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Aus: Ausgabe vom 24.09.2024, Seite 5 / Inland
Einwanderungspolitik

Migranten im Alter abgehängt

Springer nutzt AfD-Anfrage zur Hetze gegen Migranten. Doch die Zahlen beweisen nur deren konsequente Benachteiligung
Von David Maiwald
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Schicksale armer Rentner mit Migrationsgeschichte haben in der rassistischen Hetze von Bild und AfD keinen Platz

Springer-Konzern und AfD dienen einander mal als Stichwortgeber und mal als Vervielfältiger. So verbreitete der Springer-Boulevard zum Wochenstart in bester AfD-Manier eine Kleine Anfrage der hellblauen Bundestagsfraktion an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Beim Bürgergeldbezug habe »bereits fast jeder zweite Empfänger keinen deutschen Pass«, hieß es im Artikel. Auch hätten 24,9 Prozent der Beziehenden von Grundsicherung im Alter keine deutsche Staatsangehörigkeit. Ihr Anteil sei seit 2015 um 130.000 Menschen gestiegen, während »der Anteil der deutschen Grundsicherungsbezieher nur um gut 40.000 Menschen gestiegen« sei. Der Zuwachs bei Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit geht indes vor allem auf Geflüchtete aus dem Ukraine-Krieg zurück.

Was Bild und AfD im Artikel mit »ungesteuerter Zuwanderung« in Zusammenhang bringen, belegt zudem nicht mehr, als dass Menschen ohne deutschen Pass und mit familiärer Migrationsgeschichte hierzulande überdurchschnittlich häufig arm sind. Menschen, die in der BRD als »Ausländer« statistisch erfasst werden, machten im vergangenen Jahr nur rund 16,4 Prozent der Gesamtbevölkerung aus – der Artikel informiert darüber nicht. Ebenso bleibt unerwähnt, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte überdurchschnittlich häufig in schlecht bezahlten und »gering qualifizierten« Berufen vertreten sind. Doch das ist der Grund dafür, dass »Stütze im Alter« – so die Boulevard-Schlagzeile – »mehr und mehr an Ausländer« geht.

Die »Grundsicherung im Alter« werde vor allem von Menschen beantragt, deren Rente nicht zum Leben reicht, erklärte Matthias W. Birkwald am Montag gegenüber jW. Für die schlechten Renten seien aber vor allem miese Bezahlung ursächlich. »Schlechte Löhne für Berufe, die vor allem von Migranten und Migrantinnen ausgeführt werden«, so der rentenpolitische Sprecher der Linke-Gruppe im Bundestag. Menschen jahrelang in schlecht bezahlten Jobs buckeln zu lassen, sich dann wundern, dass niedrige Renten die Folge sind »und das auch noch auf die Herkunft abschieben zu wollen«, entspreche »der Logik eines Dreijährigen«, so Birkwald. Ihm sei zudem »kein einziger Antrag der AfD bekannt, (…) in dem ein höheres Rentenniveau gefordert würde oder die Anhebung der Regelsätze für die Grundsicherung im Alter«.

Selbst, wer hierzulande jahrzehntelang arbeitet, muss mit Armut im Alter rechnen. Von fast acht Millionen Rentnern mit mehr 40 Beitragsjahren erhalte »mehr als ein Drittel nur eine Rente unter 1.250 Euro«, ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linke-Gruppe Ende August. Rund 40 Prozent aller Leiharbeiter etwa hatten im Jahr 2022 eine ausländische Staatsangehörigkeit, 17 Prozent stammten aus einem Asylherkunftsland. Nicht verwunderlich, wenn sie später von niedrigen Rentenzahlungen und Grundsicherung – also Altersarmut – betroffen sein können. Vor allem Erwerbslose, Menschen mit Migrationsgeschichte oder mit niedrigen Bildungsabschlüssen leben hierzulande in Armut, ermittelte der Paritätische Gesamtverband in seinem jüngsten Armutsbericht. Und schon »Gastarbeiter« schufteten in der Bundesrepublik unter verschärfter Ausbeutung.

Diese vormaligen »Gastarbeiter« erhalten nun im Alter besonders mickrige Bezüge, ermittelte der Mediendienst Integration mit einer eigenen Recherche im November 2023. Demnach stehen unter dem Strich eines Erwerbslebens als »Gastarbeiter« im Schnitt 834 Euro, 280 Euro weniger, als Deutsche im Durchschnitt erhalten. Frauen sind wie so häufig in beiden Bevölkerungsgruppen benachteiligt: »Ihre Rente liegt etwa ein Drittel unter der von deutschen Rentenempfängerinnen (661 Euro im Vergleich zu 899 Euro).«

Gesellschaftliche Umstände »zwingen die migrantischen Menschen in die Prekarität, das ist kein Zustand, den sie sich selber ausgesucht haben«, so Linke-Politiker Birkwald gegenüber jW. Es gelte, über Lösungen zu diskutieren, »wie durch ein gerechteres Bildungssystem, bessere Integrationsleistungen, durch höhere Löhne und ein besseres Rentensystem dieser Zustand durchbrochen werden könnte«. Ansätze, die weder für die AfD, noch für den Springer-Konzern eine Rolle spielen. Geht es darum, die Lohnabhängigen zu spalten, stehen sie sich in nichts nach.

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