»Paragraph 218 steht noch unter Tötungdelikten«
Von Annuschka EckhardtAn diesem Sonnabend ist es wieder soweit: In Berlin und Köln demonstrieren Hunderte christliche Fundamentalisten beim sogenannten Marsch für das Leben, mit schweren Holzkreuzen ausgerüstet, gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Was wollen diese Leute?
Diese Antifeministen stellen das Leben eines Genbreis über das Leben der schwangeren Person und nennen das auch noch euphemistisch »Marsch für das Leben«. Sie gehen auf die Straße mit Bildern von vermeintlich getöteten Föten, riesigen Holzkreuzen und Luftballons mit entstellten Puppen drauf, um ungewollt Schwangere als »Mörderinnen« zu stigmatisieren. Das größte Problem ist, dass sie auch vor Praxen und Kliniken, die Abbrüche durchführen, und vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen stehen und dort sowohl Beschäftigte als auch Schwangere belästigen. Das sorgt dafür, dass Schwangere, die ohnehin in einer Notsituation sind, traumatisiert werden. Sie werden stigmatisiert, sie werden beleidigt, sie werden verängstigt. Jeder Mensch hat das Recht, über seinen eigenen Körper selbst entscheiden zu dürfen.
Eine Kommission hat die Streichung des Paragraphen 218, der Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert, aus dem Strafgesetzbuch geprüft. Was kam dabei raus?
Die Ergebnisse der Kommission besagen ganz klar, dass es erst einmal keine Handhabe dafür gibt, dass Paragraph 218 im Strafgesetzbuch unter den Tötungsdelikten steht. Es kam auch heraus, dass es keine gesetzliche Handhabe gibt, weshalb man nur bis zur zwölften Schwangerschaftswoche Abbrüche durchführen darf.
Vor Regierungsantritt hatten sich die Ampelparteien die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen groß auf die Fahnen geschrieben. Warum stehen Abbrüche bis zur 12. Woche noch immer im Strafgesetzbuch?
Der Wille scheint auf einmal nicht mehr so da zu sein (lacht zynisch). Es bedarf natürlich einer Anstrengung und politischer Arbeit, die Legalisierung anzugehen. Die Regierung ruht sich darauf aus, dass Paragraph 219a (Verbot von »Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft«, jW) abgeschafft wurde. Aber das ändert natürlich nichts daran, dass Paragraph 218 immer noch grundsätzlich als Tötung eingestuft wird.
Die aktuelle Regelung im Strafgesetz kriminalisiert und stigmatisiert ungewollt schwangere Menschen. Sie verhindert die Kostenübernahme durch die Krankenkassen, die ausreichende Lehre im Medizinstudium, und sie steht einer guten Versorgung komplett entgegen. Auch die Zwangsberatungen vor einem Abbruch sind paternalistisch und demütigend. Was sind Ihre Forderungen?
Wir fordern, dass Paragraph 218 gestrichen wird. Wir wollen, dass alle Menschen den Zugang zu kostenlosen Schwangerschaftsabbrüchen haben, aber auch zu kostenlosen Verhütungsmitteln, damit es möglichst nicht zu ungewollten Schwangerschaften kommt und somit eine uneingeschränkte Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die eigene Reproduktion und die eigene Sexualität möglich ist. Es ist unabdingbar, dass Schwangerschaftsabbrüche in die Ausbildung von angehenden Ärzten aufgenommen werden. Auch die wohnortnahe Versorgungslage muss verbessert werden. Wir haben ein großes Problem mit der Versorgungssituation, gerade im ländlichen Raum. Die Regeln sind sehr streng: Wenn die schwangere Person den geforderten Beratungsschein erworben hat, so muss sie mindestens drei volle Kalendertage warten und darf erst dann einen Abbruch vornehmen. Da darf es nicht sein, dass sie auch noch Hunderte Kilometer weit fahren muss. Vor allem fordern wir, dass es eine klare und respektvolle Sexualaufklärung gibt.
Nächste Woche geht der Vorschlag, sogenannte Gehsteigbelästigungen – also das Bedrängen ungewollt Schwangerer vor Kliniken und Praxen, die Abbrüche vornehmen – zu verbieten, auf den Prüfstand im Bundesrat. Warum ist dieses Gesetz so wichtig?
Vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Praxen und Kliniken, die Abbrüche vornehmen, müssen Schutzzonen errichtet werden, damit sowohl Mitarbeitende als auch Schwangere und Begleitpersonen ungestört agieren können. Man muss sich die Situation für die Beschäftigten mal vorstellen: Sie gehen ihrem Job nach und werden ständig offen bedroht oder belästigt. Die Hilfesuchenden, die sich in einer schweren Lebenssituation befinden, werden beleidigt und stigmatisiert. Das kann sie zusätzlich traumatisieren. Schwangere müssen sich problemlos Hilfe holen können, Ärzte und Beratende problemlos ihrer Arbeit nachgehen können. Damit die reproduktive Selbstbestimmung ohne Angst stattfinden kann, muss es dieses Gesetz geben!
Laura Stein ist aktiv beim Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung in Münster und in der bundesweiten Vernetzung des Safe Abortion Day
Siehe auch
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 10.04.2024
Recht auf Nichtwissen
- 06.03.2024
»Das Strafmaß liegt um die 25 Jahre«
- 29.09.2023
ÖVP knickt vor Klerikalen ein
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Fundis aufhalten
vom 21.09.2024