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Aus: Ausgabe vom 20.09.2024, Seite 15 / Feminismus
Kolumbien

Den Widrigkeiten zum Trotz

Kolumbien: Kongress debattiert umfassenden Gesetzentwurf zum Schutz geschlechtlicher Minderheiten
Von Sara Meyer, Bogotá
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Die Umsetzung des Gesetzentwurfs wird auch auf den Straßen Bogotás eingefordert (22.7.2024)

In einem Land, in dem die Rechte transgeschlechtlicher Personen oft mit Füßen getreten werden, gibt es einen Lichtblick: »La Ley Integral Trans« (Das umfassende Transrecht). Nico Rueda, ein transmaskuliner Aktivist aus Barranquilla und Gründer der Organisation »Transgarte«, gehört zu den führenden Stimmen dieser Bewegung. Rueda setzt sich für die Rechte von trans und nichtbinären Menschen ein und hat zur Schaffung dieses Gesetzentwurfs beigetragen, der seit Anfang August im kolumbianischen Kongress diskutiert wird.

Die Lebensrealität von trans Personen in Kolumbien ist geprägt von Diskriminierung, Gewalt und sozialer Ausgrenzung. »Allein im Jahr 2023 wurden 25 trans Männer und 24 trans Frauen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität getötet«, berichtet Rueda. Und ihre Lebenserwartung liegt in Kolumbien ohnehin nur bei 35 Jahren, während die allgemeine Bevölkerung im Durchschnitt das siebzigste Lebensjahr erreicht. »Die ungleiche Lebenserwartung hängt vor allem mit dem mangelnden Zugang zum Gesundheitssystem zusammen«, erklärt Rueda. Die Missstände im Land machten ein umfassendes Gesetz, das die Rechte von trans Personen schützt und fördert, um so dringlicher.

Die »La Ley Integral Trans« könnte einen entscheidenden Schritt in Richtung Gleichberechtigung bedeuten. Das geplante Gesetz ist nicht nur ein rechtliches Instrument, sondern auch ein Symbol für den langen und schmerzhaften Kampf geschlechtlicher Minderheiten in Kolumbien. »Das Wunderbare an diesem Gesetz ist, dass es einen Katalog von Schutzmaßnahmen für bisher vernachlässigte Personen bietet«, sagt Rueda mit strahlendem Gesicht. Die Initiative, die auf einer Umfrage basiert, an der 1.355 trans und nichtbinäre Menschen aus fast allen Regionen des Landes teilgenommen haben, geht weit über das hinaus, was bisher erreicht werden konnte.

»Das Gesetz soll alle rechtlichen Lücken schließen, die derzeit nicht geregelt sind«, erklärt Rueda. Es geht dabei nicht nur um grundlegende Rechte wie die Anerkennung der Geschlechtsidentität, sondern auch um den Zugang zu Bildung, die Schaffung gleicher Arbeitsmöglichkeiten und eine bedürfnisorientierte Gesundheitsversorgung. Besonders wichtig sei, dass das Gesetz die Rechte von trans Personen in allen Lebenslagen schütze – von Jugendlichen über ältere Menschen bis hin zu Sexarbeitenden.

Die Entstehung der Initiative ist das Ergebnis eines über 30 Jahre dauernden Prozesses, der durch den Zusammenschluss von mehr als 100 Organisationen und Aktivisten der Bewegung sowie anderen Akteuren ermöglicht wurde. »Ohne den Willen und die Unterstützung der ersten linken Regierung des Landes, die 2022 ein Ministerium für Gleichberechtigung geschaffen hat, wäre der Traum von einem umfassenden Gesetz für trans Personen wahrscheinlich nicht möglich gewesen«, betont Rueda. In einer anderen Zeit, mit einem anderen Präsidenten, wäre es nicht so weit gekommen. Der Aktivist sieht in dem Gesetz auch eine Form der Wiedergutmachung für die jahrelangen Greueltaten des Staates und die Stigmatisierung – und das nicht nur während des bewaffneten Konfliktes, obwohl auch dieser Eingang in den Gesetzestext fand. Es sei »ein grundlegender Schritt in Richtung Anerkennung und Respekt für die verschiedenen Lebenserfahrungen, die unsere Gesellschaft ausmachen«.

Trotz der positiven Entwicklungen bleibt die Situation schwierig. »Die Mordraten verdoppeln sich, obwohl der Bürgerkrieg in Kolumbien nachgelassen hat«, erklärt Rueda. Zusätzlich stiegen die Suizidraten aufgrund der Ausgrenzung und Diskriminierung, besonders bei trans Männern. Je weiter man von der Hauptstadt entfernt lebe, desto schwieriger werde der Alltag im Hinblick auf den Zugang zu Bildung oder zum Gesundheitssystem. »Selbst der Zugang zu öffentlichen Orten stellt oft eine Barriere dar«, fügt er hinzu. Es sei vorgekommen, dass trans Personen nicht durch die Tür der Notaufnahme gehen durften, selbst Mietverträge seien nicht selbstverständlich, bedauert der Aktivist.

Das Verfassungsgericht hat zwar mehrfach die besondere Schutzbedürftigkeit transgeschlechtlicher Menschen bestätigt, doch der Kongress, der in den kommenden Monaten – oder auch Jahren – über die Annahme der Gesetzesinitiative debattieren wird, ist nicht für progressive Entscheidungen bekannt. »Das Abgeordnetenhaus hinkt bei Belangen der Menschenrechte, besonders bei Freiheitsrechten, hinterher. Das Abtreibungsrecht und die Legalisierung von Marihuana wurden dort fallengelassen«, klärt der Aktivist auf. Viele der Abgeordneten seien »öffentlich gegen die Rechte der LGBTIQ+-Gemeinschaft und verbreiten Desinformationen und Vorurteile«.

Trotz aller Widrigkeiten ist Nico Rueda optimistisch. »Wir sind uns im Klaren darüber, dass in diesem Land sehr viele konservative Akteure gegen uns sind und diese Gesetze gegen unsere Rechte verabschieden wollen. Es gibt viele von diesen Menschen, und sie verfügen über ein Netzwerk und politische Macht«, gibt er preis. »Uns ist bewusst, dass es Personen gibt, die gegen unsere Existenz sind, aber wir wissen auch, dass wir einen Unterstützerkreis haben.« Falls das Gesetz verabschiedet wird, könnte es als das fortschrittlichste und umfassendste Schutzgesetz für trans Personen weltweit gelten.

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