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Aus: Ausgabe vom 23.09.2024, Seite 11 / Feuilleton
Theater

Ohne Apfel keine Freiheit

Die Zukunft nach dem Paradies: Jens Mehrle inszeniert »Adam und Eva« von Peter Hacks
Von Kai Köhler
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Berstend vor Dialektik: Am Anfang steht der Konflikt (Szenenbild)

Welches Wesen ist zur Dramenfigur am wenigsten geeignet? Natürlich Gott. Kein Gegner des Allmächtigen und Allwissenden hätte auch nur den Hauch einer Chance. »Und doch bleibt wahr«, so plaudert der Allmächtige bei Hacks dem Publikum aus: »Ein wenig Gegenüber tut selbst Gott not.« Da hilft nicht der tugendhafte Engel Gabriel, der seinen Herren rühmt und nervt: »Das Echo: reine Streitsucht gegen seinen / Geflügelten Applaus.« Und nicht einmal das Böse, Satanael, taugt zu mehr. Wer nur verneint, ist nichts als ein Anhängsel des Verneinten.

Darum setzt Gott in die neueste seiner vielen Welten das Menschenpaar Adam und Eva, das nur das eine nicht darf: in den Apfel beißen. Der Atheist Peter Hacks beerbte hier bewusst das Christentum, denn, wie der Dramatiker im Begleitessay zu Stück schreibt: Das Bild vom Sündenfall »birst von Dialektik«. Der verbotene Apfel bietet erst die Möglichkeit, ein Verbot zu übertreten. Und ohne die Strafe, der Vertreibung aus dem Paradies, gäbe es keine Freiheit – denn eine Handlung ohne Folge wäre bedeutungslos, also nichtig. Den Apfel ins Paradies zu hängen, erhob also die Menschen zum würdigen Gegenüber Gottes. Gott siegt, wenn sein Gebot beachtet, aber auch, wenn es missachtet wird. Allmacht wird zu Freiheit. Seine Geschöpfe erschaffen selbstständig ihre Geschichte, werden also ihm ähnlich.

Aber natürlich ging es Hacks kaum darum, wie Gott allen Schwierigkeiten entgegen doch Dramenfigur sein kann. Sein Gott ist ein marxistischer. Er steht für die Einheit der Gegensätze; steht dafür, dass die Welt eine Totalität ist und keine Ansammlung unverbundener Teile. Und der Sündenfall steht für den Beginn von Geschichte. Im Paradies war qualitativ Neues undenkbar, denn es war ja schon das Beste. Nach dem Paradies gibt es die Arbeit, die Verbesserung, das Streben nach dem unerreichbar gewordenen Paradies. Und gerade dass es unerreichbar geworden ist, verbürgt, wie Adam zuletzt erkennt, »dass / Wir bleiben werden, wie wir sollen: frei.«

Ein schweres Stück? Hacks bezeichnete es als »Komödie«, und wirklich gibt es darin – bei aller sprachlichen Pracht – einen oft leichten Plauderton, einen hintergründigen Witz und mit nur fünf Personen eine Fülle szenisch ergiebiger Konstellationen. Es geht um sehr Ernstes: um Willensfreiheit, um den Zusammenhang der Welt, um die Geschichtlichkeit menschlicher Existenz. Es geht um all dies auf außerordentlich leichte Weise. Dies umzusetzen, hat die Theater gereizt. Nach der Uraufführung 1973 wurde das Drama zu einem der erfolgreichsten von Hacks, sowohl in der DDR als auch international. Wahrscheinlich hat dazu beigetragen, dass der Stoff politisch für niemanden anstößig war. Den Inhalt mag man darum im Westen zuweilen übersehen haben.

Doch sind die Zeiten der Systemkonkurrenz vorbei und mithin auch die der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sogar die Verteidiger hiesiger Zustände behaupten ja nicht mehr, es werde zukünftig besser, sondern ziehen sich auf die Meinung zurück, woanders gehe es noch übler zu. Wie spielt man in dieser Lage ein grundsätzlich optimistisches Stück wie »Adam und Eva«?

Nicht mit den Mitteln eines Staatstheaters. Dramen wie die von Hacks sind weitgehend aus den großen Häusern verbannt. Die aktuelle Inszenierung von Jens Mehrle wird an verschiedenen kleineren Spielstätten zu sehen sein, zunächst in Dessau, Zerbst/Anhalt, Lutherstadt Wittenberg und Coswig. Die von Anja Mikolajetz ausgestattete Bühne ist darum transportabel, sparsam. Bei einigen der Aufführungen gibt der Posaunenchor Dessau musikalische Begleitung. Ein Gestell, daran ein bunter Vorhang, auf dem Pflanzen und manches Viehzeug zu sehen sind; von dem rechts und links Leitern, die zu Berichten aus der Mauerschau taugen, und in der Mitte eine Angel, von der als Köder der verbotene Apfel hängt: Das muss genügen, und es genügt. Das Stück ist eines der am besten gebauten von Hacks, der immer gut gebaut hat. Auch der einfachste Raum, wenn er nur Gelegenheit zum Spielen gibt, erlaubt die beabsichtigte Wirkung. Und diese Bühne gibt Gelegenheit zum Spiel genug.

Freilich auch – hinter dem Paradiesvorhang – Gelegenheit, Accessoires zu wechseln. Mehrle kommt mit drei Darstellern aus. Geht das? fragte sich der Kritiker vorab, und durfte erkennen: Es geht ziemlich gut. Vielleicht ist man kurz irritiert, wenn Felix Würgler, der zuerst als Gott auftrat, auch einmal Satanael sein muss. Aber Würgler findet, nach dem freundlich-jovialen Ton des Allmächtigen, auch das Charakteristische des Teufels. Entsprechend nimmt man Maria Strauss die Partnerinnen Gottes ab: als der Engel, der Gott liebt und ihn nicht versteht, und als Menschenfrau, die gegen Gott und also mit ihm unserer Gattung ihren Weg eröffnet.

Daniel Warland muss in manchen Szenen den einen Engel Gabriel, dann den gegensätzlichen Engel Satanael spielen. Vor allem aber ist er Adam, und das ist nicht einfach. Eva träumt gleich eingangs im Paradies vom Apfel und steht so für den Widerspruch, ohne den es keinen Fortschritt gibt. Lange Zeit unterwirft sich Adam fraglos Gottes Willen und hat so den schwächeren Part. Hier vielleicht etwas zu lange: In der Voraufführung, die der Rezensent gesehen hat, waren Adams Einwände nach dem Sündenfall gegen Eva zu rasch dahingesagt. Dabei sind sie gewichtig: Wenn Eva ins Feld führt, nun erst habe ihr Leben begonnen, zieht Adam richtig den Schluss, nun also werde es enden. Geschichtlichkeit bedeutet Beginn, also Tod. Die Schlussszene freilich, in der Adam die zentralen Erkenntnisse zukommen, spricht Warland souverän.

Der Verfasser dieses Artikels hat das Stück mehrfach gelesen, hat es herausgegeben und immer für eines von Hacks’ wichtigsten gehalten. Es blieb der Zweifel, ob nicht zwischen dem Konversationston des Beginns und den geschichtsphilosophischen Einsichten am Ende ein Stilbruch besteht. Mehrles Inszenierung hat diesen Zweifel beseitigt. Es geht sehr gut. Die Heiterkeit, mit der Hacks den Beginn des Geschichtlichen gestaltet, mag helfen in einer Phase, in der Fortschritt nur schwer vorstellbar ist.

Nächste Vorstellungen: 28.9., 16 Uhr, Kirchenruine St. Nicolai (Zerbst/Anhalt); 29.9., 16 Uhr, Kleingartenanlage Am Stadtgraben, Wittenberg; 6.10., 16 Uhr, Simonetti Haus Coswig; 25.10., 19 Uhr, Historisches Arbeitsamt Dessau; 26.10., 19 Uhr, Historisches Arbeitsamt Dessau; 1.11., 18.30 Uhr, Stadtbibliothek Wittenberg

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