»Wir haben auf das richtige Pferd gesetzt«
Von Gerd Schumann»von jedem tag will ich was haben / was ich nicht vergesse /
ein lachen, ein sieg, eine träne / ein schlag in die fresse«
(Gerhard Gundermann: »Männer und Frauen«)
*
Er platzte mit seinen »Männer, Frauen und Maschinen« 1988 mitten in die gesellschaftliche Agonie. Doch begonnen hatte alles schon früher, die Sache mit Gerhard Gundermann, genannt »Gundi«, und seiner einzigen Platte in der DDR, eher im kleinen, eher unspektakulär, aber dynamisch.
Aus dem Singeklub Hoyerswerda wird Mitte der 1970er Jahre die Brigade Feuerstein: »Feuerstein« ist der sorbische Begriff für Braunkohle, er ist Programm, »so etwas wie ein Liedtheater, aber wir (waren) noch auf der Suche«, sagte Gruppenmitglied Ingo »Hugo« Dietrich später über die rasante Entstehungsphase.
Verschiedene Genres werden ausprobiert, Inspirationen kommen aus allen möglichen Experimenten, Weiterentwicklungen aus der Songszene: Karls Enkel mit Wenzel und Steffen Mensching, Bernd Rumps Gruppe Schicht, Kinderstücke mit Pantomime, Slapstick, Wortspielen, Theater, Show und Tanz, Einsatz multimedialer Mittel nach Vorbild der Kölner Politrockgruppe Floh de Cologne, Tourneen durch das Land in einem alten Bus aus dem FDJ-Fuhrpark, es geht ab mit der Brigade.
Gundermann war, nachdem er seinen Offiziersanwärterkurs beim Militär 1975 geschmissen hatte, zurückgekehrt auf den »Fabrikplaneten« in der Lausitz. Nicht weniger als »die Revolution« hatte er mit der NVA verteidigen wollen, musste jedoch desillusioniert feststellen, dass »das nicht gerade die Armee von Che Guevara« war.
Statt Havanna also wieder Hoyerswerda, eine Stadt, die ihren sagenhaften Aufstieg zur regionalen 80.000-Einwohner-Metropole der Aufgabe zu verdanken hat, »die Republik«, also die DDR, mit Energie zu versorgen, tief im Osten und von Arbeit ganz grau. Ähnlich wie Bochum tief im Westen, wo die Sonne verstaubt und es besser ist, als man glaubt. So sah Gundermann auch »Hoy Woy«, und bei ihm klingt das wie in Grönemeyers Heimatlied proletarisch und emphatisch – und doch noch persönlicher mit seinen Alltagsbeobachtungen im Reggae-Rhythmus sowie Mitsingrefrain: »hoy woy / dir sind wir treu / du blasse blume auf sand / heiß, laut / staubig und verbaut / du schönste stadt hier im land.«
»Hoy Woy« erzählt, wie das gesamte Album, Geschichte in Geschichten. Als Gesamtwerk, eingespielt von Gundermann und den Feuersteinen, ist sie Vergangenheit und Gegenwart zugleich; und für diejenigen, die sich erinnern möchten, dass Kunst nicht nur das Sein widerspiegelt, sondern immer Bestandteil von Gesellschaftsentwicklung ist, auch Zukunft.
Zentraler Song der Platte könnte »Mann aus Eisen« sein. Er beschreibt präzise die Identifikation mit der harten Arbeit im Tagebau, und das nicht nur als bloße Selbstbegegnung. Da weiß jemand, dass er Werte schafft. Tagsüber in der Kohle, abends mit der Musik.
»hundert meter unterm gras / wartet die maschine, dass ich ihre hebel fass’ / und nach einer stunde schon / ist die hand ein schaufelrad, der mund ein telefon. / mein rücken ist ein förderband / und im schein von 1.000 watt / sind mir die augenbrau’n verbrannt (…) / abends dann tau’ ich langsam auf / unter’n händen einer frau / geh’n in mir die fenster auf / himmel wird grün, rot und blau« (aus: »Mann aus Eisen«).
Arbeit, Alltag, Beziehungen, Streit und Fragen durchweg die tragenden Motive, Gundermanns frisch gepflasterter, poetisch und musikalisch beschrittener »Bitterfelder Weg« im Bereich der Unterhaltungskultur – alles entsteht im magischen Dreieck zwischen »Männer, Frauen und Maschinen«: »lebensmittel, geschosse / ehekrisen, persönliche krisen, weltwirtschaftskrisen / kinder / glück«, und er mischt mit.
»Lancelots Zwischenbilanz I« eröffnet das Album. Der zweite Teil wird es beenden, irritierend skeptisch: »langsam überrolle ich den roten strich / niemand fragt und niemand schickt mich / niemand hat mir weg und ziel genannt / nur die drachen hör’ ich lachen im niemandsland.« Im Dazwischen hatte der Drachentöter Schlimmes befürchtet. Er fühlte sich zerschlagen und wusste nicht, wovon.
»mein halbes leben steh’ ich an der weltzeituhr / und ich warte und ich warte / und die rote nelke trag’ ich immer noch am helm / obwohl sie mir längst verdorrte«. Und er starrt in den Nebel, wartet auf den Mann, »der mir sagt, wir brauchen dich, jetzt bist du dran«. Und er ahnt vielleicht schon, dass niemand kommt. Noch spürt er nur eine gewisse »unzufriedenheit«, die er vorher nicht gekannt hat und die ihn mehr und mehr umtreibt. »oft, wenn wir nicht einverstanden sind / fehlen uns die argumente / wir wissen, dass es so nicht weitergeht / wissen aber nicht, wie’s gehen könnte« (aus: »Zu wenig«).
»Die DDR taumelte ihrem Ende entgegen, und nur die wenigsten Aufrechten waren sich noch sicher mit diesem Sozialismus. Gundermann gehörte dazu, zweifelsmit«, blickt Roland Knauer in M & R 1/2015 zurück. Er erinnert sich, wie ihm ein Freund die Platte mitbrachte und sich die Nadel des Plattenspielers in die erste Rille der A-Seite grub: »Im Spätherbst 1988 erschallte ›Lancelots Zwischenbilanz I‹, und die Nadel wurde verblüfft wieder gehoben; irgend etwas war anders!«
Inzwischen ist alles anders, aber nicht so, wie gedacht, wie erhofft, wie gewollt. Geschuldet nicht dem Anspruch, sondern der Wirklichkeit. Ein Jahr später sind alle Messen für die DDR gesungen, und als im Oktober 1990 um Mitternacht ein allerletztes Mal »Auferstanden aus Ruinen« im Autoradio gespielt wird, fahren Conny und Gerhard Gundermann irgendwo zwischen Hoyerswerda und Schwarze Pumpe auf dem Weg in ihr kleines Reihenhaus in Spreetal an den Straßenrand, fassen sich an den Händen und flennen. »Wir lassen auch das andre Lied über uns ergehen, dann schalte ich das Radio aus, lege den Gang ein und fahre weiter.«
Nach der DDR dann wurden die letzten Lagerbestände der Platte, zeitgenössisch durchaus im makabren Trend, im postgorbatschowschen Moskau des Jelzin-Wahns tausendfach geschreddert, und das noch nicht mal aus politischen Gründen, wie es auf dem nun neuen Gebiet der Bundesrepublik mit ungezählten Büchern und Kunstwerken geschah, sondern einfach wegen eines lapidaren Kompensationsgeschäfts. Vinylgranulat eignet sich zum Beschweren von Puppen und Teddybären – diejenigen im Osten von Deutschland-einig-Vaterland, die noch ein Exemplar in einstiger Scheibenform besitzen, können sich heute glücklich schätzen.
Das war allerdings nicht das Ende der Geschichte, die während der Chansontage 1987, dem bedeutendsten Projekt der DDR-Liedermacherszene, ihren Ausgang genommen hatte. Singende, Musikmachende, Dichtende, Schauspieler, Chansonniers und Bands trafen sich alle zwei Jahre in Frankfurt (Oder), man diskutierte in Werkstätten, es gab begehrte Auszeichnungen, Hauptpreis war die Produktion einer Schallplatte.
Gina Pietsch, Jurymitglied 1987 und bereits zu Lebzeiten von Gisela May und Milva ebenfalls eine der großen Brecht-Interpretinnen, erinnert sich, es sei damals »die Zeit der Sensibelchen« gewesen, »der Suche nach sich, immer innen drin«, und Gundermann, der wie häufig auch in jenem Jahr aus der Reihe tanzte, wurde unter den Juroren zum »Kampfobjekt«, zu einer Art Gegenpol mit seinen starken Texten über das »scheißspiel, wir machen nicht mehr mit dabei«, bei seinem die Umweltkatastrophe anklagenden »Halte durch« und wie der Planet »zur sau« gemacht wird.
»halte durch, wenn’s irgendwie geht / bist doch ’ne kluge frau / bist doch ’n erfahrner planet / wir machen dich zur sau. / wir ham den amazonaswald zersägt / zur strafe hast du afrika das wasser abgedreht / ach mama, das ist doch die falsche adresse / das abendland braucht auf die fresse« (aus: »Halte durch«).
Das Ganze vertont auf Rock, manchmal auch auf Vorlagen von Bruce Springsteen oder Neil Young – aus »Badlands« wird »Steinland« zum Beispiel, aus »Rockin’ in a free world« »Alle oder keiner«. »Wir waren anfangs nur ein paar, die ihn, die ihn zum Goldmedaillenträger machen wollten«, meint Gina Pietsch. »Wir haben geredet wie die Bücher. Und es hat geklappt.« Ein interessanter Vorgang, der immerhin darauf hindeutet, dass weder bürokratische Hindernisse noch opportunistischer Kriechgang unbedingt systemimmanent waren.
Und die Schriftstellerin Gisela Steineckert, immerhin die Präsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst, steht mitten im letzten Stück der Gundermannschen Präsentation in Frankfurt auf und sagt: »›Gundermann, und wenn ich zu Fuß nach Hoyerswerda kommen muss, um euch zu helfen – helfen werd’ ich.‹ Und das hat sie denn auch getan.« So erzählte es der Künstler selbst im Gespräch mit Hans-Dieter Schütt, dessen Buch »Gerhard Gundermann: Rockpoet und Baggerfahrer« als biographisches Standardwerk gelesen werden kann. Das Album »Männer, Frauen und Maschinen« jedenfalls löste einen Kulturschock aus, erschienen im Spätherbst 1988 vor nun annähernd 36 Jahren.
»Sozialismus ist das Gegenteil von Egoismus, und das wollten wir hier auch machen …«, sagt »Gundi«, ein idealistischer Rundumherausforderer mit Durchblick, der nie mehr von anderen verlangt als von sich selbst, »… und wir hatten ’ne Menge vor.« Der Verlust dessen, was »wir«, die auch als »übersprungene Generation« bezeichnet werden, vorhatten. »Wir sind nie an die Hebel gekommen, die man die Macht nennt«, sagt Gundermann, der nicht aufgibt, obwohl er aus der Partei geflogen ist, obwohl er aus eigener Erfahrung weiß, dass der Hase bei der Staatssicherheit seltsame Haken schlägt und seine informelle Mitarbeit aufgibt und doch zuviel »gepetzt« hat – »sieben Jahre habe ich kooperiert, sieben Jahre wurde ich operiert« –, und in dem Moment, »wo wir uns rangearbeitet haben und wollten das realisieren, was wir eigentlich machen wollten, also zum Beispiel sagen wir mal ›Sozialismus‹, in dem Moment waren die Hebel fort, an denen man das hätte realisieren können«.
Die Niederlage, die viele Teilnehmer der »friedlichen Revolution« bis heute nicht als solche ansehen, lässt sich durchaus pragmatisch betrachten. Gundermann: »Wir haben auf das richtige Pferd gesetzt. Es hat verloren.« Was stimmt. Doch ergänzt der Liedermacher und Maschinist für Tagebaugroßgeräte mit Abitur, der sich zum Baggerfahrer qualifiziert hat: »Der Großversuch ist gescheitert, aber niemand hindert uns, im Kleinversuch weiterzumachen.«
Was er tat wie vielleicht kein zweiter Künstler seines Formats. Sein viel zu früher Tod, der nun auch schon wieder 26 Jahre zurückliegt, hinterließ in vielerlei Beziehung eine nicht zu schließende Lücke, und Tina Powileit, die Schlagzeugerin in Gundermanns letzter, kongenialer Kapelle Die Seilschaft, mit der er drei von vier im Nachwendeosten erfolgreiche Platten einspielte, sagte mir im Interview vor einem Auftritt mit der Seilschaft nach deren Neuformierung 2013: »Ich dachte, mit wem sollste denn jetzt noch Musik machen? Ohne arrogant zu sein: Was kommt da noch? Wir waren einfach verwöhnt, einen solchen Frontmann zu haben, der solche Texte, solche Lieder schreibt. Wir dachten: Das war es jetzt.«
Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, Gundermann, Jahrgang 1955, liegt auf dem Waldfriedhof in Hoyerswerda, und die DDR existiert schon länger nur noch in vielen Köpfen, aber was heißt hier »nur«? Gundermanns Werk, besonders auch von danach, ist tatsächlich so etwas »wie eine Tankstelle für die Verlierer« geworden, wie er selbst es immer erhofft hatte, von dem viele Leute sagen, »sie brauchen zum Leben Brot, Wasser und Lieder von Gundermann. Lieder als Lebensmittel, das wäre schon mehr, als man verlangen kann.«
Noch immer – und immer öfter – fragen sich Leute, was er wohl heute dichten würde, da die Lage so geworden ist wie befürchtet, jedoch seine Songs zumindest im Osten zum ständigen unverzichtbaren Kulturgut auf allen nur denkbaren Veranstaltungen, in Theaterstücken, in Konzerten sowieso bis hin zu Stadtfesten und Jahrmärkten geworden sind. Und manchmal geschehen »verrückte Sache«, wie beim Fasching in einem sächsischen Städtchen. Conny Gundermann erlebte, wie ein »ganzer Männertrupp« in Eisenbahneruniformen – sitzend auf Bierbänken, auf der Bühne wird »Und musst du weinen« gespielt – bei der Stelle »dann liebe einen mann / doch liebe keinen von der eisenbahn« aufspringt und einstimmt: »Meine Bank schnellt hoch wie eine Wippe, und ich knalle runter auf den Boden.« Und die Eisenbahner singen einfach weiter. So beschreibt sie es in dem Buch zum Film »Gundermann«, erschienen im Christoph-Links-Verlag.
Aufgeführt werden die Lieder von Singer-Songwritern, von bekannten und weniger bekannten Gruppen – von der alten Seilschaft bis zur Band von Alexander Scheer und Andreas Dresen. Äußerst bemerkenswert, dass Tochter Linda in die Spur gegangen ist – mit Band und auch mit Liedern ihres Vaters. Und dass sich der angelsächsisch-keltische Raum öffnet: Der Schotte Dave Robb hat zehn Titel kongenial ins Englische übertragen und präsentiert sie auf dem Album »Filling Station for Losers. Songs of Gundermann«.
Was indes aus der Randgruppencombo nach dem kürzlichen Tod von Heiner Kondschak wird, ist noch nicht absehbar, doch hat sie starken Anteil an der Pflege des Gundermann-Erbes. Es hat offensichtlich Bestand und bleibt zeitlos. Aber das erlebten ja schließlich schon andere herausragende Künstler der Popkultur. Oder wie Gundermann sagt: »Songs sind wie Kinder, die man in die Welt setzt und die sich dann allein bewegen.«
Die Sinnkrise, in die Gundermann inmitten der »Wende«-Wirren stürzte, führte ihn nach Kuba – hinein in eine ruhige, wenn auch hochgefährdete Erfahrungswelt. Später, als er mit den Wilderern, einer Rockband, deren Lautstärkepegel schwer abzumischen ist, neue musikalische Wege betrat und auf Tour ging, brachte er viele Ideen von der Insel mit ein und schuf, wie Roland Knauer sagt, mit ihnen den »Soundtrack zur Wende« (erschienen postum 2004 als »Werkstücke II«), war maßgeblich beteiligt an Sillys Alben »Februar« und »Paradies« (1993), derweil Sillys Uwe Hassbecker und Ritchie Barton als Produzenten auf »Einsame Spitze« 1992 musikalisch weiterhalfen, im selben Jahr kam dann »Der 7te Samurai« heraus.
Gundi überstand alle Turbulenzen, die ihn persönlich betrafen, machte ungebrochen weiter, immer im Zweifel, Melancholie als Grundstimmung eines Werks, das die Zeiten des Hardcore-DDR-Bashings nicht einfach nur überstand. Er wurde zum Hoffnungsträger im Osten.
Der Filmregisseur Richard Engel fügte seiner Dokumentation »Gundi Gundermann« von 1982 im Jahr 1999 »Ende der Eisenzeit« hinzu. Engel, so dessen Gefährtin, die Schauspielerin Petra Kelling, hatte Gundermann singen gehört und gesagt: »Der ist echt. Der hat so ein melancholisches Pathos.« Beide Produktionen, so Kelling (Nordkurier, 24.8.2024), waren verbunden mit viel Ärger: »nicht nur zu DDR-Zeiten«. Aber letztlich wurden sie aufgeführt, und später kam dann noch die authentische wie poetische Arbeit der in Hoyerswerda aufgewachsenen Grit Lemke hinzu, »Gundermann Revier«, die ebenfalls in Kino und Fernsehen lief und 2020 für den Grimme-Preis nominiert war.
Über Hoyerswerda und die rassistischen Krawalle 1991 schrieb Lemke das von eigenem Erleben geprägte Buch »Kinder von Hoy«, 2024 ausgezeichnet mit dem Hans-Fallada-Preis. Der Osten, DDR-Geschichte, Oral History, Selbsterfahrenes attackieren derzeit die offiziellen Darstellungen und geben Hinweise auf die wahre Geschichte.
Etwas breiter bekannt auch im Westen indes wurde Gundermann durch den nach ihm benannten Spielfilm von 2018. Manchmal frage ich mich, ob die Macher nicht ursprünglich etwas anderes als das letztlich vorgelegte, preisgekrönte Epos über Verrat, Liebe und Arbeit im Sinn hatten – zuvorderst der erfahrene Regisseur Andreas Dresen und die einfühlsame Autorin Laila Stieler, beide sozialisiert in der DDR.
Natürlich kann eine mehrmalige, immer wieder begutachtete und erneut kritisierte Überarbeitung ein Script verbessern. Es kann aber auch Wünschen und Anregungen ausgesetzt sein, die Vorstellungen vom Endprodukt verwässern oder Problematiken überspitzen und sogar der aktuellen Geschichtsbetrachtung anpassen. »Wenn du das Thema (Stasi, G. S.) antappst, färbt es auf alles andere ab«, sagt Stieler zu ihrer Erfahrung bei der Arbeit am Manuskript. »Es hat sich für mich beim Schreiben als erschwerend herausgestellt, dass es diesen Farbeffekt gibt.« Und immer wieder habe die Frage gestanden, wie man einen »Reuebogen« hinbekommt: »Wie wird am Ende glaubwürdig Asche aufs Haupt gestreut?«
Dresen, der über zwölf Jahre lang einen Kampf um Fördermittel führte und es mit den obskursten Ablehnungsbegründungen zu tun bekam, bevor es zum guten Ende doch noch Gelder gab und sich eine zugängliche Produktionsfirma fand, erzählt, dass es »unterschiedliche Auffassungen, wie man mit seiner Stasi-Geschichte umgehen sollte«, gegeben habe. Er habe das Gefühl gehabt, »dass erwartet wird, die Figur solle sich reuevoller zeigen«.
Derweil lebt das Werk Gundermanns, wie es ist, und seine immer noch wachsende Popularität ergibt sich wahrscheinlich nicht nur aus der künstlerischen Qualität, sondern auch aus seiner erstaunlichen Aktualität. Es wird einfach nicht alt. Weswegen es auch irgendwie logisch ist, dass »Männer, Frauen und Maschinen« neu aufgelegt wird – auf Vinyl, versteht sich. Vinyl wird auch nicht alt.
Nachdem der Verlag Buschfunk, bei dem nach der DDR die Gundermann-Projekte herausgekommen sind, bereits vor zwei Jahren einen kleinen Coup gelandet hat, als er die beiden bisher lediglich auf CD erschienenen Alben »Frühstück für immer« und »Engel über dem Revier« als Doppel-LP und in hoher Qualität herausbrachte, folgt nun »Männer, Frauen und Maschinen«.
Statt des geometrischen Bildergemäldes auf dem ursprünglichen Cover ziert die Konstruktionszeichnung des gigantischen Schaufelradbaggers 630/800 die Klapptasche. Die hochwertige 1988er Produktion von Lexa A. Thomas und Karl Heinz Ocasek wurde neu gemastert von Manne Pokrandt. Gepresst auf 180-Gramm-Biovinyl, ist die Scheibe in limitierter Auflage von 1.500 Exemplaren eine Zeitreise zurück und zugleich in die Zukunft. Sie handelt von Dranbleiben, Ausdauer, aber auch Ungeduld angesichts verkorkster Verhältnisse und wirkt weiter wie eine ständige Herausforderung, sich einzumischen. Lieder als Lebens-Mittel eben.
Gerhard Gundermann: »Männer, Frauen und Maschinen« (Amiga 1988) (antiquarisch)
Ders.: »Männer, Frauen und Maschinen« (Buschfunk 2024)
Sämtliche Texte: Gerhard Gundermann. Mitwirkende Musiker: Lothar Augat, Ingo Dietrich, Alfons Förster, Elke Förster, Peter Gläser, Conny Gundermann, Gerhard Gundermann, Frank Hölsch, Monika Hotze, Sabine Hotze, Sebastian Hotze, Theo Hotze, Hans Kölling, Stefan Körbel, Theo Hotze, Maik Pillokat, Frank Porzberg, Tina Tandler, Lexa A. Thomas und Reiner Westphal
*
Gerd Schumann lebt und arbeitet als Autor in Berlin und Mecklenburg. Jüngste Publikationen: Patrice Lumumba. Köln 2024; Basiswissen Kolonialismus (2. Aufl.). Köln 2024; Kaiserstraße. Der deutsche Kolonialismus und seine Geschichte. Köln 2021. An dieser Stelle schrieb er zuletzt (20./21. Juli 2024) »Geschichte von unten« über zwei Ausstellungen in Bitterfeld, den dortigen Kulturpalast und den »Bitterfelder Weg«.
*
»75 Jahre DDR. Was bleibt?« Festveranstaltung zum Jahrestag. U. a. mit Beiträgen von Egon Krenz und Martin Küpper und einem Konzert von Linda und die lange Leitung, der Band von Linda Gundermann.
Sonnabend, 5. Oktober 2024, 19 Uhr; Kino Babylon, Berlin, Eintritt: 15 Euro, ermäßigt 10 Euro
Tickets im junge Welt-Laden, Torstr. 6, 10119 Berlin, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag; 13 bis 18 Uhr, unter www.jungewelt-shop.de oder unter 0 30/53 63 55-37
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