Desperados am Dnipro
Von Reinhard LauterbachDer ukrainische Telegram-Kanal »RezidentUA« berichtete am Wochenende unter Berufung auf Insider in der ukrainischen Präsidialverwaltung, deren Chef Andrij Jermak habe die Parole ausgegeben: maximal eskalieren, um den Westen mit in den Krieg zu ziehen. Aus eigener Kraft sei die Ukraine nicht in der Lage, noch einen längeren Krieg durchzuhalten. Jermak ist der engste Mitarbeiter von Präsident Wolodimir Selenskij und ist heute derjenige, der in Kiew tatsächlich die Fäden zieht.
Diese Darstellung, unbestätigt wie sie auf der offiziellen Ebene ist, passt aber zu Entwicklungen auf der faktischen Ebene. Der Westen spielt das Kiewer Eskalationsspiel einerseits mit. Die Präzisionsschläge ukrainischer Drohnen gegen Munitionslager, bis zu 500 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, wären nicht denkbar gewesen ohne westliche Satellitendaten. Aber der kollektive Westen möchte nicht in flagranti erwischt werden, diese Angriffe ermöglicht zu haben. Umgekehrt die Logik Kiews: Es will gerade, dass die bisher indirekte westliche Kriegsbeteiligung zu einer direkten wird. Es ist dabei das tägliche Brot der ukrainischen Politik, den Westen davor zu »warnen«, irgendwelche »roten Linien« Russlands ernst zu nehmen. Denn wenn eine davon dann tatsächlich in Moskau so behandelt wird, stehen sie wenigstens nicht allein im Regen. Dahinter steht das verzweifelte Bemühen, die Logik des Stellvertreterkriegs, auf den sie sich eingelassen haben, umzukehren und diejenigen mit ins Feuer zu ziehen, die die Ukraine gern für ihre geostrategischen Interessen vorschickt. Diese Desperado-Politik mag, nihilistisch wie sie gegenüber Land und Leuten ist, vom menschlichen Standpunkt verständlich sein. Aber politisch wird die Ukraine damit zum Sicherheitsrisiko. Wie lange will sich der Westen noch davon abhängig machen, dass wenigstens in Moskau die Entscheidenden rational agieren?
Eine steile Interpretation der Politik Selenskijs in der Raketenfrage hat jetzt die um Petro Poroschenko gruppierte innerukrainische Opposition geliefert. Demnach stelle Selenskij ganz bewusst Forderungen, die der Westen nicht erfüllen könne, um mit diesem »Verrat der Partner« dann begründen zu können, warum es nicht sein eigener »Verrat« sei, wenn er doch einem Waffenstillstand entlang des jetzigen Frontverlaufes zustimmen müsse. Die Poroschenko-Truppe meint das natürlich als Vorwurf; sie hofft auf ein Comeback nach Selenskij.
Ein Körnchen Wahrheit könnte trotzdem daran sein: Wenn Selenskij jetzt davon redet, er brauche »nur noch« die Möglichkeit »unbegrenzter Schläge gegen Ziele in Russland«, damit noch in diesem Jahr Frieden eintreten könnte, ist das zwar weit von jeder Realität entfernt. Aber es spiegelt eine offenbar wachsende Kriegsmüdigkeit in der ukrainischen Bevölkerung wider. Putschdrohungen von rechts für den Fall einer »Kapitulation« hat es schon gegeben.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (23. September 2024 um 21:46 Uhr)Nach meiner Überzeugung ist Andrij Borysovych Jermak als Präsidentenberater, neben Selenskyj und Budanow, die eigentliche Schlüsselfigur, die in der Ukraine die Fäden zieht. Ursprünglich aus der Filmbranche stammend, lernte er Wolodymyr Selenskyj im Jahr 2011 kennen. Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2019 war Jermak ein zentraler Akteur im Team von Selenskyj. Am 21. Mai 2019 ernannte ihn der frisch gewählte Präsident zum Berater für außenpolitische Fragen. Jermak agiert als der eigentliche Regisseur, während Selenskyj nach wie vor als ahnungsloser Schauspieler fungiert. Es ist kein Zufall, dass das Duo in den westlichen Leitmedien Erfolge verbucht, die jedoch oft wenig mit der Realität vor Ort zu tun haben. Weder Jermak noch Selenskyj verfügen über tiefgehende Kenntnisse in Politik oder Diplomatie. Ihre Erfolge beschränken sich vor allem auf die mediale Inszenierung – ebenso wie ihr »Friedensplan«, der Russland und die Kriegsrealitäten ignoriert. Auch wenn die Ukraine Russland mit westlichen Waffenlieferungen weiterhin schaden kann, ändert dies nichts an der katastrophalen wirtschaftlichen, demografischen und militärischen Lage des Landes.
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