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Aus: Ausgabe vom 26.09.2024, Seite 2 / Ausland
Kriminalisierung von Asylsuchenden

»Homayoun kann das Gefängnis verlassen«

Berufungsprozess in Thessaloniki erfolgreich. Tausende andere Geflüchtete in griechischer Haft. Ein Gespräch mit Leonie Jantzer
Interview: Annuschka Eckhardt
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Blick auf das mittlerweile geräumte Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Samos (23.9.2021)

Sogenannte Schleuser werden von Befürwortern der EU-Migrationspolitik als Menschenhändler dargestellt, die Asylsuchende ohne Skrupel Lebensgefahr aussetzen und sie dabei noch ausbeuten. Warum werden in Griechenland so viele Schutzsuchende dann wegen »Schleusertums« angeklagt und verurteilt?

Den Menschen wird vorgeworfen, sie hätten bei der Grenzüberquerung »Beihilfe zur unerlaubten Einreise« geleistet. In Griechenland machen Geflüchtete die zweitgrößte Gruppe von inhaftierten Personen aus und stellen etwa 20 Prozent der gesamten Gefängnispopulation. Zurzeit befinden sich über 2.000 Menschen aufgrund des Vorwurfs in Haft: Personen, die selbst auf der Flucht waren oder migrierten und anderen und sich selbst das Leben retteten, indem sie ein Boot lenkten oder ein Auto fuhren und dabei eben weitere Schutzsuchende mittransportierten. Bei diesen Gerichtsprozessen wird missachtet, dass die Angeklagten weder Profit damit gemacht haben noch gewalttätig sind.

Wie laufen diese Verfahren ab und in welcher Höhe bewegt sich das Strafmaß?

Direkt bei den Überfahrten werden einzelne Personen herausgepickt und inhaftiert. Dann finden Schnellverfahren statt, die laut einer umfassenden Studie aus dem vergangenen Jahr um die 30 Minuten dauern. Die Angeklagten werden im Durchschnitt zu 46 Jahren Haft verurteilt. Viele von diesen Verfahren werden ohne juristische Begleitung durchgeführt.

Wie können Anwälte, Dolmetscher und Öffentlichkeitsarbeit für diese Prozesse finanziert werden?

Wir von Medico International haben am 10. September einen »Fonds für Bewegungsfreiheit« ins Leben gerufen, um genau solche Prozesskosten, Dolmetscherkosten und juristische Begleitung für Geflüchtete in Haft finanzieren zu können. Der Fonds ist auch für ganz alltäglichen Bedarf, wie Nahrung, Kleidung, Hygieneartikel und Telefon- und Kommunikationskosten, gedacht. Die Idee des Fonds ist auch, Geld für Kampagnenarbeit bereitzustellen, denn diese Menschen befinden sich in Gefangenschaft, ohne dass eine breitere Öffentlichkeit davon erfährt. Wir denken, dass die Kriminalisierung von Migranten und sogenannten Schleusern eine weitere Säule der grausamen EU-Grenz- und Abschottungspolitik ist.

Griechenland ist nicht nur Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch Unterzeichnerstaat des Protokolls der Vereinten Nationen gegen Schlepperei von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg. Das wurde 2004 ratifiziert. Dort heißt es, dass Migranten die geschmuggelt wurden, dafür nicht strafrechtlich verfolgt werden dürfen. Laut Flüchtlingskonvention hat jede Person das Recht, ohne Genehmigung in ein Land einzureisen. Warum klagt die griechische Justiz trotzdem Asylsuchende an?

Das hat mit der Militarisierung von Grenzen zu tun. Hier ist ganz klar ein unrechtmäßiges Vorgehen zu erkennen. In der Genfer Flüchtlingskonvention ist festgeschrieben, dass jede Person das Recht hat, Asyl zu beantragen. Migration und Flucht sind keine Verbrechen. Die Menschen haben auch keine andere Möglichkeit, als den Grenzübertritt auf illegale Weise zu begehen, um dann ihr Recht in Anspruch zu nehmen, um Asyl anzufragen. Die Kriminalisierung von Migranten beobachten wir auch an den Küsten von Italien, Spanien, aber auch von Großbritannien.

Der Iraner Homayoun Sabetara wurde 2021 zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, am Mittwoch fand sein Berufungsprozess in Thessaloniki statt. Wurde das Strafmaß gesenkt?

Ursprünglich sollte der Prozess am 22. April 2024 stattfinden, wurde dann aber um fünf Monate auf den 24. September verschoben. Auch dieser Prozess wurde um einen weiteren Tag verschoben. Schließlich hat das Gericht Homayoun Sabetara für schuldig befunden. Und das, obwohl seine Verteidigung noch einmal betonte, dass Sabetara Asyl beantragt hat und daher nicht für die ihm vorgeworfenen Verbrechen der »Beihilfe zur unerlaubten Einreise« verurteilt werden kann. Aufgrund der verbüßten Zeit – über 600 Tage in Haft – und der mildernden Umstände wird Sabetara jedoch freigelassen! Das Verfahren ist beendet. Die Strafe wurde auf das Mindestmaß reduziert. Sabetara kann das Gefängnis verlassen. Das ist eine tolle Nachricht trotz all der repressiven Umstände, die er und seine Familie durchmachen musste.

Leonie Jantzer ist ­Referentin für Flucht und Migration bei Medico International

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