Argument der Macht
Von Reinhard Lauterbach»Audiatur et altera pars« – auch die andere Seite soll gehört werden. Ein uraltes Prinzip des römischen Rechts, das jeder Jurastudent im ersten Semester zu hören bekommt. Kodifiziert ist es in Deutschland in Artikel 103 des Grundgesetzes und in den Landespressegesetzen, die Personen oder Unternehmen, die sich falsch dargestellt sehen, ein Recht auf Gegendarstellung einräumen. Auf diesen Grundsatz hatten sich auch Russia Today bzw. RT Deutsch zu Beginn ihres Sendebetriebs berufen. Sozusagen als institutionalisierte Gegendarstellung.
Man kann einwenden, dass Russland mit dem Instrument der Sperrung von Medien aus dem Ausland auch nicht zimperlich umgeht. Die Liste der als »extremistisch« gesperrten Seiten ist lang; China hat seine »große Firewall«, andere Länder sicher auch. Der sogenannte freie Westen leistete sich eine Zeitlang, solche Zugangsbeschränkungen als Ausweis des »Autoritarismus« zu sehen und entsprechend zu brandmarken. Jetzt geht er denselben Weg. US-Außenminister Antony Blinken hat mediale Äußerungen von russischen Medien, die sich an ein Publikum in den USA richten, auf eine Stufe mit verdeckten Geheimdienstaktivitäten gestellt. Und Meta folgt auf dem Fuße: Prompt nimmt es die Kanäle russischer Staatssender vom Netz. Das »World Wide Web« wird zum »West Wide Web«. Das Denken in Blasen, das Feuilletonisten seit Jahren als Folge der Nutzung sozialer Netzwerke beklagen, wird zum Gütesiegel gemacht: Lies, hör und sieh, was wir dir liefern, schau nicht über den Zaun, da lauert das Böse.
Niemand behauptet, dass RT keine politische Agenda verfolgt. Das tut es genauso wie westliche Edelmedien wie BBC, CNN oder ARD. Nur eben eine andere, und das reicht schon. Dass ausgerechnet die angebliche »Einflussnahme« auf den »mündigen Bürger« als vermeintliches Subjekt der Demokratie jetzt skandalisiert wird, als wäre das Bemühen um Einfluss schon dasselbe wie dessen Gewinnung – das ist schon beinahe unterhaltsam. Schließlich negiert es diesen Bürger gerade in seiner Mündigkeit und seiner Fähigkeit, sich des eigenen Verstandes zu bedienen (Immanuel Kant). Wo der Staat der freien Entscheidung seiner Bürger in der Weise misstraut, dass er ihren Zugang zu Informationen reglementiert, zeigt er, dass er der Macht der Argumente das Argument der Macht vorzieht – abschalten statt widerlegen.
Die Wahrheit daran ist: In Zeiten der »Kriegstüchtigkeit« ist abwägendes Denken nicht mehr gewünscht. Die andere Seite soll nicht mehr gehört werden, es geht um reflexhafte Bejahung oder Ablehnung. Durch dick und dünn. Bzw. doof.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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Leserbrief von N. Schreiber aus München (18. September 2024 um 17:40 Uhr)Unser System der angeblichen Freiheit ist und war immer eines der tatsächlichen Unfreiheit. Materiell, aber vor allem auch psychologisch: Solange die überwältigende Mehrheit der Menschen davon ausgeht, manipulierbar wären höchstens die anderen, nie jedoch sie selbst, haben unsere Machthaber leichtes Spiel mit ihrer Methodik der Massenhirnwäsche. Von daher haben sie ja Recht: Der angeblich »mündige Bürger« ist im allgemeinen dadurch, dass er:sie weniger über die Funktionsweise seines eigenen Hirns weiß, als seine Herrscher, in den allermeisten Fällen ja tatsächlich völlig unmündig, während sich das Gegenteil eingebildet wird. Nur ist Hirnwäsche trotzdem relativ teuer: Sie muss mit hohem und vor allem regelmäßigen Aufwand ständig erneuert und aufrechterhalten werden. Jeder miese Sektenguru weiß entsprechend, wie störend und zusätzlichen Aufwand verursachend dabei äußere Einflüsse (Familie, Freunde etc.) sein können. Weshalb jede funktionierende Sekte – solange sie noch starke Widersacher hat – einen starken Fokus darauf legt, die Leute in ihren Fängen möglichst weitgehend von ihrem Umfeld abzuschotten. Es geht daher per quasi automatisierter Blasenbildung, die Meta schon immer betreibt, oder sonstiger Massenmedienpropaganda unter Zuhilfenahme der bisher eher versteckten, nun seit neuerem auch ganz offen praktizierten, grundgesetzwidrigen Zensur also um stinknormale, kapitalismusinduzierte Effizienzsteigerung der Massenmanipulation … »business as usual«.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (18. September 2024 um 07:05 Uhr)»Man kann einwenden, dass Russland mit dem Instrument der Sperrung von Medien aus dem Ausland auch nicht zimperlich umgeht.« Da wollen wir jetzt aber doch nicht etwa Äpfel mit Birnen vergleichen? Erst Jahre, nachdem man in Deutschland RT gesperrt hatte, sperrte Russland einige der führenden Medien wie »Die Zeit«, »FAZ« oder »Deutsche Welle«. Dies geschah jedoch erst vor wenigen Monaten als Antwort auf die Diskriminierung russischer Medien in der EU. Zahlreiche andere deutsche Presseerzeugnisse, die stark antirussisch berichten, kann ich hier in Russland weiterhin mit einem Klick sofort abrufen sowie im Internet sämtliche deutsche Fernsehstationen empfangen. Einzelne Sendungen werden allerdings z. B. seitens der ARD für den Empfang in Russland oder allgemein im Ausland gesperrt. Das Ausmaß der Behinderung Russlands im Medienbereich seitens des Westens ist ungleich höher als umgekehrt. Der Westen hat sich in den Augen der Russen sowieso endgültig demaskiert.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (17. September 2024 um 20:47 Uhr)Was heute Fakenews oder Desinformation heißt, hieß früher Feindpropaganda. Feindsender hören konnte tödlich enden. Kriegsminister hießen früher auch so. So viel Wahrheit darf man dem mündigen Bürger nicht mehr zumuten. Wann wird das erste Strafbataillon, die erste Strafdivision aufgestellt? Eigener Verstand? KI ersetzt die Lücke, die er hinterließ.
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