Fischen im rechten Sumpf
Von Hansgeorg HermannFrankreichs Präsident Emmanuel Macron hat 51 Tage gebraucht, um nach der Parlamentswahl im Juli einen Ministerpräsidenten zu nominieren. Sein Auserwählter möchte es offenbar möglichst kurz machen: Michel Barnier, seit dem 6. September neuer Hausherr im Pariser Regierungssitz Hôtel Matignon, will bereits in der kommenden Woche ein politisch »ausgewogenes« Kabinett präsentieren. Das dürfte ihm schwerfallen. Weil Barnier seinen Posten nicht nur Macron, sondern vor allem dem Entgegenkommen einer Marine Le Pen verdankt, wird er wohl oder übel auch in trüben Gewässern des rechten politischen Sektors fischen müssen. In der zweiten parlamentarischen Kammer beispielsweise, dem von konservativen Ultras dominierten Senat. Sein Problem: Le Pen, Anführerin des extrem rechten Rassemblement National (RN) in der ersten Kammer, der Nationalversammlung, will zwar keinen Misstrauensantrag einbringen, aber jeden seiner Schritte »beaufsichtigen«, wie sie Barnier zum Amtsantritt versprochen hat.
Aus dem Senat, einem Hort meist betagter, männlicher Politiker, hat sich Barnier mit Bruno Retailleau bereits einen herausgepickt, der auch Le Pen und ihren Leuten gefallen dürfte: Der Chef der Les Républicains (LR) in der Kammer sei für einen der wichtigen Ministerposten vorgesehen – das Innenressort oder die Justiz, meldete in dieser Woche der Pressedienst Public Senat. Berüchtigt für seine Forderungen nach strikter Blockade gegen Immigration aus afrikanischen Ländern oder denen des Nahen und Mittleren Ostens passt Retailleau bestens in das von Le Pen vorgegebene Schema zur Duldung einer Regierung unter Barnier. Dessen bei der Wahl zur Kleinpartei geschrumpften Republikaner sehen sich, von Macron gedrängt und von Rechtsaußen unterstützt, unversehens als Marionettenregierung des Rassemblement National, der mit 143 Sitzen zweitgrößten Gruppe in der Nationalversammlung.
Wen immer Barnier in den kommenden vier, fünf Tagen in sein Kabinett holen wird, eines scheint bereits klar zu sein: Nicht Macrons eigene Fraktion Renaissance und auch nicht die Partner Modem oder Horizon – kleinste Zentrumsgruppen, die im Juli mit ihm unter dem Namen Ensemble zur Wahl angetreten waren und mit ihm gegen die vereinigte Linke verloren hatten –, werden das Regierungsprogramm bestimmen, sondern Le Pens Aufpasser. Macrons Entscheidung, nicht die linken Wahlsieger des Nouveau Front Populaire (NFP, Neue Volksfront) und dessen Kandidatin Lucie Castets, sondern die Verlierer mit einem bereits 73 Jahre alten, ehemaligen EU-Kommissar regieren zu lassen, könnte sich noch als schwerwiegender Schritt in die falsche Richtung erweisen: Barniers Versprechen, das Land mit einer »ausgewogenen, repräsentativen, pluralistischen« Regierung zu überraschen, schließt die politische Linke und deren Wähler nicht einmal im Ansatz mit ein.
Keine einzige der von Barnier auf dem weiten Terrain der Linken konsultierten Persönlichkeiten hatte sich bis Freitag bereit erklärt, über einen Beitritt in seine Regierung wenigstens nachzudenken. Macrons Affront gegen Castets, gegen den NFP-Partner Jean-Luc Mélenchon und dessen Formation La France Insoumise (LFI), hat dem Premier gegenwärtig alle Türen nach links verschlossen. Im Gegenzug freute sich der Anführer der LR-Gruppe im Parlament, Laurent Wauquiez, am Donnerstag über die »neue rechte Mehrheit«, die es ohne Le Pens Rassemblement allerdings nicht gibt. Was Wauquiez von seinem Regierungschef verlangt, fordern wortgleich auch Le Pen und ihr Kronprinz Jordan Bardella: »Mehr Sicherheit, weniger Immigration« – am besten gar keine, wenn es nach dem mutmaßlich designierten Innenminister Retailleau ginge.
Wenigesr gefallen dürfte seinem Gönner Macron wohl Barniers Ankündigung, aus dem Hôtel Matignon eine vom Präsidenten möglichst unabhängige politische Festung zu machen. Das gilt vor allem für das Modellprojekt in Macrons neoliberalem Programm – die im März 2023 von seiner damaligen Regierungschefin Élisabeth Borne per Dekret am Parlament vorbei durchgesetzte Rentenreform. Le Pen und ihre Truppe wollen sie, darin einig mit der Linken, annullieren lassen.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Schaden der US-Blockade für Kuba immens
vom 14.09.2024 -
Provokation gegen Beijing
vom 14.09.2024 -
Konkrete Folgen für Kuba
vom 14.09.2024 -
Christ und Palästinenser
vom 14.09.2024 -
Wirtschaft wichtiger als Atomwaffen
vom 14.09.2024