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Aus: Ausgabe vom 12.09.2024, Seite 16 / Sport
Patriarchat

Das große Schweigen

Der Umgang von Sportverantwortlichen mit Vorwürfen gegen Fußballer wegen sexualisierter Gewalt muss sich ändern
Von Mara Pfeiffer
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Die verfolgte Unschuld: Memphis Depay (Mitte) glaubt lieber seinen Kollegen, als Vorwürfe ernst zu nehmen

Im Juli 2023 sorgte Memphis Depay, damals in Diensten von Atlético Madrid, für Wirbel mit einem Instagram-Post. Fußballprofi Benjamin Mendy war da gerade von Vorwürfen der Vergewaltigung und der versuchten Vergewaltigung freigesprochen worden, nach dem ersten Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung in sechs Fällen und einem Fall sexueller Nötigung im Januar. Depay fragte, wer Mendy nun helfen würde, zu heilen – und wer Verantwortung trage für den Schaden an dessen Namen. Er sei Mendy schon begegnet und habe nichts Böses in seinen Augen gesehen. »Wir können nicht akzeptieren, dass uns Athleten das passiert«, schrieb Depay und stellte die Frage, wer ihnen als Sportlern zur Seite stehe.

Der Beitrag hat auch ein Jahr später nichts an Relevanz verloren, weil viele Spieler, auch aus der Fußballbundesliga, Depay damals zustimmten. Was einigermaßen grotesk ist, denn die Personen, denen es eklatant an Beistand und Unterstützung fehlt, sind Betroffene sexualisierter Gewalt. Wie leichtfertig extrem privilegierte Fußballprofis sich der Annahme anschließen, sie seien es, die vor irgend etwas geschützt werden müssten, ist absurd.

Aktuell gab und gibt es auch im deutschen Fußball wieder Fälle von Vorwürfen sexualisierter Gewalt. Im Juli wurde der frisch von Mainz 05 verpflichtete Kaishū Sano in seiner Heimat Japan festgenommen. Er stand im Verdacht, mit zwei weiteren Spielern an einem sexuellen Übergriff beteiligt gewesen zu sein. Die mutmaßliche Betroffene hatte die Polizei informiert. Der Spieler saß in U-Haft, der Klub schwieg. Die Ermittlungen wurden eingestellt, Sano kam frei und wurde im Trainingslager geräuschlos ins Team integriert.

Eine Fangruppe namens »Wildes Gebilde« und die Ultraszene Mainz veröffentlichten jeweils Statements, in denen sie ihrem Unmut darüber Luft machten. Sie forderten Transparenz. Der Verein reagierte mit einer Meldung, er habe als Arbeitgeber »keinen Zugriff auf Ermittlungen«, aber eine »Verantwortung, die Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre unserer Angestellten zu schützen«. Gegen falsche Anschuldigungen betreffend den Vorstand werde man sich wehren, gegebenenfalls juristisch. Transparenz sieht anders aus.

Ein Einzelfall ist das nicht. Lukas Kwasniok, Trainer des Zweitligisten SC Paderborn, wurde im Mai 2023 auf Mallorca wegen Vorwürfen sexueller Gewalt festgenommen. Sein Verein stellte sich hinter ihn, Kwasniok kam ohne Auflagen frei, das Verfahren wurde eingestellt. Gegen den Stuttgarter Profi Atakan Karazor läuft seit über zwei Jahren ein Verfahren, zunächst wegen mutmaßlicher Vergewaltigung, inzwischen wegen sexueller Nötigung. Sein Trainer hat ihn vor der Saison zum Kapitän gemacht. Wieviel mehr Schutz wünschen sich Profifußballer genau?

Zwei Dinge sind zu trennen: Juristisch gilt in all diesen Fällen die Unschuldsvermutung. Aber es gibt auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Der Fußball, als Zuschauersport und sportliche Betätigung gleichermaßen Magnet für Millionen Menschen allen Alters, trägt eine Verantwortung, der seine zumeist männlichen Protagonisten nicht nachkommen. Vorwürfe werden ausgesessen, und es gibt kein Bewusstsein dafür, dass all die vermeintlichen Einzelfälle zusammen ein klares Bild zeichnen: In patriarchalen Strukturen ist der Wert von Frauen und der ihrer schlimmen Erlebnisse nachrangig. Männer im Fußball wollen von derlei Erzählungen nicht gestört werden, auch und gerade nicht beim Geldverdienen.

Laut dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (BFF) erleben zwei von drei Frauen sexualisierte Gewalt, sieben Prozent in schweren Fällen. Oft trauen sich die Betroffenen nicht, darüber zu sprechen, auch aus Angst, ihnen werde nicht geglaubt. Laut Studienlage werden lediglich fünf bis 15 Prozent der Vorfälle angezeigt, dabei kommt es wiederum in weniger als zehn Prozent zu einer Verurteilung. Um so wichtiger ist es, mutmaßlichen Opfern zuzuhören.

Vergewaltigungen, ungewollte, erzwungene sexuelle Handlungen und sexualisierte Übergriffe geschehen in aller Regel ohne Beisein von Zeugen, sind also schwierig zu beweisen. Die juristisch wichtige Unschuldsvermutung darf in ihrer Bedeutung nicht umgekehrt und gegen mögliche Betroffene gewendet werden, indem man ihnen einfach nicht glaubt – oder sie der Lüge bezichtigt. Es muss Raum geben dafür, dass Vorwürfe eben sehr wohl eine Basis haben könnten. Daraus muss eine allgemeine Auseinandersetzung des Fußballs mit der Problematik folgen, dass sexualisierte Übergriffe in seinem Kosmos passieren, sei es durch Spieler, Trainer oder durch Fans im Stadion.

Die oft geäußerte Behauptung, mit solchen Vorwürfen würden Karrieren zerstört, verfängt indes nicht. Bestes Beispiel ist Cristiano Ronaldo, dessen Abermillionen Fans ihn bis heute lautstark verteidigen, wenn das Thema aufkommt. Wie eine digitale Armee, gegen die kein Ankommen ist, auch nicht mit recherchierten Fakten, wie denen des Magazins Spiegel. Der Brasilianer Dani Alves, der bei vielen europäischen Topklubs gespielt hat, wurde in Spanien in erster Instanz schuldig gesprochen. Während der Revision ist er dank hoher Kaution auf freiem Fuß. Auch seine Fans verteidigen ihn bis aufs Blut, dabei greift in seinem Fall die Unschuldsvermutung nicht mehr. Seine Anwältin bringt vor Gericht ins Spiel, er habe an dem Abend, um den es geht, unter starkem Alkoholeinfluss gestanden.

Auch so ein Paradox, das bei diesen Vorwürfen immer wieder auftaucht: Trinkt eine Frau, ist sie selbst schuld, wenn ihr etwas passiert, was sie eigentlich nicht wollte. Trinkt ein Mann, kann er für seine Handlungen nicht belangt werden. Und der Profifußball macht sich durch sein Schweigen zum ewigen Komplizen, statt endlich Verantwortung zu übernehmen.

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