auf Landgütern portugiesischer Kolonialisten, durch einheimische Landarbeiter auf Lohnbasis. Die daraus folgenden Anforderungen an einen erfolgreichen Befreiungskampf waren Gegenstand seiner Arbeiten. Aber Cabral setzte sich auch mit Themenfeldern wie Parteiaufbau, Lenins Beitrag zum Antiimperialismus, kapverdischer Dichtung und der Rolle der Frau auseinander. Sein breites Repertoire machte ihn zu einer der einflussreichsten Figuren des Antikolonialismus der 1960er.

In den Kolonien selbst erreichte der Kampf eine neue Qualität nach dem Massaker von Pidjiguiti 1959 (Hafen von Bissau), bei dem etwa 50 Hafenarbeiter bei Protesten gegen die Regierung getötet wurden. Es kam zum bewaffneten Guerillakampf in Guinea, schnell eroberte die PAIGC große Teile des Landes. Parallel installierte sie bereits national-demokratische staatliche Strukturen, die im September 1973 einseitig die Unabhängigkeit Guinea-Bissaus erklärten. Nach der Nelkenrevolution in Portugal erfolgte de jure die Unabhängigkeit, auch die von Kap Verde.

Beides sollte Amílcar Cabral aber nicht mehr erleben. Er wurde am 20. Januar 1973 von einem Mitglied seiner eigenen Partei ermordet, angeblich, weil die Guineer den Einfluss der Kapverdier innerhalb der Bewegung als zu groß empfanden. Nicht wenige vermuten allerdings zumindest eine mittelbare Beteiligung der portugiesischen Geheimpolizei.

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