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Aus: Ausgabe vom 21.09.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
»Marsch für das Leben«

Fundis aufhalten

»Marsch für das Leben« in Berlin und Köln: Gegendemonstranten bereit zur Blockade der antifeministischen und rechten Aufzüge
Von Ina Sembdner
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Wo Reaktionäre aufmarschieren, sind Feministinnen nicht weit: Letztjähriger Gegenprotest am 16. September in Berlin

Am 28. September wird wieder weltweit für sichere Schwangerschaftsabbrüche demonstriert. Und während sich Aktivistinnen am »Safe Abortion Day« dafür einsetzen, dass ungewollt Schwangere aus dieser Entscheidung nicht mit gesundheitlichen Schäden bzw. sogar mit dem Verlust des eigenen Lebens herausgehen, treiben an diesem Wochenende wieder die sogenannten Lebensschützer ihr Unwesen. Im Verbund mit der extremen Rechten wie der AfD oder fundamentalchristlichen Vereinigungen geben sie vor, denen eine Stimme geben zu wollen, »die keine haben«, wie es etwa beim »Bundesverband Lebensrecht« heißt. Sie verweigern schwangeren Personen jede Selbstbestimmung über ihren Körper und ihre Sexualität, instrumentalisieren Menschen mit Behinderungen für ihre Zwecke und schrecken auch nicht vor psychischer und physischer Gewalt zurück.

In Berlin ist es in diesem Jahr bereits der 20. »Marsch für das Leben«, in Köln findet dieser zum zweiten Mal statt. Weitere Städte kamen in den vergangenen Jahren hinzu: In München wird im kommenden Mai zum fünften Mal »für das Leben« demonstriert. Das hinter den Gegenprotesten in der Hauptstadt stehende »What the fuck?!«-Bündnis erklärte deren weiterreichende Bedeutung im Gespräch mit jW: »Dass dieser Marsch so nicht laufen kann, ist nicht nur ein feministisches, sondern auch ein antifaschistisches Anliegen! Jedes Jahr laufen nicht nur christliche FundamentalistInnen mit, sondern auch Personen aus der extremen Rechten«, so Pressesprecherin Ella Nowak. Die Organisatoren des Marschs wollten nicht nur Abtreibungen verbieten, sondern richteten sich allgemein gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sowie gegen eine demokratische Gesellschaft.

Mit Blick auf die Rednerliste bestätige sich das auch in diesem Jahr. So dürfe mit Pablo Munoz Iturrieta jemand sprechen, »der Wahlkampf für Trump macht, Rassismus und Transfeindlichkeit verbreitet und gerne mit Nazivergleichen arbeitet«, klärt Nowak auf. Die AfD, deren ehemalige Bundessprecherin Beatrix von Storch etwa 2014 den Marsch hinter dem Fronttransparent anführte, und andere rechte Vereinigungen »zeichnen das Idealbild einer weißen, heteronormativen Familie. Alle Abweichungen davon werden pathologisiert und abgewertet«. Das will das Bündnis aus einer »queerfeministischen Perspektive kritisieren und bekämpfen«.

Ähnlich entschlossen sind die Organisierenden des Gegenprotests in Nordrhein-Westfalen vom Bündnis »Pro Choice Köln«, die an den Erfolg des letzten Jahres anknüpfen wollen, wie Sprecherin Emilia Kunze gegenüber jW sagte. 2023 habe es der Marsch »nur wenige Meter weit geschafft, bevor er umkehren musste«. Auch an diesem Sonnabend rechne man mit rund 2.000 Demonstrierenden, die sich den Fundamentalisten in den Weg stellen werden. Im Hinblick auf die rechte Dominanz bei den »Lebensschützern« erinnert Kunze an »die vermehrten Angriffe und Mobilisierungen von Neonazis zu verschiedensten CSDs wie in Bautzen oder Dortmund«. Und natürlich ist auch die Kirche vorne mit dabei – im Falle Kölns vertreten durch das Erzbistum. »Pro Choice« geht davon aus, dass der Bischof von Köln, Kardinal Woelki, erneut teilnehmen wird. Zuletzt habe das Erzbistum gar gemeinsam mit dem »Bundesverbands Lebensrecht« eine Tagung organisiert.

Hintergrund: Wer dahintersteht

Damit der »Marsch für das Leben« auch entsprechend gut besucht wird, scheuen die »Lebensrechtler« keine Kosten und Mühen: Ganze neun Sonderbusse wird es an diesem Sonnabend nach Berlin und Köln geben. »Großzügig unterstützt und gefördert« (Webseite vom Münchner »Marsch fürs Leben«) wird das unter anderem von der »1000-plus-Profemina gGmbH«. Die »gemeinnützige Organisation« gibt an, sich nur durch Spenden zu finanzieren. Wer jenseits fundamentalistischer Christen zu den Spendern gehört, zeigte etwa ein Artikel beim lokalen Nachrichtenportal OVB vom 7. September 2017.

Da freute sich der stellvertretende Vorsitzende von »Pro Femina« (nicht von ungefähr nahezu namensgleich mit dem staatlich anerkannten Beratungsangebot von Pro Familia), Markus Arnold, über den Besuch des Alete-Geschäftsführers in Weiding, Michael Münch. Der überreichte ein symbolisches Paket mit Babynahrung und »dazu versicherte er, dass er eine weitere Unterstützung der Aktion auf den Weg bringen wolle«. Mit »der Aktion« ist das bei der Gründung 2009 ausgegebene Ziel gemeint, »jährlich 1.000 und mehr Schwangere in Not« zu erreichen, damit diese, statt abzutreiben, »sich in Freiheit für das Leben ihrer Babys entscheiden können«.

Wie das aussieht, hat die Unigruppe Kritische Medizin München 2021 im Selbsttest mit »verstörendem« Ergebnis herausgefunden: Die Organisation missbrauche letztlich Ansätze der Gesprächstherapie, »um über Suggestion und Manipulation in Not befindliche Menschen auszunutzen und ihnen die eigene Ideologie aufzuzwingen«.(si)

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